St. Patrick was a Gentleman, came from decent people, das singt Irlands Lieblingssänger Christy Moore, aber vielleicht ist das ja dichterische Freiheit? Was wissen wir wirklich über Irlands Nationalheiligen? Fromme Legenden besagen, er habe die Schlangen aus Irland vertrieben und der heidnischen Bevölkerung anhand eines Kleeblattes die Sache mit der Dreifaltigkeit erklärt. Daraufhin hätten sie sich mit Mann und Maus bekehrt und das Kleeblatt in ihr Wappen gesetzt. Die nüchterne Forschung kommt allerdings manchmal zu anderen Schlüssen.
Es gibt keinen Gott aber drei Patricks
In den 40er Jahren z.B. glaubte ein Schweizer Patrick-Forscher, nachweisen zu können, dass Patrick nie existiert hat. Verständlich, dass dieser Frevler sofort aus Irland ausgewiesen wurde und nirgendwo auch nur erwähnt wird, wie er zu dieser Behauptung gekommen war (vielleicht hatte er sie auf dem Boden einer Whiskeyflasche gefunden …) Zwanzig Jahre nach dem Schweizer nannte der Historiker Eoin Neeson (als irischer Staatsbürger konnte er nicht ausgewiesen werden) in seinem „Book of Irish Saints“ sieben Heilige namens Finbar – und Gelehrte an der Universität Cork behaupteten ihrerseits, dass alle sieben nur einer waren, und dieser auch nie gelebt hat! Das hat nichts mit Patrick zu tun, abgesehen davon, dass seine Position als Schutzheiliger bestärkt wird, wenn sein ärgster Rivale, eben Finbar, als Scharlatan entlarvt wird. Aus beiden Forschungen aber machte der berühmte Autor Flann O’Brien dann seine eigene Theorie: Es gibt keinen Gott, wohl aber drei Patricks!
Und drei Patricks gibt’s tatsächlich, verrät das „Book of Irish Saints“. Über den ersten ist leider gar nichts bekannt. Der zweite hat den Beinamen Sean Patrick, also „alter Patrick“, und wir könnten annehmen, er habe vor unserem Patrick gelebt. Verwirrenderweise soll es sich aber beim alten St. Patrick um den Großneffen des späteren Nationalheiligen gehandelt haben! Vergessen wir lieber den Großneffen und wenden uns dem Onkel zu, der tatsächlich aus „anständiger Familie“ kam. Vater und Großvater waren christliche Priester (der Vatikan sollte erst viele Jahrhunderte später den Zölibat anordnen), der Vater war nebenbei Ortsvorsteher, und offiziell galt die Familie als römisch. Sie war aber schon seit Jahrhunderten in einem Ort mit dem spannenden Namen Bannavem Taberniae irgendwo an der walisischen Westküste ansässig und hatte sich ihren keltischen Nachbarn weitgehend angepasst. Umgangssprache in Patricks Familie war nicht Latein, sondern ein Vorläufer des heutigen Walisisch (und Patrick bereute später, nie Latein gelernt zu haben, da doch Lateinkenntnisse bei einem Bischof zur Arbeitsplatzbeschreibung gehören).
Aus einer Sklavenhalterfamilie zum Sklaven
Wann genau Patrick geboren wurde, wissen wir nicht – möglich sind praktisch alle Jahre zwischen 400 und 420 n.Chr. Sechzehn Jahre lebte Patrick also in Bannavem Taberniae im Schoße seiner anständigen Familie, dann änderte sich plötzlich alles in seinem Leben. Auf einem Raubzug entlang der Küste verschleppten irische Piraten über tausend Briten und Britinnen – und zu ihnen gehörte auch Patrick. Die nächsten sechs Jahre verbrachte er als Schafshirte irgendwo im County Mayo. Dass er, Sohn einer reichen Sklavenhalterfamilie, nun selber zum Sklaven wurde, mag wie eine Ironie des Schicksals klingen, aber Patrick zog seine Lehre daraus. Später, als Bischof von Irland, wurde er zum entschiedenen Gegner der Sklaverei – was damals unter frommen Christen nicht durchaus selbstverständlich war.
Nach sechs harten, hungrigen Jahren konnte Patrick entfliehen, gelangte nach allerlei Irrfahrten wieder zu seiner Familie und reiste weiter in ein Priesterseminar in Frankreich. Wir können aber annehmen, dass er eine Verzehrpause in einer der Tavernen eingelegt hat, denen sein Heimatort seinen Namen verdankte. Zum Dank für seine Errettung wollte er nach Irland zurückkehren und dort das Christentum predigen. In Irland gab es damals schon einige kleine christliche Gemeinden, und schließlich schickte der Papst ihnen sogar einen Bischof, nämlich Palladius.
Die Bischofskarriere des Palladius war aber kein Erfolg, schon nach einem Jahr verwies ihn der König von Leinster, einer der fünf historischen irischen Provinzen, des Landes. Der irische Historiker Muirchú, der im 7. Jahrhundert die allererste Patrick-Biographie schrieb, berichtet, dass Palladius in Irland durch seine übertriebene Sittenstrenge Anstoß erregte (Suff und Sex waren ihm ein Dorn im Auge). Nun bewarb sich Patrick um den Bischofsjob. Und gleich gab es einen Skandal! Sein bester Freund meldete sich zu Wort: Patrick hatte ihm einmal unter dem Siegel der Verschwiegenheit eine grässliche Sünde anvertraut. Einen Menschen mit einer so lasterhaften Vergangenheit könne man ja wohl nicht zum Bischof machen, erklärte die Anti-Patrick-Fraktion. Patrick war außer sich über den Verrat des Freundes, und außerdem war alles schon so lange her, und er hatte doch Buße getan, das beteuerte er in einem seiner wenigen erhalten Briefe. Leider wissen wir nicht, was Patricks schreckliche Sünde war. Heutzutage, verklemmt wie wir sind, denken wir natürlich sofort an sexuelle Ausschweifungen – aber in Patricks Fall ist das unwahrscheinlich! Die Römer vertraten zwar eine uns heute noch vertraute Spießermoral, aber nach drei Jahrhunderten im keltischen Britannien war Patricks Familie zweifellos assimiliert genug, um die freizügigeren einheimischen Sitten zu übernehmen. Was damals Sünde war, ist heute vielleicht keine mehr, und umgekehrt gilt das sicher auch. Wobei Patrick offenbar ein lebenslustiger Knabe war, der gern einen trank, der aber doch seine eigenen Vorstellungen von Sitte und Ordnung hatte. So verhängte er Bußen über Priester, die nackt durch ihre Gemeinde spazierten. Den Gattinnen der Priester untersagte er, ohne Kopfbedeckung das Haus zu verlassen (ob sie ansonsten, anders als ihre Gatten, nackt ausgehen durften, ist nicht bekannt). Sympathisch ist auf jeden Fall Patricks Überzeugung, dass vertrauliche Geständnisse unter keinen Umständen weitergetratscht werden dürfen.
Bekehrung ohne Blutvergießen
Nach vielem Hin und Her bekam er den Bischofsposten dann doch – und sei es nur, weil sonst niemand freiwillig ins wüste, wilde Irland ging. Den Rest der Geschichte kennen wir ja – Patrick bekehrte Irland im Handumdrehen und machte es zum Land der Gelehrten und Heiligen.
Tatsächlich ist Irland das einzige Land in Europa, in dem das Christentum ohne Blutvergießen eingeführt wurde! Doch allen Leistungen zum Trotz: Patricks guter Ruf in Kirchenkreisen wurde nach diesem Skandal nie wieder ganz hergestellt, und so ist Patrick bis heute nicht offiziell heiliggesprochen worden. Was aber natürlich auch daran liegen kann, dass er eben kein Latein konnte. Der Kirchenforscher und Erzbischof George Otto Simms räumt in seiner Patrick-Biographie leider mit den schönen Legenden auf. Nie habe Patrick irgendwelche Schlangen vertrieben, es habe schon vorher keine gegeben, wir müssten das alles symbolisch verstehen. Und es kommt noch schlimmer: Das mit dem Kleeblatt könne auch nicht stimmen. Patrick starb 461, das Kleeblatt wurde erst im 18. Jahrhundert zum irischen Nationalsymbol. Na und, könnte man meinen, manche Entwicklungen brauchen eben etwas länger. Wie alt Patrick bei seinem Tod war, weiß nicht einmal Bischof Simms. Die Legende sagt, er sei hundertzwanzig Jahre alt geworden – wie Moses. Und das wurde so berechnet: Mit sieben Jahren getauft, mit siebzehn verschleppt, sechs Jahre Sklave, dreißig Jahre Studium, zweiundsiebzig Jahre Bischof, macht hundertzwanzig. Richtig überzeugend klingt das aber nicht. Vielleicht wurde das auch von irgendwelchen Patrickfans erfunden, die ihn unbedingt zum Nationalheiligen ausrufen wollten. Er selbst hatte da offenbar keine Ambitionen. Noch bis zum Ende des Mittelalters – also ein Jahrtausend lang! – hatte Irland eine Nationalheilige, nämlich Brigid, deren Fest am 1. Februar begangen wurde, dem alten keltischen Frühlingsanfang. Im nächsten Jahr schreiben wir an dieser Stelle etwas über die heilige Brigid! Versprochen, und nun ein Sláinte auf St. Patrick!
Das Lied von Christy Moore gibt es hier.