Gabriele Haefs

Autorin

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Abenteuer und Wahnsinn Walfang

30. Juni 2021

Das mit dem Walfang ist so eine Sache – natürlich wäre er eher ein Grund, Norwegen zu verabscheuen, und es ist eine Sauerei, dass sie nicht damit aufhören. Zumal die wirtschaftliche Bedeutung nicht mal mit der Lupe zu erkennen ist, immer wieder wird ausgerechnet, dass es für Norwegen billiger wäre, allen aktiven Walfängern eine dicke Pension und ein Haus auf Mallorca zu spendieren, als sie weiterfangen zu lassen. Aber es geht natürlich um Dickköpfigkeit und nationalen Stolz und ähnlichen Unsinn, und deshalb werden sie zweifellos noch weiterfangen, so lange noch Wale vorhanden sind. Die letzten Walfänger, die die großen Walfangjahrzehnte miterlebt haben, sind jetzt uralt, und sie erzählen so gern, und ihre Geschichten dürfen einfach nicht verloren gehen. Und die alten Herren sagen auch immer wieder, was sie damals getrieben hätten, sei verantwortungsloses Abschlachten gewesen, und es sei einfach durch nichts zu verantworten, damit immer noch weiterzumachen. Harald Karlsen, (1948 – 2009) war eigentlich Mathematiker, ich bin stolze Besitzerin seines Standardwerkes „Mathematik für Berufsschulen“, ich verstehe kein Wort, halte es aber sehr in Ehren. Harald Karlsen hat aber in der Familie und in der Nachbarschaft Walfängergeschichten gesammelt, das geplante Buch konnte er nicht mehr schreiben, und ich bin einfach froh, dass ich hier ein bisschen davon widergeben darf. Harald Karlsen kam von der Insel Nøtterøy, bei Tønsberg am Auslauf des Oslofjords gelegen, und deshalb stammen seine Geschichten (und meine, weil ich ja ohnehin nur eine winzige Kurzfassung bringen kann, werden sie hier vermischt und gemixt).

Fotos: Kåre Kivijärvi / VG Bild- Kunst, Bonn 2017

Die Walfangsaison begann Ende August, dann machten sich die Fänger zur Fahrt bereit. Zuerst mussten sie sich dicke Kleidung, Messer und Wetzeisen und sogar Ätznatron zum Seifekochen besorgen, selbst Stroh für ihre Matratzen mussten sie selbst mitbringen. Die Reise in die Antarktis dauerte dann viele Wochen, sie führte durch die Tropen, wo sie einerseits alles für die Jagd vorbereiteten, sich andererseits aber ein letztes Mal amüsierten. Hier zwinkert so ein alter Walfänger dann immer listig, jedenfalls, wenn er seine Geschichte einer interessierten Zuhörerin erzählt. Es war keine besondere Ausbildung nötig, die guten Verdienstmöglichkeiten zogen Männer aus allen Berufssparten an. Wer schießen konnte, war zu gebrauchen, wer kochen konnte, wurde zum Schiffskoch ernannt, und nicht einmal, um Chef eines Walfängerschiffes zu werden, war eine besondere Ausbildung vorgeschrieben. In der Antarktis wurden dann die Aufgaben verteilt, denn die erbeuteten Wale wurden dort gleich zerlegt und gekocht. Und während so ein Wal zerteilt wurde, flatterten die Seevögel um den blutenden und stinkenden Kadaver und fraßen sich so voll, dass sie kaum noch abheben konnten. Von Oktober bis April wurde rund um die Uhr gearbeitet. Nur einmal wurde eine Pause eingelegt, zu Weihnachten natürlich. Einen Weihnachtsbaum gab es allerdings nicht, die Männer bekamen ein Festmahl, stießen auf der Anreise gebunkertem spanischen Cognac an und mussten wieder an die Arbeit, sowie sie ausgenüchtert waren. Wenn ich Schilderungen aus den dreißiger Jahren höre, komme ich mir vor wie in einen Roman von Jack London versetzt. Die Walfänger waren von allem abgeschnitten, hatten keine Möglichkeit zu erfahren, was in der Heimat vor sich ging, aber auf einer norwegischen Walstation in Südgeorgien hatten sie einen Stummfilm mit dem vielversprechenden Titel „Die Spur des Tigers“ – es war bestimmt ein supertoller Film, leider gibt es so viele Stummfilme, die ähnlich heißen, und der richtige konnte noch nicht identifiziert werden. Einer aus der Mannschaft, der eine Fiedel mitgenommen und sie in seiner Naivität auch noch vorgezeigt hatte, musste jeden Abend – denn der Film wurde jeden Abend gezeigt, da sie keinen anderen hatten! – während der Vorstellung lustige Fiedelstücke bringen.

Später, also nach dem Krieg und bis in die sechziger Jahre – gab es immerhin Funkverbindung nach Norwegen, und manchmal konnten sie sogar norwegisches Radio empfangen. An Plackerei und Suff änderte sich aber nichts.

Wenn sie dann im Frühling nach Hause kamen, wartete natürlich die ganze Gegend. Die Männer hatten gut verdient und keine Gelegenheit gehabt, etwas auszugeben. Die Familienväter wollten natürlich sofort nach Haus zu Frau und Kind und brachten Kiloweise Kaugummi und spanische Pralinen mit. Die Junggesellen warfen mit dem Geld um sich – wieder ein Augenzwinkern, der alte Walfänger betont, sie hätten damit vor allem vor der Dame ihres Herzens angeben wollen, in der Hoffnung, dass die sich während der dunklen Wintermonate nicht einen anderen gesucht hatte. Es konnte dann schon vorkommen, dass der Heimkehrer die Angebetete ins Kino einlud und dann sämtliche Karten gekauft hatte, so dass die beiden ganz allein mitten im Saal saßen – perfekt, um während einer romantischen Szene den jede Nacht in der Antarktis geübten Heiratsantrag zu flüstern! Andere, ohne solche konkreten Pläne, fuhren mit dem Taxi von Oslo nach Tønsberg, was damals mindestens vier Stunden dauerte und wie heute ein Vermögen kostete. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber diese Geschichte wird immer wieder erzählt: Einer wollte unbedingt ein rotes Taxi. Ein rotes stand aber erst an neunte Stelle in der Taxischlange, deshalb mietete er auch gleich die neun und ließ sie vor sich und dem roten Taxi her nach Hause fahren. Mit allem war Ende der sechziger Jahre Schluss, schon damals war klar, dass die Walbestände in der Antarktis zu sehr dezimiert worden waren. Walfang in geringerem Ausmaß war auch im Norden möglich – aber da gibt es nicht so schöne Geschichten. Die Geschichten kann man nur von alten Walfängern hören, aber ein Bild von der großen Walfangzeit kann man sich im Museum machen, in Tønsberg gibt es ein eigenes Walfangmuseum – und das ist nur richtig. Aus Tønsberg stammte der Walfänger Svend Føyn, der 1863 die erste Granatharpune konstruiert hatte. Diese Harpune explodierte im Leib des Wals – und sie war sozusagen der Anfang der Walschlächterei, die schließlich das Überleben der Wale überhaupt gefährdet hat. Es gibt übrigens auch ein Walfangmuseum in Sandefjord, das eigentlich Norwegens Walfanghaupstadt war – aber das mögen die alten Herren in Tønsberg und auf Nøtterøy nun wirklich nicht hören.

Fischfang im Norden: hart, sehr hart

Das Museum Kunst der Westküste präsentierte von März bis Juni 2018 die erste museale Ausstellung in Deutschland über den norwegischen Fotografen und Journalisten Kåre Kivijärvi (1938–1991). Zu sehen war eine Auswahl von Schwarz-Weiß-Vintage-Prints, die hoch im Norden von Norwegen entstanden sind und faszinierende Einblicke in das Leben der Menschen in der kargen, eisigen Landschaft geben. Kivijärvis produktivste Zeit datiert in die 1960er Jahre.

Kivijärvi gilt als einer der Künstler, die wesentlich dazu beitrugen, die Fotografie als eigenständiges künstlerisches Medium in Norwegen zu etablieren.

www.mkdw.de

Fotos: Kåre Kivijärvi / VG Bild- Kunst, Bonn 2017

Zur Buchvorstellung:  Das schönste Land der Welt. 111 Gründe Norwegen zu lieben.