Detlef Jens

Journalist & Autor

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Besuch beim dänischen Austernfestival

Von Austernsafari bis Kochwettbewerb
10. Oktober 2021

Sie gilt als Dänemarks Austernküste und lockt aus aller Welt Gourmets und Liebhaber von Meeresfrüchten: Die Wattenmeerküste Südjütlands. „Danmarks Østersfestival“ (dt. Dänemarks Austernfestival), noch bis Montag, 11. Oktober, führt auf der Nordseeinsel Rømø und dem vorgelagerten Festland Veranstaltungen rund um die Auster zu einem hochklassigen Natur- und Kulinarik-Event für jedermann und jederfrau zusammen. Die Aktivitäten reichten von Austernsafaris über Kochwettbewerbe bis hin zu Austernverkostungen mit eigens für das Festival produziertem Champagner. Dabei bleibt man typisch Dänisch ganz entspannt und volkstümlich. Unser Autor Detlef Jens war vor Ort, hier sein erster Bericht:

© Ingo Wandmacher

Austern in der Fußgängerzone

Man ist nie vor einer angenehmen Überraschung sicher, vor allem nicht in einem so schönen, alten Ort irgendwo in der südjütischen Marsch. Tönder hat eine kleine, aber feine historische Altstadt mit Häusern, deren Gebälk von der Last der Jahrhunderte schief geworden ist. Sowie eine lebendige Fußgängerzone mit Läden, Cafés – und in diesen Tagen während des dänischen Austernfestivals einer sehr besonderen Pop-up Austernbar.

Der junge, aber sehr kreative und aufstrebende Koch Jonas Harboe arbeitet auf Bornholm, aber er liebt Austern und für diese kulinarische Leidenschaft kommt er auch schon mal in den wilden Westen Dänemarks, zum jährlichen Austernfestival, das hier und auf Römö stattfindet. Wenn es um Austern geht, ist er ein wahrer Künstler und zelebriert Austernkreationen von Weltklasse. Und das hier, auf einer Art Tapeziertisch im Freien, mit allerlei Schalen und Töpfen voller mysteriöser Zutaten. Und gleich daneben steht der Tisch von Victor Monchamp, dem Franzosen, der einst durch die Liebe nach Dänemark entführt worden ist, der aber vor allem für und von Austern und Wein lebt. Beides importiert er aus seiner Heimat, heute hat er gleich zwei meiner Lieblinge dabei. Einen sehr frischen, natürlichen Muscadet-sur-Lie von der Loire und einen wunderbar seidigen Champagner, nur fein und leicht moussierend, aber voller Geschmack. Der kommt von einem kleinen Familienbetrieb in der Champagne, die den größten Teil ihrer Trauben an die großen Markenhäuser verkaufen und nur ein paar hundert Flaschen im Jahr für sich selbst produzieren. Dies ist das wahre flüssige Gold der Champagne – und natürlich die beste Begleitung für frische Austern.

Signatur-Auster

Die von Jonas geradezu verzaubert werden. Man kann Austern natürlich klassisch und pur genießen, vielleicht mit einem Spritzer Zitrone oder der klassischen Vinaigrette. Aber Jonas Harboe hebt sie mit seiner Kunst auf ein neues Level. Seine „Signatur-Auster“, wie er sie nennt, ist die „Pink Oyster“. Natürlich frisch und roh, doch verbunden mit Spuren von eingelegten Hagebutten, Grapefruit und verziert mit einem schmackhaften Blütenblatt der Ringelblume. Die Kunst hier, wie bei seinen anderen Austernkreationen, liegt natürlich darin, das zarte und feine Austernaroma nicht zu übertünchen, sondern durch behutsame Begleitung hervorzuheben. Und noch eine Spur frischer und interessanter werden zu lassen.

Auster
© Detlef Jens

Das gilt auch für seine anderen „Modelle“. Eine Auster serviert er mit Öl aus gegrillten Feigenblättern und Schnitzen von unreifen, eingelegten Pflaumen aus seinem eigenen Garten. Oder mit einen Spritzer Dillöl, eingelegten und daher mildem Meerrettich und einer kleinen, ebenfalls eingelegten Stachelbeere. Die Auster wird damit in ein mildes, fast schon sahniges Gericht verwandelt. Den „Sommer Bornholms“ nennt er eine andere seiner Spezialitäten: Frisch eingelegte Piniennadeln, Maulbeere, wildem Knoblauch und Limonenöl vereinen sich hier als Begleiter der Auster.

Jonas ist eigentlich Souschef eines bekannten Restaurants auf Bornholm, doch sehr gerne reust er zu Pop-up Events wie diesem Festival. Ins Leben gerufen wurde das vor fünf Jahren von dem dänischen Gastro-Spezialisten Povl Lønberg. Seine Mutter war schön Köchin, er selbst sagt von sich, dass er erst kochen und dann laufen gelernt habe. Was ihn dann aber als Erwachsener vor allem interessiert hat, sind die Produkte, mit denen Köche arbeiten – und erst durch gute Produkte kann man, da ist er sich sicher, auch gut kochen. Kleine, dänische Produzenten liegen ihm besonders am Herzen. Und das mit einer gewissen Nachhaltigkeit. Diese sollen nämlich nicht nur bessere Möglichkeiten bekommen, ihre Produkte zu vermarkten, sondern auch den Nachwuchs auszubilden. Gäbe es keine interessierten Nachfolger mehr, so Povl, würde es auch bald keine kleinen Produzenten mehr geben. Von denen viele, das fügt er noch hinzu, für wenig Geld oft sehr viel arbeiten – aus Überzeugung und Begeisterung.

Auster ist ein wichtiges Thema in Dänemark

Die Auster ist ein großes Thema in Dänemark. Die einheimische Auster ist um 1900 ausgestorben, doch in den 1960er Jahren bekamen zwei Produzenten am Wattenmeer, auf Sylt und auf Römö, die Lizenzen zur Austernzucht. So wurde die pazifische Auster auch hier eingeführt, die ja in ganz Europa verbreitet ist. Und wie andernorts auch verbreitete sie sich im Wattenmeer rasant. So sehr, dass sie nun anderen Spezies im Ökosystem Watt den Lebensraum nimmt. Povl: „Austern essen ist also win-win. Gut für uns, weil so lecker und gesund, aber auch gut für die Natur. Ich sage ja immer: If you can’t beat them, eat them!“

Da gibt es viel zu tun. Geschätzte 72.000 Tonnen Austern gedeihen alleine im Watt um Römö. Sein Austernfestival zielt auch darauf ab, die leckeren Schalentiere einem breiteren Publikum schmackhaft zu machen, mithilfe bekannter und berühmter Köche vor allem, aber nicht nur aus Dänemark. Internationale Spitzenköche treten zum Wettbewerb „Austernkoch des Jahres“ gegeneinander an, auf den auch außerhalb des Festivals beliebten Austernsafaris können interessierte die Tiere bei geführten Ausflügen im Watt selber sammeln und anschließend roh genießen oder verschiedene Arten der Zubereitung kennenlernen.

© Detlef Jens

Während einer Publikumsveranstaltung werden auf Rømø beim „Oyster Grand Prix“ die besten Austern der Welt ausgezeichnet. Bis zu einem Dutzend Länder lassen jeweils ihre Austern von der versammelten Jury unter dem Vorsitz von Victor Monchamp bewerten.

„Austern sind wie Wein“, sagt Victor. „Der Geschmack und die Textur hängen vom ‚Meroir‘ – ein Begriff, den er selbst erfunden hat – der Auster ab, so wie der Geschmack der Trauben in einem Wein je nach ‚Terroir‘ variiert. Ein Chardonnay schmeckt anders, wenn er seine Wurzeln in Kalifornien, Australien oder Frankreich hat. Das Gleiche gilt für Austern, die einen unterschiedlichen Geschmack und unterschiedliche Eigenschaften haben, je nachdem, ob sie beispielsweise aus der Normandie, der Bretagne, Irland, Dänemark oder Japan stammen“.

Solche und ähnliche Veranstaltungen machen das Festival zu einem gelungenen Mix aus Publikumsevent einerseits und Treffpunkt von Köchen und Gastronomen andererseits. Immerhin hat Povl Lønbjerg einen hohen Anspruch: „Wir müssen die Region der dänischen Westküste auf der Weltkarte der Gastronomie bekannt machen. Auch die Austern in unserer Klimazone profitieren davon, wenn wir über sie reden. Austern sind eine nachhaltige Speise, und wenn wir während des Festivals so um die 7.000 Austern sammeln können, ist es umso nachhaltiger“.

Das nächste Austernfestival findet im Oktober 2022 statt. https://www.danmarksoestersfestival.dk


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