Es war eine echte Männerfreundschaft – Der Koch und der Schriftsteller, beide auf ihre Art Künstler: Christian Bind und Siegfried Lenz. Die beiden kannten und schätzten sich viele Jahre lang; zuerst traf Lenz Bind, als ersterer im Falsled Kro aß wo letzterer gerade Küchenchef war. Das ist lange her und seitdem folgte Lenz seinem Freund durch mehrere berufliche Stationen des Elsässers; vom Falsled Kro nach Flensburg (»Chez Paul«), dann zurück über die Grenze in das »Hotel Fakkelgaarden« und schließlich in Binds eigenes Restaurant am Ufer der Flensburger Förde, im kleinen Ort Sønderhav.
Dort, im Restaurant Bind an der Förde, heiratete der Witwer Lenz 2010 ein zweites Mal. Oft war er hier zu Gast, saß im Sommer am liebsten auf der kleinen Terrasse mit dem wunderschönen Blick über das Wasser. Vor einiger Zeit schon hat seine Witwe Ulla, gemeinsam mit der Siegfrid Lenz Stiftung sowie Christian und Pia Bind ein »Siegried Lenz Zimmer« dort eingerichtet, in Erinnerung an den im Oktober 2014 verstorbenen Schriftsteller. Bücher, Fotos, Möbel sowie andere persönliche Dinge des Autors zeugen von Lenz´ enger Beziehung zu Südjütland und Dänemark. Nicht zuletzt wohl dank der engen Freundschaft ist ihnen das so gut gelungen, dass man als Besucher meinen könnte, Lenz würde jeden Moment zur Tür hereinkommen. Sich seine Pfeife nehmen, die noch auf dem Schreibtisch liegt, sich setzen und, nach einem Blick durch das Fenster auf die Flensburger Förde hinaus, mit dem Schreiben beginnen.
Der Überläufer
In diesem Zimmer finden sich auch Hinweise und das Manuskript seines posthum erschienenen Romans »Der Überläufer«, der im Literaturbetrieb für einiges Aufsehen gesorgt hatte. Grund: Es handelt sich um ein frühes Werk des vielfach ausgezeichneten Schriftstellers – und eins, welches von seinem Verlag, Hoffmann und Campe, damals abgelehnt worden war. Nicht, weil es etwa nichts getaugt hätte, das Gegenteil ist der Fall. Sondern schlicht aus politischen, oder vielleicht eher: gesellschaftlichen Gründen. Kurz, es war für die damalige Zeit, zum Beginn der noch jungen Bundesrepublik und noch nicht allzu lange nach dem Krieg, schlicht zu provokant.
Ähnlich wie beispielsweise sein Kollege Alfred Andersch (»Die Kirschen der Freiheit«) setzte sich auch Lenz kritisch mit den Kriegsjahren, dem Nationalsozialismus, den Soldaten und deren Erlebnisse an der Front auseinander. Er schildert hier ein Soldatenschicksal, wie es zigtausende deutscher Männer erlebt hatten. Allerdings, dieser Soldat verliebt sich an der Ostfront in eine russische Partisanin – und wechselt gar die Seiten, er desertiert, läuft zu den Partisanen über. Damals, in den Fünfzigerjahren, war das offenbar zuviel für die meisten Deutschen, die noch lange nicht im Reinen mit den Kriegserlebnissen und schon wieder in den neuen alten Feindbildern des Kalten Krieges verfangen waren.
Nun ist dieses Buch erschienen und bestätigt einmal mehr Siegfried Lenz als einen der ganz großen und dabei sympathischen deutschen Autoren der Nachkriegszeit, der Bundesrepublik. Politisch und kritisch, aber auch immer human und oft humorvoll. Zudem war er, wie Menschen, die ihm nahe standen sagen, ein besonders liebenswürdiger Mann, ein »Wassermann« gewissermaßen und obendrein ein Genießer. Schon in den Fünfzigerjahren zog es ihn nach Dänemark, von 1958 bis 1986 hatte er ein kleines Fischerhäuschen auf der Insel Alsen, wo er mit seiner Frau vier bis fünf Monate im Jahr verbrachte; ansonsten lebte er in Hamburg. Dort, auf Alsen, in abgelegener Ruhe ohne Telefon und Fernseher, entstanden einige seiner bedeutendsten Werke. Immer wieder und wie es scheint mit besonderer Vorliebe hat er über das Wasser, das Meer und die Menschen geschrieben, die damit in Verbindung stehen.