Vampir, was für ein schönes Wort, wie melodisch es klingt, und was für romantische Vorstellungen es erweckt – wovon ja auch die in diesem Buch versammelten Geschichten Zeugnis ablegen. Aber was bedeutet dieses Wort eigentlich? Tja, wenn man das wüsste! Es gibt eine Menge Erklärungen. Alle führen irgendwie nach Bulgarien, wo es ein Wort namens „Vapir“ gegeben haben soll, das „geflügeltes Wesen“ bedeutet haben soll, aber was das für ein Wesen war, verliert sich in den Nebeln der Mythen. Es ist also noch viel zu erforschen! Vorerst aber können wir feststellen, dass der Vampir in der Geschichte von Alyson Faye die Tradition fortsetzt, wenn er sich Breitschwinge nennt. Natürlich kann nicht jedes vampirige Geschöpf als geflügeltes Wesen durchgehen, nicht mal als Schmalschwinge, denn eine mumifizierte Vampiresse (wie bei Brigitte Beyer) hat garantiert nicht die kleinste Schwinge aufzuweisen. Kein Wunder, dass das Wort Vampir da so weit verbreitet ist.
Wer keine Milch hat, trinkt Blut
Sehen wir uns in Wörterbüchern um, so hat das V-Wort eine wirklich umwerfende Karriere hingelegt und sich in aller Welt verbreitet. Hier ein paar Beispiele: Vampire (Englisch), Vampiro (Spanisch), Bampira (Winaray). Vampiri (Albanisch), Vampir (türkisch), Banpiro (Baskisch), Vampyyri (Finnisch), Vampiri (Suaheli), Vampier (Niederländisch), Fampir (Walisisch), Vampiru (Isländisch). Doch halt! Das Isländische bietet noch ein zweites Wort: Búlgversku, was „bulgarisches Wesen“ bedeutet, ohne dass in der isländischen Überlieferung irgendein bulgarisches Wesen zu finden wäre, aber es führt zurück zu den Ursprüngen. Außerdem haben sie auf der Vulkaninsel gleich zwei Weihnachtsmänner, die Milch klauen, und Milch und Blut sind als Lebenselixiere doch eng verwandt. Wer keine Milch hat, trinkt eben Blut, das wussten schon die Nibelungen, als Kriemhild ihnen die Getränkelieferungen strich und die Halle anzünden ließ. Die isländischen Weihnachtsmänner, die Milch trinken, heißen Giljagaur und Stekkjastaur. Letzterer hat sich auf Schafsmilch spezialisiert und saugt, wenn das Schaf nicht genug Milch hergibt, dem armen Tier auch mal das Blut aus. Damit ist Giljagaur übrigens in guter Gesellschaft. Aus Norwegen wird von einer Trollsorte berichtet, die Kühen die Milch aussaugt, und wenn sie nicht rechtzeitig mit Saugen aufhören, kommt Blut. Es gibt auch Hexen, die ihr Messer in die Wand rammen, und dann fließt Milch aus Nachbars Kühen, oder eben Blut, wenn die Milch nicht ausreicht. Nibelungen, Weihnachtsmänner, Trolle, alles Vampire?
Aus der sprachlichen Reihe tanzen das Bretonische mit „Suner-Gwad“ („Blutsauger“) und das Irische mit „Deamhan Fola“ („Blutdämon“). Natürlich gibt es auch andere Namen, wenn zum Beispiel. das bulgarische Wesen so ganz anders aussieht oder im Verhalten abweicht – ein überaus anschauliches Beispiel aus Schottland bringt uns Michael Klevenhaus. Und die schönen Frauen im schottischen Hochland haben eine Kollegin auf den Färöern, die Mara genannt wird. Sie ist eigentlich eine Art böse Zahnfee, sie setzt sich auf die Brust der schlafenden Menschen und saugt ihnen die Zähne aus. Dass dabei auch das Blut mit ausgesaugt wird, ist sozusagen Kollateralschaden und kann dem nunmehr zahn- und blutlosen Menschen sowieso egal sein, denn er ist tot. Wir sehen, es ist ein weites Feld, und längst nicht zu jeder Vampirsituation konnten wir die passende Geschichte finden.
Seit wann das Wort Vampir sich so allgemein ausgebreitet hat, ist nicht ganz klar, für das Deutsche finden wir aber immerhin eine klare Auskunft im Wörterbuch der deutschen Volkskunde von Erich Beitl. Seit 1725. Beitl ist ziemlich streng und verlangt, nur den „blutsaugenden Wiedergänger und den lebenden Leichnam“ der türkischen, serbischen, slawischen und ostdeutschen Sage als Vampir zu bezeichnen. Und jedenfalls, 1725 wurde ein solcher aktenkundig auf Deutsch so genannt. Als er gepfählt wurde, spritzte sein Blut gen Himmel, und er zeigte erectio penis. So steht es da, und wir möchten gleich warnen: In keiner der uns zugänglichen Geschichten zeigt der Vampir erectio penis, was natürlich schade ist. Aber immerhin erfahren wir, dass die Vampire mit der Zeit gehen und ihre Ernährungsgewohnheiten dem Zeitgeist anpassen (das weiß Christof Stählin), oder sich ganz und gar umstellen (wie wir von Eris von Lethe) erfahren. Und dabei war ihre Ernährung doch so gesund! Blut enthält nämlich sehr wenig Fett, ist aber reich an Eisen, das leichter vom Körper absorbiert wird als Eisen aus vegetabilischen Nahrungsmitteln, das können wir in Kochbüchern nachlesen, wo Anleitungen zum Kochen von Blutwürsten erteilt werden. Ein gesundes, billiges und nachwachsendes Nahrungsmittel also. Kein Wunder, dass da der vampirische Lebensstil wissenschaftlich untersucht, das hat Christel Hildebrandt herausgefunden, und – nein, dieses Vorwort muss ein Ende haben, und wir werden hier nicht auf den Zusammenhang zwischen Vampiren und Tenören eingehen.
Lieber liefern wir ein Rezept aus alter Vampirtradition! Aufgezeichnet hat es die norwegische Kochbuchpionierin Hanna Winsnes für ihr 1845 erschienenes „Lehrbuch in den verschiedenen Zweigen der Hauswirtschaft“, in dem zum ersten Mal in der norwegischen Literatur die Rezepte mit der magischen Formel „man nehme“ beginnen. Blutpfannkuchen nach Hanna Winsnes!
„Man nehme Blut“
Man nehme: Blut (sie schreibt nicht, wie viel, so viel, wie man kriegen kann, zweifellos).
Das Blut wird mit Wasser oder Milch (!) verdünnt und mit Mehl zu einem Teig verarbeitet. Die ältesten und einfachsten Varianten enthalten Gerstenmehl, aber man nehme das Mehl, das gerade zur Hand ist. Der Teig wird nach Belieben gewürzt, zum Beispiel mit Pfeffer, Ingwer, Nelken und Piment. Gern wird auch Rindernierenfett dazugegeben, das macht den Teig schön geschmeidig (Nierenfett von anderen Tieren geht auch). Besonders lecker wird es, wenn wir noch Graupen und Rosinen in den Teig mischen.
Der Teig wird nun in eine Pfanne gegossen und gebraten, gewendet, abermals gebraten und gewendet, nach althergebrachter Pfannkuchenbäckermanier eben. Die fertigen Küchlein werden serviert mit Sirup, Zucker oder Preiselbeermarmelade und zerlassener Butter. Dazu wird Milch getrunken. Was auch sonst. Schön wie Milch und Blut eben!
Buchtipp
Schön wie Milch und Blut – Vampirische Geschichten, herausgegeben von Karin Braun & Gabriele Haefs.
Eignet sich Blut als Grundnahrungsmittel? Können auch Häuser oder Grundstücke vampirische Eigenschaften haben? Gehören sie als Spezies geschützt? Dies sind nur einige vampirische Fragen, denen die Autoren und Autorinnen in 20 Geschichten & Gedichten nachgehen.
Autor:innen: Brigitte Beyer, Algernon Blackwood, Karin Braun, Alyson Faye, Gabriele Haefs, Levi Henriksen, Christel Hildebrandt, Marion Hinz, Micheal Klevenhaus, Eris von Lethe, Eithne Ní Ghallchobhair, David Slattery, Christof Stählin, Sylvia Treudl, Elin Trollerud.
ISBN: 978-3-384347541. Tredition. 13 Euro.