Hannes Hansen

Journalist & Autor

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Willkommen in Wales

Von Industriebrache, idyllischer Landschaft und Algenpüree
3. November 2021
Severn-Brücke bei Nacht.

„Croeso i Cymru“ (Willkommen in Wales) grüßt die Schrift auf der großen Tafel an der Autobahn gleich hinter der Severn-Brücke, über die wir England verlassen: “Willkommen in Wales“. Fast waagerecht fegt der Wind über das Land und tunkt die mit Farn und Heide bewachsenen Hügel zur Rechten in stumpfes Braun und fahles Grün, peitscht die spärlich bewachsenen Dünen zur Linken und lässt die gleichförmigen, in Terrassen aufsteigenden Industrie- und Bergarbeitersiedlungen, die man kaum Dörfer zu nennen wagt, noch schäbiger aussehen. In langen Reihen begleiten sie die M4, die Autobahn nach Westen. Wo die Hügelketten auseinanderweichen und engen Tälern Platz machen, geht es hinein ins Herzland der industriellen Revolution, die ihren Schwung von den Kohlengruben Wales’ erhielt und die grünen Matten mit den kristallklaren Bächen in von Abraumhalden ersticktes Ödland verwandelten. Vergangen die Zeit, so gut wie alle Kohlengruben sind von der Regierung Thatcher stillgelegt worden. Langsam vernarben die Wunden, wird die Landschaft wieder das, was sie bis vor 150 Jahren einmal war: Ländliche Idylle. Dafür steht vor jedem fünften, sechsten Reihenhaus das „For Sale“-Schild, sind aus den Arbeiterclubs und –bibliotheken Bingohallen geworden und aus den „Chapels“, den Kapellen im Land der zahlreichen Freikirchen, Autoreparaturwerkstätten und Supermärkte.

Nein, so recht willkommen geheißen fühlen wir uns noch nicht im Lande der Dichter und Redner, der Prediger, Politiker und Rugbyspieler, der Männerchöre und Sekten. Kurz vor Swansea, der zweitgrößten Stadt des Landes mit etwa 250 000 Einwohnern, wird die Gegend besonders scheußlich. Die Stahlwerke von Port Talbot mit ihren Hochöfen und Kühltürmen, den Rauch- und Dampfschwaden und dem bengalischen Feuer der abgefackelten Gase schaffen Arbeitsplätze für die Männer aus den Tälern von Südwales, in denen die Arbeitslosigkeit bei über zwanzig Prozent liegt.

Golf von Wales

Dann plötzlich öffnet sich die Swansea Bay, die nicht ganz zu Unrecht schon einmal mit dem Golf von Neapel verglichen wurde. Im Dunst liegen an ihrem westlichen Ende die „Mumbles“, Felsklippen mit einem Leuchtturm darauf. Hier beginnt die Gower, erste „Area of outstanding natural beauty“ von Großbritannien. Die knapp zwanzig Kilometer lange und acht Kilometer breite Halbinsel wäre hoffnungslos überlaufen und verbaut, hätte man sie nicht rechtzeitig unter Schutz gestellt. Und wäre nicht da nicht das, um es milde auszudrücken, wechselhafte Klima von Südwales. So aber finden sich selbst im Hochsommer immer noch einige stille Plätzchen auf den hohen Kalksteinklippen und an den vielen Sand- und Felsenstränden der Südküste. Einsamer noch ist es an der Marschenküste der Nordgower und auf dem Cefn Bryn, dem bis über 160 Meter aufsteigenden Höhenzug in der Mitte der Halbinsel. An seinem Südhang liegt das kleine Dorf Reynoldston und dort am „Village Green“ ein hübsches Fachwerkhaus: Das „King Artur Hotel“, benannt nach jener Klippe auf dem Cefn Bryn, auf dem der sagenhafte König Artus seinen Sitz gehabt haben soll. Das Hotel ist genau das, was man sich unter einem britischen „Inn“ vorstellt. Ein Gast- und Schankraum mit dunklen Möbeln, alten Stichen an den Wänden und einem Kamin lädt zum Drink ein, im gemütlichen Speisesaal dominiert helles Holz. 


Spezialität sea weed

Die Speisekarte bietet, was man so erwarten kann: Steaks, Lamm, Fisch, Pasteten, Yorkshire Pudding. Und: „Laverbread“ als Vorspeise. Eine Spezialität von Süd- und Westwales, erklärt die Kellnerin, ein „sea weed“, Algen. Also Laver Bread als Vorspeise, probieren geht über studieren Schwarzgrün schimmert die breiige Masse, den Rückständen der Verdauung von Kühen nicht ganz unähnlich. Dazu gibt es „Cockles“, Herzmuscheln, und „Bacon“, gebratenen Frühstücksspeck. Misstrauisch schnuppere ich daran, und ein verführerischer Duft nach Meer und Salz steigt auf. Ein erstes, noch vorsichtiges Probieren folgt. Hmm, der Geruch täuschte nicht. Würzig, nach See schmeckend das Ganze. „Bara Lawr“ (so der walisische Name) ist, erklärt nach dem Essen der Koch des King Arthur Hotel, eine langfaserige Alge der Gattung „Porphyra umbilicalis“. Die auf Felsen und an Pfählen wachsenden Algen werden gesäubert und Stunden lang gekocht, bis sie eine Püree ähnliche Konsistenz angenommen haben. Das macht eine kleine Fabrik in Penclawdd, an der Nordküste der Gower. Von dort geht die Rohmasse auf die Märkte des Landes. „Wir“, sagt Lynley Ross, „kaufen unser Laverbread auf dem Swansea Market. Die Cockles auch.“ 

Laver and Toast.

Rezept

Es gibt unzählige Rezepte für Laver bread. Aber im King Arthur Hotel wird die klassische Zubereitungsmethode bevorzugt: Pro Person zwei Scheiben Bacon kross braten und warm stellen. Im Baconfett werden pro Portion 125 g Laver bread (gibt es in Deutschland in Dosen in English Food Shops) unter ständigem Schütteln der Pfanne erhitzt. Um das Kleben am Pfannenboden zu vermeiden, kann man das Laverbread auch vorher in Hafermehl wälzen. Ebenfalls warm stellen. Dann die vorgekochten Cockles (gibt es auch in Dosen) ebenfalls im Baconfett unter ständigem Schütteln erhitzen. Dazu gibt es Toast.

 

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