Gabriele Haefs

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Joikakaker – eine norwegische Delikatesse?

Über Fleischklößchen aus der Dose
20. Januar 2022

Allein die Überschrift wird sicher hier und da ein Stirnrunzeln erzeugen – Joikakaker und Delikatesse? Tatsächlich streiten sich hier die Geister, die einen lieben diese Fleischkößchen aus der Dose, die anderen verachten sie zutiefst. Joikakaker, der Name spielt an auf die Technik des Joiken, das ist der überaus komplizierte und ausgefeilte Gesangsstil der Sami (ausführlich vorgestellt in „111 Gründe, Norwegen zu lieben“). Auf dem Etikett der Joikakaker war denn auch bis vor kurzem ein lachender Knabe in samischer Tracht abgebildet; die Zielgruppe sieht sofort, hier gibt es echte Ware. Denn die Sami züchten bekanntlich Rentiere, und die Dose muss dann ja wohl Rentierfrikadellen enthalten.

Tatsächlich schmecken die Joikakaker ein bisschen „wild“, man braucht gar nicht viel Phantasie, um wirklich zu glauben, was das Etikett anzudeuten scheint. Dazu kommen sie sozusagen tischfertig aus der Dose, brauchen nur aufgewärmt zu werden, können mit Pilzen und Preiselbeeren angereichert werden, schon ist das wilde Menü fertig.

Nomen est omen  

So war es bis vor kurzem, und natürlich waren wegen dieser einfachen Zubereitung die Joikakaker in Norwegen sehr beliebt. Aber die Zeiten ändern sich, und das Produkt kommt nun nicht mehr aus der Blechdose, sondern aus dem Pappkarton. Der lächelnde Knabe ist auch verschwunden, er könnte ja als samifeindlich und diskriminierend aufgefasst werden, und der Name Joikakaker gleich dazu, weshalb die ansonsten unveränderten Klößchen nunmehr Vilti heißen.

Das ist ein schöner programmatischer Name. Vilt heißt auf Norwegisch „Wild“, und „i“ heißt „in“, in diesem Karton ist also Wild drin. Vilti klingt aber auch verniedlichend, nicht ganz ernst zu nehmen. Wenn also der Verdacht aufkommt, das Fleisch sei vielleicht nicht ganz so wild, dann kann jeder Vorwurf damit entkräftet werden: Es ist ja sozusagen nur „Wildchen“, und es ist Wild drin, nirgendwo steht, dass wir es mit schierem Rentierfleisch zu tun haben. Anstelle des Knaben sind allerdings niedliche kleine Rentiere getreten, so dass trotz aller Veränderungen klar ist, was hier auf den Teller kommt.

Natürlich hat das alles die norwegische Fangemeinde ungemein erregt. Die Umbenennung hat manche erzürnt, die üblichen Vorwürfe von „Zensur“ wurden laut, dass der lächelnde Knabe durch Rentiere ersetzt wurde, wurde als „feige“ bezeichnet, weil man bei Rentieren ja doch wieder an Sami denkt, Rassismus durch die Hintertür also. Wer Joikakaker noch nie leiden konnte, echauffierte sich über die Umbenennung: Wäre es nicht besser gewesen, diesen Dreck gleich vom Markt zu nehmen.?

Noch andere, die einfach gern beobachten, freuen sich über die geniale Umbenennung. Es ist Wild drin, aber wie viel eigentlich? Das verrät ein Blick auf einen nagelneuen Vilti-Karton. Zum Inhalt steht da: 11 % tamrein, wörtlich übersetzt „Zahmren“, also Zucht, durchaus nicht „wild“, doch selbst das zahmste Rentier hat noch einen kleinen Rest Wildheit in sich, und insofern ist dem Etikett keine Lüge nachzuweisen. Aber jemand schrieb, als auf norwegischen Websites die Wellen ganz besonders hochschlugen: „Vilti ist irreführend und beleidigend, Rentiere sind gar nicht so wild, und sie leben außerdem sehr eng zusammen in ihren Herden.“ 

Rentier oder Wal 

Das mit den 11 % ist ein bisschen verwirrend, wenn wir den Karton für einen Moment beiseitelegen und uns die Website der Herstellerfirma ansehen. Dort lesen wir folgende Zutaten für die Soße: 60 % des Inhalts des Kartons: Schaffleisch, Wasser, Weizenmehl, Rapsöl, brauner Ziegenkäse, Milch, Salz, Glukosesirup, Aroma, Extrakt von Rindfleisch, Sellerie, Farbe. In den Klößchen: 40 % des Inhalts: Fleisch von Rind, Schaf und Rentier (45 %, 17 % davon Rentier), Milch, Herz- und Kopffleisch vom Rind, Kartoffelstärke, Schwarte, tierische Fette, Blutprotein im Schwein, Salz, Weizenfasern, Gewürze.

Falls nun noch jemand Appetit hat und weiterlesen möchte: Wenn im „Vilt“ 11 % Fleisch vom zahmen Rentier enthalten sind, auf der Packung aber 17 % Rentierfleisch angegeben ist, müssen die 6% doch vom wilden Rentier stammen? Also, die Packung lügt nicht, es ist Wild drin. 

Nicht bestätigen mochten die Hersteller eine alte Geschichte, die in den Kommentarspalten immer wieder auftaucht: Dass ihnen vorgeworfen wurde, dass sie überhaupt nur ganz wenig Rentierfleisch verwendeten – in den alten Zeiten, als die genaue Zusammensetzung des Produktes noch nicht auf der Packung stehen musste, natürlich. Sondern, und das zeigt, wie alt diese Geschichte schon sein muss: Das als Spurenelement vorhandene Rentierfleisch werde mit Walfleisch aufgefüllt. Die Antwort, angeblich, wie gesagt, kein Kommentar von der Herstellung: „Na und?“ Rentierfleisch allein hätte die Joikakaker gewaltig verteuert, also nahm man damals das billige Walfleisch, und zwar in einem ausgewogenen Verhältnis: 1:1, ein Wal auf ein Rentier.“ 

Ob in der Blechdose oder im Tetra Pak: Lebensmittel können Geschichten erzählen, auch und gerade in Norwegen. 

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