Jutta Kürtz

Journalistin & Sachbuch-Autorin

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Grünkohl und Biiken

Traditionelles aus Pütt un Pann
15. Februar 2024

Die Feuer lodern, es qualmt und knistert, meterhohe Flammen schlagen in den Himmel, riesige Berge von alten Weihnachtsbäumen, Geäst und Buschwerk und Stroh geben den Feuern immer neue Nahrung und obenauf verbrennt als erstes der „Piader“ (auch: Pidder) auf seiner mannshohen Holzstange. Das Biikebrennen wird gefeiert. Die Friesen verabschieden den Winter. An der nordfriesischen Westküste, auf allen Inseln und Halligen, treffen sich Alt und Jung zum wichtigsten Volksfest der Friesen. Hier und da wird vom „Nationalfest der Friesen“ gesprochen – tief verwurzelte Traditionen werden hier gepflegt. Es ist die Petrinacht, die Nacht vom 21. zum 22. Februar, es ist – wie meist – eisekalt, wenn alle Glück haben, regnet es nicht, heißer Punsch sorgt für innere Hitze und die Feuer und Flammen wärmen wenigstens die Nahestehenden.

In rund 60 Insel- und Küstenorten sind die riesigen, haushohen Biiken aufgetürmt, im Dunkel der Nacht sieht man horizontweit die vielen Feuer brennen. Mutige halten lange durch, genießen das fröhliche Miteinander – zuweilen unterstützt durch lautstarke Live-Musik – und freuen sich auf den Grünkohl, der ihnen sicher ist. Ein Sylter Gastronom hat sich dieses deftige Festessen ursprünglich ausgedacht. Heute mag niemand mehr darauf verzichten. Es gibt keinen Koch küstenweit, der nicht seit Stunden den deftigen Kohl schmoren lässt und für Fleischberge vorgesorgt hat. Schweinebacke und Kassler, Kohlwurst und Schinkenspeck und je nach Wunsch gekochte oder gebratene Kartoffeln dazu. Und Senf. Und ein Zuckerpott. Denn weit verbreitet ist, dass der Kohl oder die Kartoffeln süß sein müssen. Karamellisierte kleine Grünkohlkartoffeln sind der ganz große Hit. Touristen müssen sich erst daran gewöhnen, aber die, die im Norden groß geworden sind, auch im grenznahen Dänemark, wollen es süß haben. Kleine braune, süße Kartoffeln.

© Ingo Wandmacher

Das Biikebrennen gilt als ältester nordfriesischer Brauch am Ende des Winters. Mythische Ursprünge werden den Biikebräuchen nachgesagt – und immer wieder gibt es neue Deutungen und neue Rituale. Heimatforscher sprechen von „friesischer Identität“, und seit 2014 steht das Biikebrennen sogar im nationalen Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO. In den friesischen Hochburgen werden friesische Reden gehalten und traditionelle Hymnen gesungen, mit einem Fackelzug, der Strohpuppe „Pidder“ (Symbol für den Winter) und der brennenden Teertonne beginnen Feuer und Feier und schon im Vorfeld fiebert alles der großen Nacht entgegen. Seit alters her sorgen die Konfirmanden eines Dorfes dafür, dass die dorfeigene Biike die größte und schönste ist und dass sie nicht vorzeitig abbrennt – was nicht davor schützt, dass andere in Brand geraten…

Das nordfriesische Wort Biike bedeutet hochdeutsch Bake, also Feuerzeichen. Das Biikebrennen gehört in die Tradition der Winterendbräuche und der Fastnachtsfeuer – wie manchenorts auch die Osterfeuer und andere Feuerrituale. Diese Feuer hatten in frühesten Zeiten etwas zu tun mit Geisterglaube und Fruchtbarkeitskult und so manchen magischen Handlungen. Seit Hansezeiten galt außerdem die Vorschrift, dass die Seefahrt zwischen dem Martinstag (11.11.) und dem Petritag (22. Februar) ruhen sollte, eine Schutzmaßnahme für die Seefahrer. So war dann aber auch die Zeit Ende Februar der Start für die Seeleute zu den großen Häfen und Schiffen des Fischfangs, dem Walfang und der Handelsschiffahrt aufzubrechen. Und der Petritag galt zugleich – landesweit – als Tag der Abrechnung alter Lasten. Ein neues Wirtschaftsjahr begann. So ist mit viel Erzählkunst die Geschichte von den Abschiedsfeuern für die Walfänger entstanden… Erst Ende des 19. Jahrhunderts hat sich aus den Feuerfesten ein sogenanntes „Nationalfest der Friesen“ entwickelt. In den 1970er Jahren hat es die heutige Form angenommen.

© Hans Juergen Thiede

PS: Für echte Feinschmecker haben sich die echten Sterne-Köche Nordfrieslands längst moderne Varianten der großen Grünkohl-Schlacht ausgetüftelt – wem die fetten Grünkohl-Berge trotz Biike und Kälte nicht so das begehrte winterliche Leibgericht sind, dem sei geraten, beizeiten auf den Speisekarten der Top-Gastronomen nachzuschauen. Da gibt es viel verlockendes Raffiniert-Modernes mit und rund um den grünen Kohl.

Grünkohlrezepte

© Ingo Wandmacher