Zu Jahresbeginn erscheinen sie – die „Food – und Ernährungs-Reports“. Wissenschaftler der verschiedensten Fachrichtungen wagen Prognosen zu den Entwicklungen in Gastronomie, Ernährungsgewohnheiten und Vorlieben für bestimmte Lebensmittel. Wem wurde da nicht eine glänzende Zukunft prognostiziert: der nordisch-skandinavischen, japanischen, levantinischen Küche und anderen, die schnell wieder in Vergessenheit geraten sind.
Nachdem nun fast die ganze Welt durchgekaut wurde, müssen die Trendpropheten neue Themen (er-)finden. Weil 2020 die Gastronomie als Themen-Treiber weitgehend ausgefallen ist, geraten jetzt schwieriger zu verarbeitende Schlagwörter in das Blickfeld. Die bekannte Food-Trendforscherin Hanni Rützler sieht in ihrem Food-Report 2021, dass „drei Trends die Gastro-Branche wiederbeleben und nachhaltig auf dem Kopf stellen“ könnten. Für einen „langfristig frischen Umsatz“ sorgen nach ihrer Ansicht „Ghost-Kitchen“, „Liquid Evolution“ und „Biodiversity“, wobei Letzteres zeitgerecht mit dem Klimawandel in Verbindung gesetzt wird.
Zwei Punkte vergessen wir mal schnell. Die Biodiversität ist da schon interessanter. Wie schon Viele vor ihr, kommt die Trendforscherin zu der Erkenntnis, dass der Klimawandel zur Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten führe und Ernten bedrohe. Aber es ist schon eine arg vereinfachte Sichtweise, dass die „Klimakrise durch regionale Arten- und Sortenvielfalt auf Äckern und in Ställen gemeistert werden“ könnte.
Das Plädoyer für historische Haustierrassen und Kulturpflanzen ist erfreulich – allerdings nicht neu. Teilweise seit Jahrzehnten arbeiten Einzelpersonen und Initiativen daran, dem Sterben der Agrar-Biodiversität etwas entgegenzusetzen. Seien es der „Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V.“, das Slow Food Projekt „Archepassagiere“ oder Eckart Brandt, Meinolf Hammerschmidt (Apfel- und Obstsorten) oder Karsten Ellenberg (Kartoffelsorten).
Von einem neuen Trend sollte man daher besser nicht sprechen. Vielmehr ist es ein mühseliger, langwieriger Prozess. Dies beginnt mit der Suche nach den letzten Exemplaren in Schrebergärten und endet nicht mit dem erfolgreichen Anbau.
Saatgut von historischen Gemüsesorten kann man zwar kaufen, oft jedoch „nicht für den gewerblichen Anbau“ – heißt: Die Früchte dürfen nicht gehandelt werden, auch nicht in Restaurants, weil sie keine Sortenzulassung besitzen. Insofern bleibt die Einschätzung von Hanni Rützler, dass Köche und Köchinnen – in diesem Fall nur theoretisch – „Zukunftsbotschafter“ sind, „die unbekannte, vergessene und neuartige Geschmacksnuancen präsentieren und den Weg für einen Wandel im Lebensmittelhandel“ bereiten, vorerst eine fromme Hoffnung.
Aber Hoffnung ist da. Tatsächlich werden einige Relikte der historischen Gartenkultur wieder bekannter und finden sich vor allem auf Wochenmärkten: Die Kartoffelsorte „Bamberger Hörnchen“ oder die Grünkohl-Verwandte „Schwarzkohl“. Neben der Roten haben auch Weiße, Gelbe und Geringelte Bete, Pastinaken, Petersilienwurzel den Sprung in den Lebensmittelhandel geschafft. Viele Bäckereien verwenden inzwischen Dinkel, Einkorn und Emmer. Angler Sattelschwein und Schwäbisch-Hällisches Landschwein sind wieder da. Letzteres ein herausragendes Beispiel, wie durch solidarisches Handeln der Erzeuger und vertrauenswürdiges Marketing eine historische Nutztierrasse in über 30-jähriger Arbeit erfolgreich am Markt etabliert werden konnte.
Weitere Kandidaten, die wiederentdeckt werden sollten: z.B. Bremer Scheerkohl, Haferwurzel
, Türkische Erbse und nicht zuletzt Holsteiner Blut, eine hocharomatische Rhabarbersorte, die es unbedingt verdient, wieder Einzug in die Dessertküche zu halten. Also, am besten Eigeninitiative ergreifen und wenn möglich ab in den Garten. Vielleicht gesellt sich auch Mieze Schindler, eine alte Erdbeer-Sorte, als adäquate Partnerin zum Holsteiner Blut?
Der Beitrag erschien im FEINHEIMISCH-Magazin Herbst 2021
Wolfgang Götze ist politischer Sprecher des Feinheimisch-Vorstandes.politik@feinheimisch.de