Gabriele Haefs

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Pilze haben die Weltgeschichte geprägt

Pilzpolizei in norwegischen Wäldern
28. September 2023
© Gerhard Koller

Norwegen ist eigentlich ein El Dorado für Pilzfans, im Herbst wimmeln Feld, Wald und Wiese nur so davon, und so lange man kein Privatgrundstück betritt, kann man hemmungslos sammeln und sich dann ein feines Abendmahl zubereiten. Natürlich sollte man über gute Pilzkenntnisse oder ein zuverlässiges Pilzerkennungsbuch verfügen, damit man keinen Giftpilz erwischt … oder gar einen Psilocybinpilz! Diese Pilze, auch bekannt als Magic Mushrooms, wachsen im norwegischen Wald in rauen Mengen, vor allem die Art Spitzkegeliger Kahlkopf ist reich vertreten. Auf Norwegisch heißt dieser halluzinogene Pilz „fleinsopp“, nach einem alten Wort für „Pfeil“, das im modernen Norwegisch ausgestorben ist. Und wirklich, er läuft oben sehr spitz zu, der Name überzeugt also durchaus. Aber weil das alte Wort „flein“ eben längst ausgestorben ist, kam es dann zu einem weitreichenden Missverständnis. Dass nämlich die Wikinger vor dem Kampf Fliegenpilze verzehrt hätten, um sich in die richtige Kampfeswut hineinzusteigern und in ihrem Rausch so weit weggetreten zu sein, dass sie nicht so recht merkten, wenn um sie herum das Blut gen Himmel spritzte oder ihnen ein halber Arm verlorenging. „Fluesopp“ und „fleinsopp“ klingt auch ein wenig ähnlich. Aber: Nichts davon ist wahr. Hätten sich die Wikinger mit Fliegenpilzen vollgestopft, dann wären sie tot umgefallen, noch ehe der erste Feind auf Zuruftweite herangekommen wäre. Fliegenpilze sind nämlich sehr giftig! Die mittelalterlichen Chroniken sagen auch deutlich, dass vor dem Kampf zum Spitzkegeligen Kahlkopf gegriffen wurde, aber die waren ja viele Jahrhunderte hindurch in Vergessenheit geraten und mussten erst mühsam wieder entziffert werden, und bis dahin hatte sich die Geschichte mit den Fliegenpilzen schon in halb Europa verbreitet.

© Kooikkari Flickr

Zur Pilzzeit im Herbst schickt die norwegische Polizei immer eine Menge Patrouillen in die Wälder, um den Pilzesammlern ins Körbchen zu schauen. Und alle Lokalzeitungen bringen Fotos der stolzen Gesetzeshüter, die ihre Beute vorzeigen können. Dann folgen die unvermeidlichen Leserbriefe, ob die Polizei nichts Wichtigeres zu tun hätte, aber das spielt hier keine Rolle. Also, beim Pilzesammeln in Norwegen den Fleinsopp meiden, denn sein Besitz kann zu unangenehmen Geldbußen und sogar zu Gefängnisstrafen führen. Den giftigen Fliegenpilz dagegen dürfen sie nach Herzenslust mitnehmen, den zu sammeln ist schließlich erlaubt.

Gabriele Haefs: 111 Gründe, Norwegen zu lieben. Eine Liebeserklärung an das schönste Land der Welt. 308 Seiten, TB, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 12,99 Euro.