Johanna Rädecke

Redakteurin

Zum Portrait

Zwischen Ananas und Anorak

Museum im Schloss Schönebeck zeigt Historie des ältesten deutschen Seehafens
26. Juni 2023

Ein Beitrag von Wolfgang Heumer

Kaum zu glauben: Die Freie Hansestadt Bremen hat einen Adelssitz. Das Schloss Schönebeck birgt wertvolle Zeugnisse der Wirtschaftsgeschichte an der Unterweser. Der um 1640 errichtete Barockbau und sein idyllisches Umland im Norden Bremens zählen zu den Geheimtipps für einen Ausflug.

Schloss Schönebeck liegt idyllisch in der „Bremer Schweiz“. © WFB/Sarbach

Zugegeben, mit den Alpen haben die Hügel im Norden Bremens nichts zu tun, auch wenn die Landschaft hier „Bremer Schweiz“ heißt. Aber zwischen Weiden und Wäldern schlängelt sich eine schmale Straße immerhin bergauf und bergab. Unmittelbar hinter einer scharfen Kurve taucht ein stattliches Fachwerkhaus auf. „Schloss Schönebeck“ steht auf einem Schild. „Ja, die Freie Hansestadt Bremen hat tatsächlich einen Adelssitz“, schmunzelt Holger Schleider, der gewissermaßen der Schlossherr auf Zeit ist. 

Der 74-Jährige ist Vorsitzender des Heimat- und Museumsvereins für Vegesack und Umgebung, der hier seit 1972 das Museum betreibt. Dass die Ausstellung der ländlichen Umgebung zum Trotz mit vielen maritimen Themen glänzt, wirkt im ersten Moment verblüffend. Doch Schleider hat eine Erklärung: 

„Vegesack besitzt den ältesten künstlich angelegten Seehafen Deutschlands.“ Der feiert 2022 seinen 400. Geburtstag, und das Museum erzählt viel über die hafenwirtschaftliche Geschichte an der Unterweser.


Ausstellung in Bremens einzigem Schloss ist eine Besonderheit 

Ortshistorische oder volkskundliche Sammlungen wie das Museum in Vegesack machen mit ihrer Konzentration auf regionale Themen etwa 44 Prozent aller Museen in Deutschland aus. Das Vegesacker Museum ist aber nicht nur deshalb eine Besonderheit, weil es in Bremens einzigem Schloss untergebracht ist. Auch der Verein, der dahintersteht, ist schon wegen seiner Größe beeindruckend: „Mit rund 1000 Mitgliedern ist unser Heimatverein tief in Vegesack verwurzelt“, sagt Schleider. Hinzu kommen die Exponate, die zumeist von gebürtigen Vegesackern und Vegesackerinnen gestiftet wurden. Beispielhaft verweist Holger Schleider auf einen kunstvoll gestalteten gusseisernen Ofen im so genannten Uhthoffzimmer: „So etwas ist nur noch sehr selten zu finden“, weiß der Vereinsvorsitzende. Der Ofen stammt aus der Eisengießerei Uhthoff, die zwischen 1822 und 1875 als Zulieferer für den Schiffbau an der Unterweser diente.


Kapitäne und Matrosen brachten Erinnerungsstücke aus aller Welt mit

„Von Vegesack in die Welt“ bringt eine kleine Broschüre über das Museum die Botschaft der Ausstellung auf den Punkt. Seitdem Bremer Kaufleute 1618 mit dem Bau des Vegesacker Hafens begannen, entwickelte sich eine vielschichtige maritime Wirtschaft im Ort. Heringsfänger, Waljäger, Werften, Jachtbauer und Schiffsausrüster bestimmten über Jahrhunderte das ökonomische Geschehen an der Mündung des Flusses Lesum in die Weser. Was die Kapitäne und Matrosen von ihren Reisen in alle Welt als Souvenir nach Hause brachten, wurde häufig später dem Heimatverein gespendet. 

Nicht alles war für die geschichtskundigen Mitglieder auf Anhieb zu interpretieren. Lange Zeit grübelten sie zum Beispiel über eine Jacke, die aus einem sehr dünnen, fast pergamentartigen Material zu bestehen schien: „Durch Zufall haben wir dann erfahren, dass es die Jacke eines Seehundjägers aus Grönland war, die aus Darmhäuten hergestellt worden war“, erinnert sich Schleider. In der Sprache der Inuit Grönlands heißt die Jacke „An-nuh-raaq“, was wörtlich übersetzt „etwas gegen den Wind“ bedeutet. Das erklärt übrigens auch den deutschen Ausdruck für solche Kleidungsstücke: Anorak.

Holger Schleider ist Vorsitzender des Heimat- und Museumsvereins für Vegesack und Umgebung – und damit quasi der Schlossherr. © WFB/Sarbach

Aus Vegesack auf kurvenreichem Karriereweg als Entdecker nach Nordafrika

Die internationalen Beziehungen Vegesacks beschränkten sich aber nicht nur auf die Weltmeere. Mit Gerhard Rohlfs (1831-1896) stammt ein leibhaftiger Entdecker aus dem Ort. Medizinstudent ohne Abschluss, Soldat in Schleswig-Holstein und in Österreich, Söldner in der französischen Fremdenlegion, Abenteurer und schließlich anerkannter Afrika-Forscher – die Karriere war mindestens so kurvenreich wie der Weg durch die „Bremer Schweiz“ zum Museum. Auch wenn Rohlfs nur wenige seiner Lebensjahre in Vegesack verbrachte, vergaß er seine Heimat nie: Seinen gesamten Nachlass einschließlich seiner Büchersammlung, vieler Möbel und wertvollen Erinnerungsstücken vermachte er der Stadt Vegesack, die ihn wiederum dem Heimatverein überließ. Ein Zimmer im Schloss ist dem außergewöhnlichen Vegesacker gewidmet.


Wirtschaftsstandort mit internationalen Beziehungen

Internationaler Einfluss wurde aber auch an ganz anderer Stelle in Vegesack deutlich. Zu den bedeutenden nicht-maritimen Unternehmen im Ort gehörten Fliesenhersteller wie die Norddeutsche Steingutfabrik sowie die Steingutfabrik Witteburg im Ortsteil Farge. Zu den sehenswerten Ausstellungsstücken zählen daher verschiedene sehr seltene Steingutprodukte – darunter eine Kachel mit der dreidimensionalen Darstellung einer Ananas. „Als Frucht war sie viel seltener zu finden als heute und ist somit ein Zeichen des Besonderen“, heißt es in dem Ausstellungsbüchlein. Vermutet wird, dass die Kachel Teil der Dekoration eines Obst- und Gemüsegeschäftes war.

Ein Aufsatzofen ist eines der wenigen Ausstellungsstücke, die von der Einrichtung des Schlosses Schönebeck erhalten geblieben ist. Die Ursprünge des Schlosses reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück, 1357 wurde es als Burganlage erstmals urkundlich erwähnt. Um 1640 wurde es im Barockstil errichtet – die Entstehungsgeschichte konnte jedoch bisher nicht völlig geklärt werden. Bereits 1677 soll die Stadt Bremen versucht haben, das Gebäude zu kaufen – zu der Zeit zählte das Gebiet vorübergehend zu Schweden, das mit Bremen verfeindet war und den Verkauf verhinderte. Statt an die Hansestadt wurden das Schloss und seine Ländereien an die aus Westfalen stammende Adelsfamilie von Borch verkauft. 

Erst Anfang der 1950er Jahre veräußerten die Nachfahren das Ensemble an Bremen. 20 Jahre später bekam es der Heimatverein als Unterkunft für sein Museum. „Wir können stolz von uns sagen, dass wir im einzigen Schloss im Land Bremen ansässig sind“, sagt Holger Schleider. 

Das Museum ist dienstags, mittwochs und samstags von 15.00 bis 17.00 Uhr und sonntags von 10.30 bis 17.00 Uhr geöffnet. Gruppenbesuche und Führungen außerhalb der Öffnungszeiten sind nach vorheriger telefonischer Terminabsprache möglich.

Ein mit Messing beschlagener Eisenherd bildet den Mittelpunkt der Museumsküche aus der Zeit um 1900. © WFB/Sarbach