Jens Mecklenburg

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Wildbestand außer Kontrolle

1. Februar 2024

Bis zu zwei Millionen Hirsche bereiten Großbritannien Sorgen

Rehe, Rot- und Damhirsche: In den schottischen Highlands fressen sie Hänge kahl, Autofahrer und Landwirte klagen über Schäden. Großbritannien hadert mit den Wildtieren. Lässt sich das kulinarisch lösen?

Rund zwei Millionen Hirsche leben Schätzungen zufolge in Großbritannien. Es gebe zu viele Rehe, Rot- und Damhirsche oder Muntjaks, sagen Experten – und warnen, dass es so nicht weitergehen könne.

Für den Boom gibt es mehrere Gründe. „Rehe hätten früher im ländlichen Raum keine Chance gehabt, weil die Menschen hungrig waren“, sagt Paul Dolman von der University of East Anglia der BBC. „Jetzt leben die Menschen nicht mehr vom Land, daher ist die Überlebenswahrscheinlichkeit für Rehe viel größer.“ Zudem haben die Tiere in Großbritannien keine natürlichen Feinde. Wölfe und Bären gibt es seit Langem nicht mehr.

„Alles spricht für die Hirsche“, sagt Peter Watson von der Organisation Deer Initiative. „Die Bewaldung hat zugenommen und die Landwirte bauen das ganze Jahr über Getreide an.“ Winterfrüchte in Zeiten, die sonst wenig Futter boten, sind eine gute Nahrungsquelle fürs Wild.

Steiler Populationsanstieg

Mildere Winter aufgrund des Klimawandels würden zu erhöhter Fruchtbarkeit der Tiere beitragen, sagt Watson. Dass während der Pandemie die Nachfrage von Restaurants deutlich sank, gilt als weiterer Grund für den steilen Populationsanstieg: Schätzungsweise 80 Prozent der geschossenen Exemplare gingen zuvor an die Gastronomie.

Die Branche hofft auf eine Trendwende. Ein Hauptfaktor bei der Kontrolle der Bestände ist der Preis, den Jäger erzielen können. Steigt die Nachfrage nach Wildbret, könnten sie angeregt werden, mehr zu schießen.

Wildgulasch © Elbwild

Bisher werden jedes Jahr etwa 350.000 Tiere erlegt. Viel zu wenig, meinen Experten. Nötig seien bis zu 750.000 Abschüsse. Naturschützer würden eine Population von weniger als einer Million als nachhaltig einstufen, um wirtschaftliche und ökologische Folgen zu verringern, berichtet die Times.

„Jetzt beteiligen sich Tausende von Kindergartenkindern an dem Kampf, die steigende Zahl an Rehen in Großbritannien zu kontrollieren – indem sie sie zum Mittag essen“, schreibt die Zeitung martialisch. Als eine der ersten Bildungseinrichtungen hat das Unternehmen Tops Day Nurseries für die 4000 Kinder, die es in Südengland betreut, Wild aufs Menü gesetzt. Gemeinsam mit der Brancheninitiative Eat Wild sind fünf Gerichte kreiert worden, zweimal innerhalb von drei Wochen soll es Wild geben – das mache 3000 Mahlzeiten im Monat.

Rehbestand außer Kontrolle«

Cateringchef Pete Ttofis schwärmt von der Vielfalt der Speisen. Das Fleisch sei zudem nicht mit Wachstumshormonen oder Antibiotika behandelt worden, sondern komme direkt aus dem natürlichen Lebensraum. Wildgerichte gelten zudem als nährstoff- und vitaminreich.  

Wie die Sun berichtet, gibt es zudem Überlegungen, Supermärkte zu ermutigen, mehr Wildbret zu verkaufen. Dadurch könnten die Preise sinken – für viele Menschen, die über hohe Kosten für Energie und Lebensmittel klagen, eine Chance auf gesundes Fleisch. „Der Rehbestand ist außer Kontrolle“, sagt Eat-Wild-Chefin Louisa Clutterbuck. „Daher gibt es überhaupt kein Versorgungsproblem, im Moment herrscht ein Überangebot.“

Die enorme Population hat Folgen: Landwirte verlieren den Angaben zufolge durch Rehe und Hirsche jährlich Ernte im Wert von mehreren Millionen Pfund. In Schottland verhindern sie eine flächendeckende Wiederaufforstung. 75.000 Wildunfälle im Jahr verursachen Fahrzeugschäden von rund 45 Millionen Pfund (52,6 Millionen Euro) – und kosten etwa 10 bis 15 Menschen pro Jahr das Leben.

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