Gabriele Haefs

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Anreise mit Meerblick

Mit der Fähre von Kiel nach Oslo
17. August 2021
© Color Line/ Glenn Walmann

Nach Norwegen muss man ja erst mal kommen. Klar, es gibt viele Wege, mit der Bahn, dem Bus, dem Auto, man kann fliegen, es gibt allerlei Fähren aus Dänemark, ja, und dann gibt es die aus Kiel. Früher hießen die Fähren nach Angehörigen des Königshauses, Kronprinz Harald, Prinzessin Ragnhild. Dann wurden die alten Fähren ausrangiert und durch neue, größere ersetzt, und alle hofften auf schöne neue Namen, Prinzgemahl Ari oder so. Aber die Reederei, früher Jahre Line (nach dem Gründer Anders Jahre tat sich mit der Norway Line zusammen und hieß jetzt Color Line. Entsprechend phantasielos sind die Namen der neuen Fähren: Color Magic und Color Fantasy. 

In Oslo und Kiel wurden dann neue Terminals gebaut, die Platz genug für die größeren Schiffe boten. Der in Kiel ist besonders schön geworden: Er liegt dem Bahnhof gegenüber, man kann bequem zu Fuß rüberschlendern, sollte aber Zeit einplanen. Eine Zugbrücke kann gerade dann hochgehen, wenn man es furchtbar eilig hat, um noch zum Einchecken rechtzeitig zu sein, und dann gibt es noch eine Bahnlinie für Gütertransporte im Hafen, die ebenfalls zu überqueren ist. Der Terminal in Oslo liegt ein Stück außerhalb und ist nicht so verkehrsgünstig gelegen (es gibt aber einen Bus vom Osloer Hauptbahnhof), dafür aber ohne Zugbrücken oder Bahnlinien. 

© Color Line/ Ovind Haug


Schwimmende Paläste mit Meerblick

Mit der Fähre nach Oslo zu fahren ist wie einen Extra-Urlaubstag zu erwirtschaften. Die Fähren sind wirklich schwimmende Paläste, mit Restaurants, Bars, Unterhaltungsprogramm, Schwimmbad. Auf den ersten Blick wirken die Preise auch entsprechend, aber so schlimm ist es nicht, es gibt fast immer überraschend günstige Sonderangebote, und man braucht dann nicht einmal die billigsten Kabinen zu nehmen. Gegen die gar nichs einzuwenden ist. Die Zeiten, als die billigsten Übernachtungsmöglichkeiten aus engen Kabinen unter dem Autodeck bestanden, mit je zwei Etagenbetten, die man mit völlig unbekannten Reisenden teilen musste, sind lange vorbei. Aber die billigsten Kabinen haben ihre Fenster nach innen und blicken auf die „Einkaufsstraße“, die quer durch das Schiff führt, und daran liegen Läden aller Art, Restaurants, Kneipen, und es ist furchtbar laut, weil fast die ganze Zeit Musik erschallt, und zwar keine, die man sich freiwillig auch nur eine Minute lang anhören würde. Und es ist dunkel. Als die neuen Fähren in Betrieb genommen wurden, war das eine oft gestellte Frage: Warum ist die Einkaufsstraße so dunkel? Warum gibt es nirgendwo ein paar Fenster mit Seeblick? Die Antwort gab jemand von Color Line (bittet aber darum, nicht mit Namen zitiert zu werden): Das ist psychologisches Marketing, das sich an die norwegischen Reisenden richtet. Die sind an die strengen Alkoholsitten ihres Landes gewöhnt, und wenn sie bei helllichtem Tage Alkohol trinken, kriegen sie sofort ein schlechtes Gewissen. Die Dunkelheit in der Einkaufsstraße bringt das schlechte Gewissen zum Schweigen, denn das Unterbewusstsein bildet sich ein, es sei schon Abend. Raffiniert gedacht, und es wirkt! Das kann uns aber egal sein, es gibt keine erholsamere Art, nach Norwegen zu reisen, als in einer Kabine mit Außenfenster zu sitzen, ein schönes Buch zu lesen und ab und zu aufs Meer hinauszublicken. Man kann die Kabine auch verlassen und spazieren gehen, sich an Deck setzen, eins der höhergelegenen Cafés aufsuchen, die aufs Wasser hinausblicken, Cafés von der Sorte, in denen man zu gern mit dem Herrn Mitreisenden einen Cognac trinkt! Morgens hat man dann Blick auf den märchenhaft schönen Oslofjord – kann frühstücken (und die Restaurants, in denen Frühstück serviert wird, haben Fenster mit Blick aufs Meer!), und dann ist man da.

© Color Line/ Jorgen Syversen

Endlose Gänge

Von diesem Moment an ist die Sache weniger erholsam. Um das Schiff zu verlassen, muss man durch endlos lange Gänge wandern. Wenn gerade viel los ist auf der Fähre, kann es leicht mal eine halbe Stunde dauern, bei strenger Passkontrolle oder wenn Rauschgifthunde in Dienst sind, noch länger. Dieser Gang ist eine Qual für Gehbehinderte, Leute mit Krücken, Leute mit Atembeschwerden, oder auch solche mit viel Gepäck. Außerdem gibt es auf der ganzen Strecke keine Toilette, nicht mal, wenn man die Sache endlich hinter sich gebracht hat, dann muss man erst ins Nebengebäude in die Abteilung zum Einchecken. Man kann aber, um die schöne Überfahrt nicht noch am Ende zu ruinieren, einfach warten. Man setzt sich in der Einkaufsstraße auf eine Bank und hält den Ausgang im Auge. Dann sieht man, wenn sich die Schlange zerstreut hat und es nicht mehr im Schneckentempo geht, und dann wandert man los und braucht nur zehn Minuten. Zudem kann man sich auf einem riesigen Bildschirm ein Informationsprogramm über die Sehenswürdigkeiten von Oslo zu Gemüte führen. Eigentlich ist es nicht besonders interessant, es werden nur die Dinge erwähnt, die ohnehin in jeder Broschüre stehen, aber der Text wurde entweder verfasst von einer Person, die schon so lange in Norwegen lebt, dass sie vergessen hat, wie Deutsch eigentlich geht, oder von einem Norweger, der sich einbildet, richtig gut Deutsch zu können, und die vielen kleinen Missverständnisse, wenn zum Beispiel eine Werft „niedergelegt“ wird statt stillgelegt, vertreiben sehr schön die Zeit.

Umgekehrt ist das übrigens nicht so, bei der Ankunft in Kiel werden keine Sehenswürdigkeiten auf kuriosem Norwegisch angepriesen. Dafür ist der Weg hinaus viel kürzer und es gibt keine Rauschgifthunde, dafür aber Toiletten im Terminal. Nur sind dann noch Bahnlinie und Zugbrücke zu bewältigen. Wenn man also von Kiel aus mit der Bahn weiterfahren will, sollte man mindestens eine Stunde zwischen der offiziellen Ankunft und der Weiterfahrt einplanen. In Oslo allerdings noch mehr, da muss man ja erst mal in die Stadt gelangen.

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