Das Schwein steht als Symbol für religiöse Unreinheit, sexuelle Freizügigkeit und bodenloser Dummheit aber auch für besondere Sparsamkeit und für Glück. Seit ca. 9.000 Jahren begleiten Hausschweine den Menschen. Genug gemeinsame Zeit, um sich zu ganz widersprüchlichen Betrachtungen inspirieren zu lassen.
Der frühere britische Premierminister Winston Churchill sagte einmal: „Hunde blicken zu uns auf, Katzen schauen auf uns herab, ein Schwein jedoch sieht uns als Gleichgestellten an.” Mensch und Schwein, zwei Wesen, die sich auf Augenhöhe begegnen. Wenn es denn so einfach wäre. Wir Menschen haben schon ein merkwürdiges Verhältnis zum Borstenvieh. Schweine sind für uns vieldeutige, höchst umstrittene Wesen. Ihr Fleisch wird einerseits heftig begehrt – in China werden 500 Millionen Schweine gehalten, in Deutschland werden jährlich 50 Millionen Schweine geschlachtet, und in Dänemark leben mehr Schweine als Dänen. Oder wie im Judentum und im Islam streng verboten. Kein anderes Tier ist in unserer Kulturgeschichte so widersprüchlich betrachtet worden. Schweine bedeuten uns Glück (zu Neujahr) und Wohlstand, man denke nur an das Sparschwein, und sind gleichzeitig Sinnbild für Schmutz („du Ferkel“) und Unordnung („Saustall”). Sie sind beliebt als Symbole sexueller Begierde („geile Sau”) oder aber in Ablehnung ungezügelter Sexualität als „Schweinkram” verschrien. Und sie liefern Stoff für unzählige Schimpfworte: vom „Schweinehund” bis zum „Schweinepriester”. Ja, wie denn nun?
Geschätzt, verehrt, gehasst
Seitdem es Menschen gibt, gibt es auch Schweine. Als die Menschen noch als Jäger und Sammler durch die Landschaft zogen, waren Wildschweine eine höchst willkommene Beute. Sie machten fast die Hälfte der Jagdbeute in der Steinzeit aus. Unsere Vorfahren legten Fallgruben an und jagten die wilden Schweine mit Pfeil und Bogen. Als die Menschen anfingen sesshaft zu werden, erkannten sie sehr schnell, dass eine Domestizierung des Wildschweins zum Hausschwein viele Vorteile mit sich bringen würde. Stellte das Hausschwein doch eine stetig verfügbare Frischfleischquelle dar und brauchte nicht mehr mühsam aufgespürt, verfolgt und erlegt zu werden. Eine besondere Wertschätzung genoss das Schwein in Europa. Sowohl bei den alten Griechen und Römern als auch in der germanischen und nordischen Mythologie stand es einerseits in enger Verbindung zu den Fruchtbarkeitsgöttinnen. Andererseits galt das wilde Schwein, insbesondere der wilde Keiler, als Symbol für Mut, Kraft und Wehrhaftigkeit. Für die römischen Göttinnen Demeter (zuständig für Fruchtbarkeit und Ernte) und Ceres (die Göttin des Ackerbaus) waren Schweine heilig. Durch ihr Suhlen wurde die Erde für den frühen Ackerbau bereitet. Konnte man auf der durch die Schweine aufgewühlten Erde doch das Sprießen von Samen und die Entwicklung hin zur Pflanze genau beobachten.
Schweinische Leckerbissen
Wenn bei den alten Griechen Fleisch auf den Tisch kam, war es meist Schweinefleisch, die Haltung von Vieh, war vielerorts nur eingeschränkt möglich. Schafe und Ziegen wurden hauptsächlich der Wolle und der Milch wegen gehalten. Im Antiken Rom war dies grundsätzlich nicht viel anders, nur war das Land für Viehhaltung besser geeignet. Wohlhabende Römer brüsteten sich gern damit, Fleisch, Milch und Käse, die sie ihren Gästen vorsetzten, auf ihren eigenen Gütern produziert zu haben. Im berühmten römischen Kochbuch „Apicius“ finden sich zahlreiche Rezepte für Schweinbraten und die Zubereitung der Innereien. (Schweine)Fleisch war von Anbeginn der antiken Kulturen nicht nur willkommene Speise für die Lebenden, sondern auch für die Toten, nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Götter. Zu den Opferritualen gehörte es, dass der Opfernde sich vor dem Schlachten die Hände – im wahrsten Sinne des Wortes – in Unschuld wusch. Auch den Toten galt Fleisch als wichtige Nahrung und wurde daher, sofern man es sich erlauben konnte, den Verstorbenen mit ins Grab gegeben.
Bei den alten Germanen in Mittel- und Nordeuropa lässt sich im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. – die Zeit der Völkerwanderung – eine frühe Vorliebe für Schweinefleisch feststellen. In den verwilderten römischen Kulturflächen gewann die freie Schweinehaltung schnell an Bedeutung. In Gebieten germanischer Prägung gab man die Größe des Waldes in der Zahl der Schweine an, die darin ihr Futter (Eicheln, Bucheckern) finden konnten. (Schweine)Fleisch galt als Nahrung für Starke, versprach es doch Energie und verlieh Kampfkraft. Mit dem Aufkommen des Christentums, seit dem 4. Jahrhundert, rückte jedoch Getreide und Brot wieder in den Vordergrund und stellte die „Fleischfresserei“ in Frage. Ausdruck davon waren die verordneten Fastentage (bis zu 160 im Jahr). Man sah im übermäßigen Fleischkonsum einen heidnischen Brauch, und man glaubte, er würde zu sexuellen Ausschweifungen führen.
Unreine Lebewesen?
Was hat das Schwein eigentlich falsch gemacht? In Saudi-Arabien und im Iran hat es grundsätzlich Einreiseverbot. In Israel darf es nicht den Boden berühren. Bis heute gilt im Judentum und im Islam Schweinefleisch als unrein und darf nicht gegessen werden. Der amerikanische Anthropologen Marvin Harris geht von ökologischen und ökonomischen Faktoren aus: In den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas gingen die vormals ausgedehnten Wälder in der Zeit um 2000 v. Chr. durch Holzeinschlag, Erosion und die Vergrößerung der Ackerbauflächen auf nur noch kleine Restbestände zurück. Dadurch verloren die Schweine, die bis dahin in Eichen- und Buchenwäldern Nahrung, Schatten und feuchten Schlamm zum Suhlen fanden, ihre ökologische Nische und wurden zum Nahrungskonkurrenten des Menschen, der mit Getreide und dem knapp gewordenen Wasser hätte versorgt werden müssen. Anstelle der Schweine, die unter den veränderten Lebensbedingungen nur schwer und nicht mehr rentabel zu halten waren und sich durch den Wassermangel in ihrem Kot wälzen mussten, setzte sich die Haltung von Rindern, Schafen und Ziegen durch, die sich als Wiederkäuer von für Menschen unverdaulichen Pflanzen ernähren und besser an Hitze und Wassermangel angepasst sind. Hinzu kam: Das Schwein gab keine Milch, zog keinen Pflug und man konnte nicht auf ihm reiten – so nützte das Schwein den Menschen weniger als zum Beispiel das Rind.
Zu dieser Zeit begann dann auch der Verzehr von Schweinefleisch zunehmend mit religiösen Verboten belegt zu werden, so in Phönizien, Babylonien und Ägypten, später bei den Juden und schließlich bei den Muslimen.
Noch ein anderer Aspekt ist wichtig: Durch das, was wir essen und vor allem durch das, was wir nicht essen, zeigen wir anderen, woran wir glauben, was uns wichtig ist und worin wir uns von anderen unterscheiden. Das neu entstehende Christentum wollte sich von der damals stärkste Religion im Orient, dem Judentum, absetzen und hob im Neuen Testament das Schweineverbot einfach wieder auf.
Alte Rassen:
Die Anzahl der weltweit gezüchteten Schweinerassen wird auf ca.150 Rassen geschätzt. Die meisten davon leben in Ostasien. In Europa gibt es noch ca. 30 Rassen, von einstmals weit mehr als Hundert. Nicht nur das Deutsche Weideschwein starb aus. Heute machen in den Großställen der Tiermäster einige wenige Hochleistungsrassen nahezu 98 Prozent des Gesamtbestandes aus. Dafür stehen die traditionellen Landschweinrassen auf der roten Liste der bedrohten Nutztierrassen. Mit den traditionellen Rassen ginge aber nicht nur die Vielfalt und ein leckeres Stück Fleisch verloren, sondern auch wertvolles Genmaterial, das in modernen Züchtungen fehlt. Denn die ursprünglichen Schweinerassen sind äußerst robust, die Krankheiten und Kälte trotzen und nicht so stressanfällig wie ihre Verwandten aus den Massenställen sind.
Angler Sattelschwein
In Angeln waren die Bauern mit ihren alten Landschweinen nicht mehr zufrieden. Die Holsteinischen und Jütländischen Marschschweine wuchsen ihnen zu langsam und brachten zu wenig Nachwuchs zur Welt. So machte sich ein Landwirt aus Süderbrarup aus der Region Angeln im Norden Schleswig-Holsteins 1926 nach England auf, dem damaligen Mekka der europäischen Schweinezucht, sah sich dort um und erwarb eine tragende Sau der Wessex-Saddleback-Rasse.
Eingekreuzt stellte sich der erwünschte Erfolg ein. Das robuste, mächtige und vom Charakter gutmütige und stressresistente Landschwein mit den typischen Schlappohren entwickelte sich rasch zum norddeutschen Lieblingsschwein.
Mangalitza Wollschwein
Johann Strauß II. hat dem fettreichen Wollschwein in seiner Operette „Der Zigeunerbaron“ 1885 ein Denkmal gesetzt: „Mein idealer Lebenszweck ist Borstenvieh, ist Schweinespeck …“, singt Schweinezüchter Zsupán. Um 1900 lebten mehr als 6,5 Millionen Wollschweine in den Steppen Ungarns und Rumäniens.
Die großen Herden, die oft über Hunderte Kilometer bis nach Wien (in die großen Schlachthöfe) getrieben wurden, prägten lange Zeit das Landschaftsbild der Region. Der Name Mangalitza leitet sich aus dem serbokroatischen Wort „mangulica“ ab, was soviel wie „wird schnell fett“ bedeutet.
Rotbuntes Husumer Schwein
Da die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr ihre rot-weiß-rote Nationalflagge (den Dannebrog) hissen durfte, züchteten die Angehörigen Schweine in den Farben rot-weiß-rot. Die Schweine galten als Zeichen des Protestes. Unter den im Norden Deutschlands beheimateten Angler Sattelschweinen, tauchten immer wieder rot-weiß-rote Farbschläge auf.
Daneben kam es zur Kreuzung von Holsteinischen und Jütländischen Marschschweine mit dem roten englischen Tamworth-Schwein. Diese brachten die kräftige rote Farbe ein. Aus dem einstigen fetten Protestschwein wurde mittlerweile ein in Freiland gehaltenes Gourmetschwein.
Turopolje Schwein
Das graubraun gefärbte Turopolje mit den dunklen Tupfen – erinnert an die Hunderasse Dalmatiner – auf dem störrisch gelockten Fell, ist perfekt an die Verhältnisse im Feuchtgebiet der Save-Auen angepasst. Es kann sogar tauchen. Pflanzen und Muscheln aus dem Fluss gelten bei dem kroatischen Schwein als Delikatesse.