Johanna Rädecke

Redakteurin

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Die Küche folgt den Erzeugern

Slow Food und der Tag der nachhaltigen Gastronomie
24. Juni 2020

„Der internationale Tag der nachhaltigen Gastronomie ist quasi ein Geschenk für uns, weil er alles würdigt, wofür wir stehen.“ Dieser Tag, der 18. Juni, wurde durch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen ins Leben gerufen und ist der beste Anlass, nicht nur die Raffinesse verschiedener KöchInnen zu feiern, sondern auch deren ProduzentInnen und Arbeitsphilosophien. In der Hamburger Hobenköök kamen zu diesem Anlass sechs naturverbundene ProfiköchInnen, über 70 Gäste und die bekannte Moderatorin und Autorin Dr. Tanja Busse zusammen, die den Tag der nachhaltigen Gastronomie mit mehr als einem bloßen Sechs-Gang-Menü feierten.

Thomas Sampl (links) kocht für die Hobenköök den vierten Gang. Als Überraschungsgast hat er einen seiner Produzenten (rechts) eingeladen. © Johanna Rädecke

Trotz anhaltender Corona-Maßnahmen ist die Hobenköök unweit des Hamburger Hauptbahnhofs voll besetzt. Das Event ist ausverkauft und die rund 75 Gäste haben es sich mit gebührenden Sicherheitsabstand gemütlich gemacht. Auf der Speisekarte stehen heute Abend sechs Gerichte, jedes von einem anderen Koch oder einer anderen Köchin in Norddeutschland gekocht und vorgestellt: Luka Lübke (Apokaluebke Bremen), Barbara Stadler (Die Kastanie Martfeld), Sebastian Junge (Wolfs Junge Hamburg), Jochen Strehler (Gildepark Kiel), Thomas Sampl (Hobenköök Hamburg) und Jens Witt (Wackelpeter Hamburg) sind Teil der Slow Food Chef Alliance Deutschland. Die Mitglieder haben es sich zur Aufgabe gemacht, ohne industriell erzeugte Lebensmittel und Zusatzstoffe, dafür mit regionalen und saisonalen Lebensmitteln zu arbeiten, die zu verschwinden oder auszusterben drohen – getreu dem Motto der Arche des Geschmacks „Essen, was man retten will“. Zu ihren Maximen gehört auch, die Gäste umfassend über ihre Produkte und deren Erzeuger zu informieren. An diesem Tag der nachhaltigen Gastronomie geschieht dies mit Mini-Vorträgen und Diashows zwischen den einzelnen Gängen.   

Durch den Abend führt Dr. Tanja Busse, Redakteurin der SZ, Freitag und der Zeit, sowie Moderatorin zu den Themen Landwirtschaft, Nachhaltigkeit und Ernährung. In ihren Büchern wie „Die Wegwerfkuh“ und „Das Sterben der anderen“ widmet sie sich eben diesen Themen.

Cevice op Platt von Luka Lübke © Johanna Rädecke

Kreativität ist gut für’s Klima

Luka Lübke ist nicht nur Köchin, sondern eine Food-Künstlerin: Sie schreibt, bloggt, kocht und versucht ganz nebenbei, die Welt zu retten – oder zumindest jeden Tag etwas besser zu machen. In Bremen findet sich ihre Wirkungsstätte „Apokaluebke – meine Küche gegen den Weltuntergang“, in der sie Menüabende, Coachings und Workshops anbietet. Ihre Überzeugung für eine Küche, die nicht nur dem Menschen, sondern auch der Umwelt guttut, beschreibt sie mit einem einfachen Beispiel: „Ich will nicht nur, dass mir das Steak guttut, weil es mich sättigt. Es soll auch der Kuh gut gehen, dem Produzenten, der sich um sie kümmert und dem Boden, auf dem sie grast.“ Nur dann könne Nachhaltigkeit gelingen. Eine weitere Idee: Anregungen aus der ganzen Welt holen, aber kreativ mit regionalen Mitteln umsetzen. So sorgt eine gute Portion Kreativität in der Zubereitung für einen guten CO2-Abdruck:

Als Start in den Abend serviert sie nämlich eine Ceviche op platt. Der Weißfisch ist mit Zitronensaft gegart und bekommt durch Chili eine feine, exotische Schärfe. Darüber hinaus hat sich Luebke dazu enschieden, einen Aperitiv gleich mit zu servieren – in Form eines herzhaften, hochprozentigen Shots aus Korn von Korn to be wild („Man merkt, sie machen besseren Korn als Marketing…“) , Wasserkefir, Chili und einem Sud aus Krabbenschalen. So wird ein lateinamerikanisches Gericht so richtig norddeutsch.

Martfelder Bio-Spargel im Briqueteig, Asendorfer Ziegenkäse, Gemüsesalat und Wildkräuter-Gremolata von Barbara Stadler © Johanna Rädecke

Die Küche folgt den Erzeugern

„Mein Restaurant ist nicht in Bremen“, sagt Barbara Stadler lachend, sondern mitten in der Pampa.“ Mit ihrer „Kastanie“ in Martfeld sei sie den Erzeugern gefolgt und sitze in einem „kulinarischen Kulturzentrum“. Die NDR-Fernsehköchin liebt die Rezepteentwicklung und führt ihre eigene Kochschule, gibt Seminare und besitzt ein Catering. Im zweiten Gang serviert sie Martfelder Bio-Spargel im Briqueteig, Asendorfer Ziegenkäse, Gemüsesalat und Wildkräuter-Gremolata, für die sie morgens noch zum Sammeln auf einer Wiese in ihrer Heimat unterwegs war. Das Gericht zaubert eine frühsommerliche Leichtigkeit auf den Teller. „Der Ziegenkäse ist von zwei Menschen, die eine Ziegenherde besitzen, Käse herstellen und davon leben. Ich finde das großartig und bewundernswert“, betont sie. 

Onsen-Ei mit Kartoffelschaum und Schinken von Wolfs Junge © Johanna Rädecke

Das ganze Tier verwenden

„Einmal im Jahr kaufen wir ein ganzes Schwein vom Demeterhof Klostersee – das wird dann komplett verarbeitet“, erzählt Sebastian Junge. Sein Restaurant Wolfs Junge in Hamburg-Uhlenhorst macht das Wort Nachhaltigkeit zum Programm. Mit dem Klosterseer Schwein wird gekocht, gebraten, eingeweckt, geräuchert – kurz, das gesamte Tier wird verarbeitet. Ein kleiner Teil dieses Prozesses findet sich auf den Tellern in der Hobenköök wieder. „Der Schinken, den ihr da seht, war eigentlich für die Spargelsaison gedacht – aber da hat Corona uns wohl einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Gut für uns. Serviert wird ein Onsen-Ei mit Kartoffelschaum und besagtem selbstgeräucherten Schinken. Auch kleine Kartoffelchips fanden den Weg auf den Teller, die einen spannenden Kontrast in der Konsistenz zum weichen Ei und der cremigen Kartoffel bildeten. Familienvater Junge hat in seiner Laufbahn schon in Hochkarätern wie „Vier Jahreszeiten“ und „Louis C. Jacob“ gearbeitet und immer großen Wert auf das Erkunden der Quellen gelegt. Er assistierte auf Biohöfen, bei Fleischereien, in Käsereien und Backstuben, er hat die „Slow Food Youth Academie“ besucht und einige Zeit in Australien verbracht.


Superfood ja – aber bitte regional

Auch der Kieler Jochen Strehler kochte an diesem Abend. Seit 2015 betreibt er zusammen mit seiner Frau Anja Anna den Veranstaltungs-Ort „Gildepark“ samt Catering in der “Großen Grünen Schützengilde von 1412” in Kiel. Als einer der sieben Gründungsmitglieder von FEINHEIMISCH e.V. und als Mitglied von Slow Food ist er begeistert von der Idee gewesen, seinen Gästen an diesem Abend einen Fleischgang zu servieren, der kein Filet, keine Brust oder ähnliches „edles“ Fleisch enthält.

Jochen Strehler wählte für seinen Gang Magen. © Johanna Rädecke

Für seinen Gang hat sich Jochen Strehler für den confierten Magen vom Ahrensböker Bauernhähnchen entschieden, den er mit Quinoa, roter Zwiebel und schwarzen Champignons servierte. Der butterzarte, ragoutähnlich angemachte Magen überzeugte – für viele Gäste wird es wohl der erste Magen auf dem Teller gewesen sein. Während seines Gesprächs mit Dr. Tanja Busse ging Strehler auf den Trend Superfood ein. Denn bei vielen Superfoods handelt es sich um wahre Exoten, die einen langen Weg zu uns nach Norddeutschland haben und unter nicht transparenten Umständen wachsen. Strehler hat jedoch einen Produzenten in Traventhal gefunden, der Quinoa anbaut. Mit diesem Getreide hat sich der Koch mit vier Variationen „ausgetobt“: Im Gericht finden sich Quinoa-Nocken, eine sämige Sauce, Keime und Popcorn – welch eine Vielfalt. 


Der Koch kannte den Bauer gar nicht mehr

Thomas Sampl kocht in der Hobenköök und ist der Gastgeber des Abends. Als Überraschungsgast hat er Malte mitgebracht. Malte ist sein Lieferant für frische Kräuter und Pflücksalate aus den Vierlanden, den er auf dem Hamburger Isemarkt kennenlernte und seit Eröffnung der Hobenköök „mit im Boot“ hat. Seit 15 Jahren baut der gelernte Dompteur Kräuter an und verkauft diese auf dem Hamburger Großmarkt, dem bekannten Isemarkt, Goldbekmarkt, in der Hobenköök und in Volksdorf. Er erzählt: „Die Kunden kaufen heute wieder bewusster ein.

Erbsenrisotto und Grillkäse von Thomas Sampl © Johanna Rädecke

Es wird nicht gefragt, wieviel was kostet, sondern woher etwas kommt. Wir Wochenmarkthändler sind das, wonach heute alle verlangen – leider wurden wir lange vergessen und sind fast ausgestorben.“

Sampl ergänzt: „Das stimmt, der Koch kannte oftmals den Produzenten gar nicht mehr. Das ändert sich zum Glück, wir Köche investieren wieder viel mehr Zeit in die Produzenten. Wir entwickeln eine Zusammenarbeit und gemeinsame Projekte“ – und das ist doch ein Trend, den man gerne folgen kann. Für den Tag der nachhaltigen Gastronomie hat Malte Sampl mit aromatischem Sommerportulak versorgt. In dem vegetarischen Hauptgang servierte Sampl ein grünes Erbsenrisotto & Kresse, Hobenköök Schaafs-Grillkäse, Rauchpaprikaöl, Buchweizenknusper und Sommerportulak. 


3100 Essen in Bio

„Ein Catering nur mit bio und demeter Produkten, das geht finanziell niemals! Das waren die Reaktionen damals und man sieht: Fast dreißig Jahre später funktioniert es immer noch“, so Niccolo Witt, Sohn des Inhabers Jens Witt, der leider verhindert ist. Seit 1996 ist der „Wackelpeter“ in Hamburg biozertifiziert und liefert täglich um die 3000 Essen an Schulen und Kindertagesstätten aus. Jens Witt gründete die Chef Alliance Deutschland und hält sich auch bei 3000 Essen täglich an den Grundsatz: Keine industriell verarbeiteten Lebensmittel, keine Zusätze. 60 Prozent der Lebensmittel kommen von regionalen Bauern, ausgeliefert wird mit der eigenen Flotte an E-Autos in Hamburg. Seit Anfang des Jahres ist Lukas Röhr mit von der Partie und kocht für den Wackelpeter. Seine Nachtischkreation hätte die Kinderaugen bestimmt zum Leuchten gebracht, doch auch den anwesenden erwachsenen Gästen hat es sichtlich gemundet. Zum Rohmilchquark des Gut Wulfsdorf gab es frische Erdbeeren von Gunnar Söth, Bisquitrolle, Rhababersirup und Hafercrunch. Ein gelungener Abschluss eines nachhaltigen und regionalen Menüs.

Der Nachtisch vom „Wackelpeter“. © Johanna Rädecke

„Essen ist ein guter Anfang für Menschen, die ihre Lebensweise nachhaltiger gestalten möchten. Sich von einen auf den anderen Tag komplett umzustellen ist bei so einem komplexen Thema schier unmöglich. Aber Essen ist unmittelbar und emotional erfahrbar – man ist, was man isst. Damit präge ich einen Ort, den ich erschaffen möchte – oder eben nicht weiter unterstützen möchte“.

Dr. Tanja Busse

 

Über Slow Food

Slow Food ist eine weltweite Bewegung, die sich für ein zukunftsfähiges Lebensmittelsystem einsetzt. Der Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft, des traditionellen Lebensmittelhandwerks und der regionalen Arten- und Sortenvielfalt sind für Slow Food ebenso wichtig wie eine faire Entlohnung für zukunftsfähig arbeitende Erzeuger sowie die Wertschätzung und der Genuss von Lebensmitteln. Slow Food Deutschland e. V. wurde 1992 gegründet und zählt über 85 lokale Gruppen. Insgesamt ist Slow Food in über 170 Ländern mit diversen Projekten, Kampagnen und Veranstaltungen aktiv. Als Slow-Food-Mitglied ist man Teil einer großen, bunten, internationalen Gemeinschaft, die das Recht jedes Menschen auf gute, saubere und faire Lebensmittel vertritt.  www.slowfood.de

 

 

Über die Chef Alliance

Kochen beginnt mit dem Lebensmittel und dem Wissen um dessen Herkunft. Für die Köche der Slow Food Chef Alliance ist daher der direkte Kontakt zum Erzeuger – sei es Bauer, Hirte oder Fischer – essentiell.

In einer Küche entstehen jeden Tag Gerichte, die Geschichten erzählen über die Menschen, Tiere und Landschaften, denen wir diese einzelnen Produkte verdanken. Essen ist mehr als satt werden, ist ein politischer Akt mit soziokulturellen Bezügen. Gerade in Zeiten, in denen immer weniger zu Hause gekocht wird, gilt es den Bezug zum Lebensmittel in seiner ursprünglichen Form herzustellen und zu erhalten: Wie es aussieht, wo es wächst, was für Menschen es großziehen, ernten und verarbeiten.

 

Die Köche als Repräsentanten ihrer Region tragen Verantwortung, indem sie

  • mit regionalen und saisonalen Lebensmitteln arbeiten, die zu verschwinden oder gar auszusterben drohen – darunter auch Passagiere der „Arche des Geschmacks“.
  • bei Kleinerzeugern kaufen.
  • ihre Lieferanten persönlich kennen und ihre Gäste umfassend über Produkte und deren Erzeuger informieren, also einen Bezug zwischen beiden herstellen. Ob in der Speisenkarte, online oder persönlich.
  • jedes Element selbst herstellen und auf industriell erzeugte Ware und Zusatzstoffe verzichten.
  • alle Teile von Tier und Pflanze verarbeiten und das handwerkliche Wissen dafür weitergeben.
  • durch kreative Sortimentsgestaltung keine Lebensmittel verschwenden.
  • ökologisch und möglichst verpackungsfrei arbeiten.
  • ihre Achtsamkeit gegenüber dem Lebensmittel nicht nur leben, sondern auch öffentlich darüber sprechen.