Jens Mecklenburg

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Grünkohlforscher Dr. Christoph Hahn

1. November 2022

Grünkohl ist Grünkohl, denken viele. Falsch. Grünkohl ist divers, in Form, Optik und Geschmack. Zum Glück gibt es Biologen, die den Kohl erforschen, uns alte Sorten (mit viel Geschmackspotenzial!) erhalten, neue spannende Sorten züchten und regionale Besonderheiten und Biodiversität im Blick haben.

© Christina Dick

Forscher mit Leidenschaft

Der Biologe Dr. Christoph Hahn hat nicht nur kulinarisches Interesse für Grünkohl, sondern er beforscht ihn auch. Dabei schaut er sich vor allem die Inhaltsstoffe und die Fraßfeinde des Kohls genauer an. Auch interessieren ihn die Verwandtschaftsverhältnisse der unterschiedlichen Sorten. »Ich esse liebend gern Grünkohl. Dabei kannte ich lange Zeit nur das traditionelle Rezept, gut durchgekocht, fettig, mit Pinkel und Kassler. Mittlerweile schätze ich aber auch moderne Varianten und alternative Rezeptideen. Zum Beispiel, dass man Grünkohl auch als Smoothie trinken kann und einem dafür theoretisch über 100 verschiedene Sorten dieser Pflanze zur Verfügung stehen.« Der gebürtige Oldenburger arbeitet am Institut für Biologie und Umweltwissenschaften (IBU) an der Universität Oldenburg.
Die Stadt ist bekanntlich eine der Grünkohlhochburgen des Nordens. Da wundert es auch nicht, dass Dr. Hahn an einer neuen Sorte mit dem Namen Oldenburger Palme (Brassica oleracea cv. Oldenburgia) arbeitet. Den meisten Grünkohl, den er untersucht, baut er selbst auf den Feldern der Universität in Wechloy an. Neben den bekannteren Sorten mit gekräuselten, grünen Blättern wächst hier ebenso Grünkohl mit glatten und auch bunten Blättern. Grünkohl kommt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, berichtet Deutschlands vielseitigster »Grünkohldoktor«. Er stammt, wie unsere anderen Zuchtformen des Gemüsekohls auch, von wilden Kohlformen ab. Diese wachsen heute noch im Mittelmeerraum und an der Atlantikküste von Spanien bis Südengland sowie auf Helgoland. Gesicherte Überlieferungen einer Urkohlart mit krausen Blättern stammen aus dem Jahr 400 v. Chr. Die Griechen und auch die Römer haben im 3. Jahrhundert v. Chr. dem heutigen Grünkohl ähnliche Pflanzen angebaut. Einer der frühesten Beweise für den Anbau des Grünkohls in Deutschland ist eine Abbildung des Botanikers Leonhart Fuchs aus dem Jahr 1543. Die Nachkommen dieser Kohlformen haben sich mittlerweile auf der ganzen Welt ausgebreitet und durch Kreuzungen zu verschiedenen Sorten.
entwickelt. Wie der Weg des Grünkohls genau verlaufen ist, kann auch die Forschung heute leider nicht mehr nachvollziehen. Es gibt aber Sorten, die nachweisbar direkt aus Ostfriesland stammen. Wie kann man überhaupt einen Grünkohl-Stammbaum erstellen? Dazu sagt Christoph Hahn: »Wir isolieren die DNA, also das Erbgut der Grünkohlpfl anzen, aus den Blättern und analysieren sie im Labor dann so, dass wir Daten erhalten, die wir am Computer weiterbearbeiten können. Damit versuchen wir Verwandtschaftsbeziehungen zu rekonstruieren, ähnlich einem Stammbaum. Wir wollen herausfinden, wie sich Sorten entwickelt haben und wie regionale Vielfalt zustande gekommen ist. Man kann sich das wie eine Art Netzwerk der Grünkohlsorten vorstellen. Innerhalb des Netzwerks finden sich Gruppierungen einzelner Sorten. Diese Verwandtschaftsgruppen sind dabei oft herkunftsabhängig.« Im Labor untersucht Christoph Hahn zum einen, wie sich die verschiedenen Sorten in ihren Inhaltsstoff en unterscheiden: »Einen besonders ausgewogenen Mix gesunder Inhaltsstoff e haben wir bisher eher in norddeutschen beziehungsweise krausen Sorten gefunden. Amerikanische Sorten haben besonders viele (auch gesunde) Bitterstoffe, sind dadurch aber auch recht herb. Italienischer Grünkohl hingegen hat nur sehr geringe Mengen, was ihn sehr geschmackvoll macht, sodass er sich zum Beispiel besonders gut roh verzehren lässt.« Apropos roh verzehren: Um möglichst viele der gesunden Inhaltsstoffe zu erhalten, ist es nicht unwichtig, sich auch mit der Verarbeitungsweise von Grünkohl auseinanderzusetzen. Temperatur und Kochdauer spielen eine entscheidende Rolle. Eine rohe Verarbeitung, wie im Smoothie oder Salat, ist mit Blick auf die Inhaltsstoff e immer vorzuziehen. Die nächstschonende Verarbeitungsmethode ist das Blanchieren, das bedeutet, den Grünkohl kurz in kochendes Wasser zu geben. Laut vorhandenen Studien dazu sollten bei einer möglichst kurzen Kochzeit die meisten guten Inhaltsstoffe erhalten bleiben. Das beliebte gut durchgekochte Grünkohlgericht mit viel Fett ist leider die Verarbeitungsvariante, bei der die meisten Inhaltsstoffe verloren gehen. Darüber hinaus interessiert Christoph Hahn, wie sich die Inhaltsstoffe durch den Einfluss der Kälte sowie durch die Fraßfeinde draußen auf dem Feld in der rohen Pflanze verändern. Dazu setzt er beispielsweise gezielt Raupen an seinen Grünkohl, lässt sie dort eine Weile fressen, untersucht dann, welche Mengen an Inhaltsstoffen er in den Blättern der angefressenen Pflanzen findet, und vergleicht sie mit unversehrten Kontrollpflanzen. Hahn fand heraus, dass ein gewisses Maß an Fraßfeinden sogar das gesunde Potenzial und auch den Geschmack des Grünkohls positiv befördern kann.

 

Jens Mecklenburg & Johanna Rädecke: Mythos Grünkohl Eine kulinarische Kulturgeschichte. KJM Verlag, 160 Seiten, Softcover, 22 Euro. Zum KJM-Buch-Shop 

 

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