Jens Mecklenburg

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Englische Sitten, himmlisches Essen

Hamburg und seine kulinarischen Traditionen
15. Oktober 2021

Die Geschichte der Hamburger Küche Teil 1. 

Hamburg ist die beste Republik. Seine Sitten sind englisch und sein Essen ist himmlisch. … Die Hamburger sind gute Leute und essen gut. Über Religion, Politik und Wissenschaft sind ihre respektiven Meinungen sehr verschieden, aber in betreff des Essens herrscht das schönste Einverständnis. Mögen die christlichen Theologen dort noch so sehr streiten über die Bedeutung des Abendmahls; über die Bedeutung des Mittagmahls sind sie ganz einig. 

Heinrich Heine (1797–1856) 
©Ingo Wandmacher

In der Literatur finden sich zahlreiche Lobgesänge auf die Hamburger Küche. Heinrich Heine rühmte sie in den höchsten Tönen, und Matthias Claudius fand 1781 freundliche Worte über das Hamburger Rauchfleisch, wie zuvor schon Gotthold Ephraim Lessing, der aber auch zu bedenken gab, dass der Mensch nicht allein von Rauchfleisch leben könne, sondern ebenso »ein gutes Gespräch« brauche. Zahlreiche reisende Chronisten aus England und Frankreich äußerten sich anerkennend über die hohe Kochkultur, die in der Hansestadt gepflegt wurde. Die hanseatische Küche wurde von den ländlichen norddeutschen Regionen ebenso beeinflusst wie vom frühen globalisierten Handel durch die Hanse und die Schifffahrt. Auch Glaubensflüchtlinge und Emigranten wie Juden aus Spanien und Protestanten aus Frankreich brachten ihre jeweilige Küche mit. Für das Hamburger Bürgertum waren vor allem englische Einflüsse stilbildend. Man war anglophil. So wurde das englische Beefsteak zum Klassiker rund um Rathaus und Börse. Aus England wurde auch die Tradition der »Puddings« übernommen, süße oder würzige Speisen im Wasserbad herzustellen. Studiert man Speisepläne der »feinen« Hamburger Gesellschaft zwischen 1800 und 1900, findet man nicht nur eine vielfältige, sondern auch eine üppige Esskultur. Für einige Festessen waren bis zu 25 Gänge vorgesehen. Was man aber auch wissen sollte: Solche Pläne bezogen sich ebenso wie die Lobgesänge auf die Hamburger Küche nur auf eine damals kleine Minderheit: das wohlhabende Bürgertum. Wie haben aber die Durchschnittshamburger gegessen?



Kochbücher als Quellen 

Eine wichtige Quelle zur Erkundung der Esskultur sind Kochbücher. Im Jahr 1788 erschien im Hamburger Verlag von Johann Henrich Herold Das Hamburgische Kochbuch, oder vollständige Anweisung zum Kochen insonderheit für Hausfrauen in Hamburg und in Niedersachsen, verfasset von einigen Frauenzimmern in Hamburg – ein frühes Werk für die bürgerliche Hausfrau. Kochbücher kamen in den nächsten Jahrzehnten immer mehr in Mode, wurden populär und erreichten beachtliche Auflagen. Aus anonymen »Frauenzimmern« wurden geachtete Autorinnen. Die Kochbücher des 18. und 19. Jahrhunderts belegen allerdings weniger, was wirklich gegessen wurde, sondern eher, was gegessen werden sollte, gibt die Ethnologin Dr. Doris Tillmann zu bedenken, die über die historischen Ernährungsgewohnheiten in Norddeutschland durch ihre regionalen Forschungen besonders gut unterrichtet ist. Sie weist darauf hin, dass die in den Kochbüchern vorgeführte Reichhaltigkeit der Speisen selbst in bürgerlichen Kreisen nur selten umsetzbar und weit von dem entfernt war, was in einfachen Haushalten täglich gekocht wurde. Weder Geldbeutel noch Kücheneinrichtung hätten in den allermeisten Haushalten derartig aufwendige Zubereitungen erlaubt. Die Kochbücher orientierten sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts aber noch weitgehend an der höfisch geprägten französischen Küche, auch wenn sie vermeintlich einfache deutsche Speisen, also ohne »Gedöns«, wie es in Hamburg heißt, als Abgrenzung zur angeblich künstlichen französischen Küche propagierten. Deutschland war eine späte Nation, da dienten auch Kochbücher dazu, zu definieren, was eigentlich Deutschland is(s)t. 


Brei und Grütze – traditionelles Hauptnahrungsmittel 

»Die Lebensart der Alten ist sehr bescheiden und sparsam. So viel ist bekannt, dass die meiste Nahrung in Fisch, in Grütze und grünem Kohl bestand«, berichtet Henning Rinken 1837 über die Bewohner der Insel Sylt. Ähnliches galt lange Zeit auch für die Einwohner Hamburgs. In der Hansestadt ebenso wie auf dem Land aßen die Norddeutschen bis Ende des 18. Jahrhunderts vor allem Brei und Grütze. Gemahlener und gekochter Hafer, Hirse, Gerste, Roggen, Weizen und Buchweizen gehörten zur täglichen Kost, manchmal angereichert durch frische Milch, soweit verfügbar, oder durch Sauermilch. Damit es nicht zu eintönig wurde, kamen ein kleines Stück Dörrobst oder -fleisch, ein geräucherter Fisch oder etwas süßer Sirup dazu. Gern wurde noch eine Scheibe Brot dazu gereicht. Gegessen wurden Brei oder Grütze aus einer gemeinsamen Schüssel. Diese Speisen hätten Claudius, Heine und Lessing vermutlich nicht zu Lobpreisungen inspiriert. Sie hatten vor allem die Funktion, satt zu machen, und das taten sie. Genuss spielte zu dieser Zeit für die allermeisten Menschen eine untergeordnete Rolle.

Kartoffeln und Brot – Ernährungswandel im 19. Jahrhundert 

Brei und Grütze verloren erst mit dem Siegeszug der Kartoffel Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts im Norden an Bedeutung. Die wachsende Wertschätzung der Kartoffel lässt sich in alten Kochbüchern nachvollziehen: So findet sich im Niedersächsischen Kochbuch des Itzehoer Kochs Marcus Loofft von 1781 nur eine einzige Anleitung zur Zubereitung der »Erdäpfel«, in Friedrich Bechtholds Neuem niedersächsischen Kochbuch … der jetzt üblichen Gerichte von 1807 sind es schon knapp zehn. In Hulda Behnkes Hamburg Kochbuch von 1923 finden wir dann schon 22 Kartoffelrezepte. Zuerst wollte keiner die aus Südamerika importierte Pflanze anrühren. Dann war sie kurze Zeit »exotische« Luxusspeise für Reiche, und schließlich wurde sie zum Hauptnahrungsmittel der Norddeutschen. Sie gedieh gut im Norden, auch auf kargen Böden, und je mehr die Knolle angebaut wurde, desto billiger war sie zu haben. Sie löste den Getreidebrei als günstige Volksnahrung ab. Später entwickelte sich die alltägliche Kartoffelkost von der Hauptspeise zur Beilage für Fisch- und Fleischgerichte – gern mit Sauce, wie wir es noch heute kennen. Auch die Brotkultur war Änderungen unterworfen. Wurde Brot bisher in oder zur Suppe oder als Beigabe zur Grütze verspeist, setzten sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts reine Brotmahlzeiten durch, wie wir sie ebenfalls noch heute kennen, zum Beispiel als Frühstücksspeise mit Kaffee oder als Pausen- und Abendbrot. Arbeiter in Betrieben mit Kantinenversorgung sparten damit Geld und Zeit für aufwendiges Kochen, was ihnen aufgrund langer Arbeitszeiten und beengter Wohnverhältnisse ohnehin erschwert war. 


Stilbildende bürgerliche Küche 

Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich die bürgerliche Küche auch in anderen Gesellschaftsschichten durchzusetzen. Sie wurde stilbildend für das Deutsche Reich und für Hamburg. Soweit man es sich leisten konnte, wurde Fleisch oder ein Süßwasserfisch aufgetischt. Dazu wurden Kartoffeln und Gemüse gereicht. Vorsuppe und Dessert waren obligat. Da frisches Gemüse – »Feingemüse« genannt – nur für kurze Zeit in der Saison verfügbar war, griff man auf lagerfähiges Gemüse wie Kohl oder auf Hülsenfrüchte zurück. Ansonsten war der Speiseplan durchaus vielfältig: Aus Eiern, Milch, Mehl, Butter und Schmalz wurden Mehl- und Süßspeisen oder feine Saucen bereitet. Trockenobst, Nüsse und Rosinen verfeinerten die Speisen.

 

Thomas Sampl & Jens Mecklenburg

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