Detlef Jens

Journalist & Autor

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Zur Austernsafari ins Watt

Besuch beim dänischen Austernfestival
7. November 2021

Sie ist Dänemarks Austernküste und lockt aus aller Welt im Oktober Gourmets und Liebhaber von Meeresfrüchten an: Die Wattenmeerküste Südjütlands. „Danmarks Østersfestival“ bietet typisch dänisch entspannt für jeden Geschmack Austernerlebnisse.

Trübe Suppe im Watt

Es wabert grau, geheimnisvoll, gespenstisch. Frühmorgens, viel zu früh also an diesem Wochenende im Spätherbst stapfe ich mit einer Gruppe Dänen am Deich entlang. Der Tag hat überhaupt noch nicht richtig angefangen. Zu sehen ist so gut wie nichts, Wiesen und Watt geben ohnehin nicht viel her fürs Auge und auch das bisschen verschwindet heute morgen im nebligen Grau. Der einzige Halt fürs Auge ist der Deich, der aber ein paar Meter weiter in der trüben Suppe verschwindet.

© Detlef Jens

Was mache ich hier eigentlich, um diese ungemütliche Tageszeit? Immerhin, es geht darum, einen kleinen Schatz zu heben. So stapfe ich mit derben Gummistiefeln, in dicker Jacke und Mütze verpackt mit etwas 20 anderen Menschen über den Deich und auf das Watt zu. Noch ein paar Tipps und Ermahnungen zur Vorsicht von unserer, trotz der Uhrzeit unverschämt fröhlichen Anführerin Bente, dann geht es raus. Ins Watt, wo noch vor ein paar Stunden Wasser war. Es ist jetzt etwa eine Stunde vor Niedrigwasser, wir haben knapp zwei Stunden Zeit, maximal, bevor das mit der frischen Flut hereinströmende Wasser uns wieder aufs feste Land treiben würde.

Nicht, dass wir so lange bleiben werden. Aber ein Stück weit hinaus wollen wir schon gehen, sagt Bente, etwa 800 Meter vor der Küste würden wir die besten Austernbänke finden. Unsere Gruppe überholt ein paar ältere Damen, die alleine losgezogen sind und schon dicht am Ufer Austern einsammeln. Dazu bedienen sie sich dieser langen Müllaufsammler; Stangen, an deren Ende eine Art Greifzange sitzt mit der, eben, normalerweise Müll von den Straßen gesammelt wird. Das sind Profis, denke ich gerade, die ersparen sich das mühsame Bücken, als Bente wie beiläufig bemerkt: Anfängerinnen. Man solle nicht die Austern nehmen, die am dichtesten an Land liegen, denn die seien nicht lange genug oder nicht oft genug im Wasser. Austern von sehr viel besserer Qualität findet man erst weiter draußen. Daran erkenne man eben die Ahnungslosen, die gleich beim Ufer anfangen zu sammeln!

Also stapfen wir weiter, noch ist der Boden meist hart, gerippter Sand, dann ein kleiner Priel, schließlich wird es unter den Füßen weicher. Und das Gehen mühsamer. Ich lasse mich etwas zurückfallen und bleibe dann stehen. Möchte die Stille und die zauberhafte Stimmung spüren. Fast schon zögerlich und schüchtern offenbart sich hier draußen der eigenartige Zauber dieses frühen nebligen morgens am Watt.

Aber Stille? Vögel fiepsen und rufen, still ist es nicht. Doch der Nebel beginnt, sich aufzulösen. Nur noch fetzenweise wabert es, immer wieder bricht ein Sonnenstrahl durch das Grau, mal hier, mal dort drüben, und der nasse Boden glänzt dann silbrig. Sofern noch etwas Wasser da ist. Sonst ist er von einem satten dunkelgrauschwarz. Und außerdem ziemlich zähl, vor allem, wenn man eine zu weiche Stelle erwischt und mit dem Gummistiefel stecken bleibt…

Aber keine Panik, Bente hat uns auch die Rettungstechnik für diesen Fall erklärt. Es wäre ein Albtraum, würde der Stiefel im Schlick stecken bleiben und ich nur den Fuß herausziehen. Also, damit er mitsamt Fuß herauskommt, muss ich die Hacke anheben, anwinkeln, zur Not den Schaft des Stiefels dabei festhalten. Ziemlich wackelig stehe ich dabei und habe eine Sekunde lang Angst, umzufallen, aber dann höre ich ein schmatzendes Geräusch. Es hat geklappt, Luft ist unter die Sohle gekommen, vorsichtig kann ich Fuß und Stiefel hochziehen, dann nur einen kleinen Schritt zur Seite machen. Und schon ist auch Bente da, wo bleibst du, fragt, sie, ist auch alles klar?

Watt voller Nahrung

Man kann solche Ausflüge zu den Austernbänken alleine unternehmen, aber vielleicht sollte man es wirklich nicht gleich beim ersten Mal tun. Unsere Anführerin hat ihre Gruppe immer im Blick und alleine würde ich mich hier schon ziemlich verloren vorkommen. Zumal man bei dieser Gelegenheit so einiges über das Watt und die Austern lernt. Auf nur einem Quadratmeter Wattboden, erzählt Bente uns zum Beispiel, könnten bis zu 100.000 Kleinstlebewesen wohnen. Das Watt sei damit auch Nahrungsreicher als, beispielsweise, der typische Regenwald der Tropen.

© Detlef Jens

Unsere Gruppe ist nicht die einzige, die an diesem Morgen unterwegs ist. Aber klar, es ist Wochenende und die Tide passt, schließlich kann das Ganze hier nur bei Ebbe stattfinden. Einen Moment denke ich, dass es den armen Austern vielleicht zu sehr an den Kragen geht, aber es gibt ja mehr als genug. Zu viele, um genau zu sein.

Die ursprüngliche, einheimische Auster ist schon seit 1920 etwa ausgestorben. In den 1970er Jahren muss es gewesen sein, als Züchter die pazifische Auster im Watt einführten. Die allerdings fühlte sich gleich so heimisch – wie übrigens auch in vielen anderen Austerngebieten Europas auch -, dass sie sich seither ziemlich hemmungslos ausbreitet. Diese Austern müssen tatsächlich abgesammelt werden, damit sie sich nicht zu sehr vermehren und den Lebensraum für andere im Watt streitig machen: „If you can’t beat them, eat them“, sagt Povl Lønberg, der Organisator unter anderem des jährlich im Oktober stattfindenden Austernfestivals von Rømø. „Austern sind lecker und gesund für uns, und wir tun etwas für die Natur, wenn wir sie sammeln und essen!“

Austern zum Frühstück

Am liebsten roh, mit Zitrone, oder mit der klassischen Vinaigrette. Alles andere zerstört für mich den Geschmack, aber das ist – Geschmackssache. Die Vinaigrette hat man hier draußen ja auch nicht unbedingt dabei, doch ein Austernmesser, einen Handschuh oder Handtuch sowie eine Zitrone dann doch schon. So gibt es gleich zum Wattenmeer-Frühstück meine erste selbst gesammelte Auster. Öffnen, riechen, kurz im Meerwasser abspülen um Sand- und Schlickreste zu entfernen und dann – genießen!

Die „Austernsafaris“ zu den wilden Austernbänken, an denen man sich ganz legal bedienen darf (solange man seine „Ernte“ nicht verkauft), werden von Oktober bis April angeboten. Im Sommer sollte man lieber keine Austern frisch aus dem Watt verzehren, denn dann könnten sie durch giftige Algen verdorben sein (anders als Zuchtaustern). Natürlich kann man auch alleine auf das Watt hinaus gehen, das aber nur bei ruhigem, stabilen Wetter. Und möglichst mit GPS oder Kompass, falls der Nebel sich nicht lichtet, sondern stärker wird, und mit entsprechender Vorsicht vor tiefen Prielen oder ausgedehnten Flächen sehr weichen Schlicks. Auf jeden Fall sicherer, und oft auch unterhaltsamer, sind die organisierten Touren, wie die her beschriebene vom Naturcenter Tønnisgård auf Rømø.

© Detlef Jens

Dort wird Austernnovizen auch gezeigt, wie man sie öffnet. Und zum Abschluss bekommt man sogar noch Rezepte, falls man die Austern nicht roh essen möchte, und einige sachdienliche Hinweise. Zum Beispiel, dass man Austern gerne einige Tage lang im Kühlschrank aufbewahren kann. solange sie geschlossen sind, nicht jedoch im Süßwasser. Und dass sie nach dem Öffnen nach frischem Meerwasser riechen müssen. Falls nicht – lieber verzichten und die nächste Auster nehmen!

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Auster
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