Jens Mecklenburg

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Es reicht!

Fleischindustrie abwickeln
19. Juni 2020

Der Corona-Ausbruch bei Tönnies hat die Debatte über die Zustände in der Fleischindustrie weiter befeuert. Ein Kommentar von Jens Mecklenburg.

Jens Mecklenburg Herausgeber & Autor Foto: Thomas Eisenkrätzer

Die Serie von Coronavirus-Ausbrüchen in der deutschen Fleischindustrie, zuletzt bei Tönnies im westfälischen Rheda-Wiedenbrück, hat die Diskussion um die Arbeitsbedingungen in Schlachtbetrieben weiter angeheizt. Kenner der Materie machen die niedrigen Fleischpreise dafür mitverantwortlich, welche wiederum die Verbreitung des Coronavirus befördert hätten.

So will das Land Nordrhein-Westfalen nach den jüngsten Corona-Vorfällen bei Tönnies über eine Bundesratsinitiative Niedrigpreise für Fleisch unterbinden. Durch das Vorhaben sollten im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb vorgesehene Ausnahmen bei der Preisgestaltung deutlich erschwert werden, sagte NRW-Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Ursula Heinen-Esser der Rheinischen Post. Weiter sagte sie „die gesamte Kette vom Stall bis zum Teller“ müsse überprüft werden. Der Preisdruck aus dem Lebensmittelhandel wirke sich auf die gesamte Kette aus und damit auch auf die Schlachtbetriebe. Es gebe „haarsträubende Sonderaktionen, bei denen Fleisch deutlich unter seinem Wert verkauft wird“. Dies müsse gestoppt werden. Denn grundsätzlich sei der Verkauf unter dem Beschaffungspreis untersagt.

Das Bundeskabinett hatte wegen der Serie von Coronavirus-Ausbrüchen in der Fleischindustrie bereits vor vier Wochen neue Auflagen für die Branche auf den Weg gebracht. Vorgesehen ist unter anderem ein Verbot von Werkverträgen, das ab dem 1. Januar 2021 gelten soll. Danach sollen nur Angestellte des eigenen Betriebs Tiere schlachten und zerlegen dürfen.


Wie in Chicago der 30er Jahre 

Die unwürdigen Arbeitsverhältnisse in der deutschen Fleischindustrie sind schon seit Jahren bekannt. Sie erinnern an Gangsterfilme inklusive Mafia die in den 30er Jahren in Chicago spielen. Umso schlimmer, dass die Politik erst jetzt in der Corona-Krise genauer hinschaut. Wir als Gesellschaft haben es lange verdrängt, wollten es nicht sehen: die überlangen Schichten, in denen Arbeiterinnen und Arbeiter sich bis zur Erschöpfung schinden,; die Tricks, mit denen Beschäftigten selbst der Mindestlohn noch verweigert wird – durch unbezahlte Überstunden, verkürzte Pausen und Wuchermieten für ein Bett; die oft engen, überfüllten, schmutzigen Sammelunterkünfte.

Das skandalöse System der Ausbeutung basiert auf Werkverträgen. Sie ermöglichen es den großen Schlachthöfen, einen Großteil ihrer Arbeiter nicht mehr selbst anzustellen, sondern stattdessen Arbeitsverträge an Dienstleister zu vergeben. Die heuern weitere Firmen an, die wiederum Aufträge an andere vergeben – bis am Ende ein undurchsichtiges Geflecht an Subunternehmern entstanden ist, in dem niemand mehr nachvollziehen kann, wer nun für den Schutz der Beschäftigten und die Einhaltung der Vorschriften verantwortlich ist. 

Es ist höchste Zeit, dass die Politik etwas dagegen unternimmt. Das Verbot der Werkverträge, wie es vom Kabinett beschlossen wurde, kann dem System der Subunternehmen die Basis entziehen. Schlachthöfe und Handelskonzerne, die Fleisch verarbeiten, müssen ihre Beschäftigten künftig direkt einstellen. Sozialbetrug wird so erschwert. Höhere Bußgelder können Betriebe, die gegen die Regeln verstoßen, in Zukunft empfindlich treffen – sofern die Behörden tatsächlich konsequent kontrollieren und sanktionieren. 

Klar, unser Fleisch wird wohl teurer werden. Aber schlimm ist das nicht. Ganz im Gegenteil: Der eigentliche Skandal ist doch, dass seit Jahren Tausende Menschen (und Tiere) in Deutschland unter unwürdigen Verhältnissen leben und arbeiten müssen, nur damit das Schnitzel für uns schön billig ist.


Schlachtbank Europas

Die Bundesrepublik hat sich – auch von der Politik gewollt – zur Schlachtbank Europas entwickelt. Fast 60 Millionen Tiere werden hier jedes Jahr geschlachtet, Hühner nicht mitgerechnet. In Deutschland werden, selbst wenn alles nach Recht und Gesetz zuginge, Dumpinglöhne bezahlt. Ein dänischer Konzern, hat seine Produktion auch deshalb nach Deutschland verlegt, weil es hier so schön billig ist. Die deutsche Fleischindustrie sei ohne Dumping auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig, wird argumentiert. Das mag stimmen oder nicht. Genau beurteilen kann das niemand, denn die Firmenverschachtelungen rund um die Schlachthöfe sind außerordentlich undurchsichtig. Wenn Konkurrenzfähigkeit bedeutet, Mensch und Tier hemmungslos auszubeuten, hat sie keinen Wert für die Gesellschaft. Einfach abwickeln und tschüss deutsche Fleischindustrie! Wäre gut für Mensch, Tier und Gesellschaft.