Verena Weustenfeld

Freie Journalistin

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Königin der Meere

Wird die Europäische Auster wieder heimisch?
9. Januar 2020

In weiten Teilen Europas gilt die Europäische Auster (Ostrea edulis) bereits als ausgestorben. Auf Helgoland soll sie künftig erstmals wieder gezüchtet werden, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Das jüngst gestartete Projekt „Proceed“ wird im Bundesprogramm Biologische Vielfalt mit 2,94 Millionen Euro durch das Bundesumweltministerium gefördert.

Europäische Auster (Ostrea edulis). © Solvin Zankl / Alfred-Wegener-Institut


Wichtige Funktion im Ökosystem Nordsee 

Die Biologen vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) wollen mit der Rückkehr der Europäischen Auster allerdings keinen Feinschmeckern einen Gefallen tun – bei ihnen steht der Naturschutz an erster Stelle.  Denn der Europäischen Auster kommt als Schlüsselart im Ökosystem der Nordsee eine besonders wichtige ökologische Funktion zu.


Bundesumweltministerin Svenja Schulze sagt: „Die Auster übernimmt für das Ökosystem Nordsee entscheidende Funktionen: Sie verbessert durch ihre Filterfunktion die Wasserqualität und sie baut Riffe, in denen sich vielfältige Arten ansiedeln. Mit diesem Projekt wollen wir dazu beitragen, die Existenz der Europäischen Auster in der Nordsee dauerhaft zu sichern.“ Bundesamt für Naturschutz-Präsidentin Prof. Beate Jessel ergänzt: „Wir möchten, dass die Europäische Auster in der Nordsee wieder heimisch und ihre wichtige ökologische Rolle erneut übernehmen wird. Die Forschung im Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben ‚Restore‘ hat deutlich gemacht, dass eine Bezugsquelle für Saataustern europaweit langfristig fehlt. Genau hier setzt ‚Proceed‘ mit der geplanten Zuchtanlage auf Helgoland an: Sie wird diese Austern für eine Wiederansiedelung in der deutschen Nordsee produzieren.“



Begehrte Delikatesse

Wie der berühmte Autor und Satiriker Jonathan Swift schon im 18. Jahrhundert feststellte: „Es war ein mutiger Mann, welcher die erste Auster aß.“ Schließlich präsentiert sich die Auster äußerlich nicht sonderlich appetitanregend. Dennoch war sie bereits in der Stein- und Eisenzeit Bestandteil des häuslichen Mittagstisches und entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer sehr beliebten und begehrten Delikatesse. Der Weltmarktanteil der Europäischen Auster beträgt allerdings nur 0,2 Prozent. Vermutlich wurden schon im 13. Jahrhundert mit sogenannten Dredgen ausgerüstete Segelschiffe eingesetzt, welche den Meeresboden pflügten und die Austernbänke abernteten. Die jahrhundertelange Übernutzung führte dazu, dass sich die Austernpopulationen nicht mehr schnell genug erholen konnten und im Bestand immer mehr abnahmen. Deshalb gilt die Europäische Auster seit Mitte des 20. Jahrhunderts in der Nordsee als ausgestorben. Der BUND meint: Das Wiederansiedlungsgebiet sollte auf jeden Fall frei von Störungen sein. Insbesondere ein absolutes Verbot der Fischerei mit Bodenschleppnetzen bzw. ein komplettes Fischerei-Verbot in der betreffenden Zone scheint Voraussetzung für eine Wiederansiedlung der sich langsam entwickelnden Population zu sein.

Europäische Auster (Ostrea edulis). © Solvin Zankl / Alfred-Wegener-Institut



Austern-Geschichten

Zahlreiche Geschichten ranken sich um die Auster. Der berühmte Philosoph und Schriftsteller Michel de Montaigne (1533-92) soll im Alter geglaubt haben, mit Weißwein und Austern seiner Gicht Abhilfe schaffen zu können.


Ludwig der XIV. (1638-1715 – auch als „Sonnenkönig“ bekannt) schlürfte mit seinen Kurtisanen regelmäßig Unmengen an Austern. Sein Leibkoch, der berühmte François Vatel, soll bei einem Besuch des Königs in Chantilly aus schierer Verzweiflung über eine fehlende Fisch- und Austernlieferung Selbstmord begangen haben. Als die Lieferung wenig später dann doch noch eintraf, war es natürlich schon längst zu spät für den guten Koch. Vor seiner Hochzeitsnacht mit Maria Theresia von Spanien, soll Ludwig der XIV. angeblich 400 Austern verschlungen haben. Sechs Monate nach dem Tod seiner Frau Maria Theresia heiratete Ludwig der XIV. heimlich die Madame de Maintenon, welche ihn vor einer möglichen „Vergiftung durch grüne Austern“ bewahren sollte. Dies dürfte Ludwig den XIV. damals sehr amüsiert haben, zumal ihm natürlich klar war, dass es sich lediglich um die vorzüglichen französischen Marennes-Austern handelte (welche oft eine zart grüne Farbe aufweisen).

Europäische Auster (Ostrea edulis). © Solvin Zankl / Alfred-Wegener-Institut


Der berühmte französische Schriftsteller Honoré de Balzac (1799-1850) war ebenfalls ein großer Austern-Fan. Seine Vorliebe lag in erster Linie im reinen Genuss dieser Leckerbissen. So wird beispielsweise erzählt, dass Balzac einen seiner Verleger, Herrn Werdet, einmal zum Essen ins Restaurant Véry in Paris einlud. Wohl wissend wie es um die derzeitigen finanziellen Verhältnisse von Balzac stand, begnügte sich Werdet mit einer Tasse Suppe. Er staunte dann nicht schlecht, als Balzac zur Vorspeise 100 Austern genoss. Hungrig beobachtete Werdet wie der gute Balzac daraufhin als Entrée zwölf Lammkoteletts, eine Ente, zwei Rebhühner und eine Seezunge verdrückte und mit den besten Weinen runterspülte.


Nach dem Dessert (ca. 12 Birnen) war es an der Zeit den Wirt zu bezahlen. Nach der Präsentation der Rechnung zückte Balzac unverzüglich seine Geldbörse, entdeckte jedoch mit augenscheinlichem Entsetzen, dass er kein Geld dabeihatte. Freundlich bat er Werdet doch bitte einmal zu prüfen, wie es in seinem Portemonnaie aussah. Werdet hatte lediglich 40.00 Franc dabei. Balzac nahm 5.00 Franc heraus und hinterließ sie als Trinkgeld. Am nächsten Tag stellte er seinem Verleger Werdet den Gesamtbetrag der Zeche (62.50 Franc) in Rechnung.


Der berühmte Schriftsteller, Abenteurer und Charmeur Giacomo Casanova de Seingalt (1727-1798) soll täglich mindestens fünfzig dieser Kreaturen im eigenen Saft als „Ansporn für Geist und Liebe“ genüsslich verspeist haben. Theodor Fontane war der Auffassung: „Ein Optimist ist ein Mensch, der ein Dutzend Austern bestellt, in der Hoffnung, sie mit der Perle, die er darin findet, bezahlen zu können.“

Europäische Auster (Ostrea edulis). © Solvin Zankl / Alfred-Wegener-Institut