„Das Land ist wie ein Schwein“, beschrieb einmal der Kieler Propst Klaus Harms Schleswig-Holstein, „an den Seiten fett, dort wächst der Speck, während es in der Mitte auf dem Rücken mager ist.“ Der Speck ist die fruchtbare Marschlandschaft, der magere Rücken die karge Geest. Harms’ Vergleich war nicht böse gemeint, im Gegenteil: Denn in früheren Zeiten galt das Schwein noch etwas. Die besondere Wertschätzung des lieben Borstenviehs können wir zum Beispiel dem Appetitlexikon von 1894 entnehmen: „Das Schwein gehört ohne Widerrede zu den kostbarsten und unersetzlichen Perlen in der Krone der Kultur.“ So wurde das Schwein zu dieser Zeit gesehen.
Heute hat die Wertschätzung des Schweins fraglos nachgelassen. Das intelligente und sensible Tier ist neben Geflügel das größte Opfer der Massentierhaltung. Auch sein Wert, gemessen am Preis, ist (dadurch) gering geworden. Supermärkte bieten Schweinefleisch im Angebot schon für drei Euro das Kilo an: obszön! Wie kann das sein? Zur Einsicht, dass man mit geringem Aufwand an Kosten, Zeit und Mühe keine Delikatessen erzeugen kann, kommen noch immer viel zu wenige Produzenten und Verbraucher. Und dass industrielle Massentierhaltung und ein respektvoller Umgang mit unseren Nutztieren nicht in Einklang zu bringen sind, muss an dieser Stelle nicht erst betont werden. Dem Trend zu billigem, fettarmem Schweinefleisch ist auch das dänische Sortbroget-Schwein zum Opfer gefallen. Mit weltweit gerade einmal 200 Tieren ist die alte, ehemals hoch geschätzte dänische Landrasse extrem gefährdet und steht auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Nutztierrassen. Das Sortbroget ist nämlich ungeeignet für die Massentierhaltung und hat für den heutigen Geschmack zu viel Fett auf den Rippen. Der Ursprung des Borstentiers soll schon im 13. Jahrhundert liegen. Die Kreuzung aus dänischem Hausschwein und englischem Gloucestershire Old Spot wurde 1920 offiziell als Zuchtschwein anerkannt. Das robuste Landschwein hat eine helle Haut mit schwarzen Flecken und große Schlappohren. Eine Besonderheit sind die sogenannten Glöckchen zwischen Unterkiefer und Halsansatz, daher der deutsche Name, ein Hautfortsatz ohne besondere Funktion. Nur ein Drittel der Sortbroget-Schweine weisen solche Glöckchen am Hals auf, weltweit einmalig. Man nimmt an, dass die Glöckchen oder Bommeln vor Jahrhunderten als Markierungsdrüsen zur Revierabgrenzung beim Suhlen oder Scheuern gedient haben. Aber genau weiß es keiner.
Der Methusalem unter den Schweinen
Das robuste und genügsame Glöckchenschwein lebt sehr lange. Mit 36 Jahren soll eine Sortbroget-Sau den Altersrekord halten. Für Schweine ein wahrlich biblisches Alter. Auch wenn wir dem Wahn ewiger Jugend und Gesundheit verfallen sind und nur noch mageres Fleisch essen wollen, liegt das wahre Genießerglück in den Fettpölsterchen alter Landrassen wie des Glöckchenschweins. Eine unvergleichliche Delikatesse ist zum Beispiel ein Braten von der vorderen Kammpartie hinter dem Kopf. Sie ist besonders fein mit Fettsträhnen und mineralischen Salzen durchzogen, entwickelt beim Braten eine ungemein würzige Note und wird herrlich zart. Schon allein deshalb müsste die alte dänische Landrasse gerettet werden. Der karge Restbestand – man kann auch sagen: Weltbestand – lebt bei einem Landwirt auf Fünen in ganzjähriger Freilandhaltung, im dänischen Husdyrpark Ekeberg und auf einigen Höfen in Schleswig-Holstein. Ohne das Glöckchenschwein wäre nicht nur die Schweinewelt um einiges ärmer!