Gabriele Haefs

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Wüterich oder Schurke?

Die Wikinger sind in Norwegen immer gegenwärtig
7. Februar 2023

Die Wikinger werden je nach Bedürfnis dargestellt als furchtbare Wüteriche, die auf ihren Beutezügen fremde Küsten überfielen und mordeten oder als tapfere Helden und Entdecker, oder sogar als Kaufleute, die eigentlich niemandem etwas getan haben. Was denn nun? Gabriele Haefs weiß die Antwort

© Ribe Vikingercenter

Küsten überfielen und mordeten und sengten, oder als tapfere Helden und Entdecker, oder sogar als Kaufleute, die eigentlich niemandem etwas getan haben. Der Name Wikinger bedeutet eigentlich ganz langweilig „Buchtbewohner“, und wenn wir uns die norwegische Küste ansehen, dann finden wir endlos viele Ortsnamen auf „vik“, (Bucht). Den Buchtbewohnern, die im frühen Mittelalter in den Buchten und im Inneren der Fjorde lebten, blieb eigentlich gar nichts anderes übrig, als loszusegeln und zu versuchen, durch Handel oder Raubzüge genug Nahrung herbeizuschaffen, um sich und ihre Sippe durch den Winter zu bringen. Eigentlich ganz einfach. Aber sie haben auch große Entdeckungen gemacht, haben Island und Grönland besiedelt und auf Sizilien ein Königreich gegründet.

Bücher über die Wikinger und ihre Reisen und Beutezüge füllen ganze Bibliotheken, und doch gibt es noch viele Forschungslücken. Das macht es nun wiederum leicht, sie für verschiedene Ziele zu instrumentalisieren. In Zeiten mit starkem Nationalbewusstsein wurde in Norwegen ganz bewusst auf die Wikinger zurückgegriffen. Während der Nationalromantik im 19. Jahrhundert (als Norwegen die Unabhängigkeit als Staat anstrebte) und im Ersten Weltkrieg sollten sie das starke, unabhängige Norwegen darstellen. Heute ist es vor allem die Tourismusindustrie, die zu Werbezwecken auf Wikingerklischees zurückgreift. Dass solche Wikingerbilder wenig mit der Wirklichkeit übereinstimmen, spielt da keine Rolle. Es ist leicht zu beweisen (das wissen wir durch Skelettfunde, durch bei Grabungen entdeckte Kleidungsstücke, durch die Größe der Waffen), dass die alten Könige und Helden für heutige Maßstäbe eher kleinwüchsig waren, durchaus nicht die Riesen, von denen die Sagas berichten.

© Ribe Vikingercenter

Die Wikingerfrau hielt die Stellung

Viele Wikinger gingen zwar auf weite Fahrten und mordeten und brandschatzten, andere waren aber ganz normale Kaufleute, und wieder andere zogen nicht aus Entdeckerfreude los, sondern weil sie sich zu Hause unmöglich gemacht hatten und irgendwo in der Fremde ein neues Leben aufbauen mussten – das ist der Hintergrund hinter der Besiedlung von Island und Grönland und der verschollenen wikingischen Siedlungen in Nordamerika. Die typischen Wikinger, die also, die im Winter zurückkehrten und als brave Hausväter die während der Reisen des Sommers zerbrochenen und verlorenen Waffen und Werkzeuge reparierten, konnten das alles nur, weil Frau Wikingerin zu Hause die Stellung hielt, auf kargem Boden Haus und Hof bewachte und dafür sorgte, dass die Ernte ins Haus kam.

Dennoch sind gerade in den letzten Jahren die Wikinger abermals gewaltig in Mode gekommen und müssen als Identifikationsfiguren herhalten. Eine Menge Buchtitel spricht da eine deutliche Sprache: „Das Russland der Wikinger“ oder „Prinz Wladimir, ein russischer Wikinger“. Namen wie Olga, Oleg und Igor werden als Ableitungen nordischer Namen wie Helga, Helge und Ingvar gedeutet, und immer wieder wird der Eindruck erweckt, dass es mit Russland bergab gegangen sei, seit die Wikinger dort nicht mehr das Sagen hatten, und dass die Russen eben starke Herrscher wollen. Der erste starke Herrscher dort war der Wikinger Rurik (ca. 830 bis ca. 890), wobei andere Historiker darauf hinweisen, dass es gar nicht klar ist, ob dieser Rurik nicht eine nicht nachweisbare Sagengestalt ist. Dennoch wird Putin als „Prinz Wladimir“ sozusagen als direkter Nachfahre und im Grunde damit echter Wikinger ausgegeben. Solche Auswüchse des Wikingermythos sind vielleicht doch kein so überzeugender Grund, Norwegen zu mögen, aber es gibt wunderbar viele Wikingersachen, die wir guten Gewissens mögen können. Und viele Wikingermythen sind vor allem lustig:


Keine Hörner am Helm

In dem rekonstruierten wikingischen Langhaus von Borg auf den Lofoten erfährt die erstaunte Besucherin, dass es ein Mythos ist, dass die Wikinger Helme mit Hörnern trugen. Und diesen Mythos hat angeblich der an nordischen Dingen sehr interessierte Richard Wagner in die Welt gesetzt. Einfach, weil man seine singenden Helden ja irgendwie unterscheiden können musste, wenn sie auf der Bühne standen, und da bot sich die Farbe der Hörner ja geradezu an. Ob das stimmt, war nicht zu ermitteln (wo gibt’s denn bei Wagner Wikinger?), ist aber egal. Wir sehen, die Wikinger, egal wie und bei wem, sind immer noch für eine schöne Geschichte gut.

Zur Buchvorstellung:  Das schönste Land der Welt. 111 Gründe Norwegen zu lieben.