Obwohl seit Jahren immer wieder der Verzicht auf die (fette) Weihnachtsgans propagiert wird, schieben Jahr für Jahr viele Norddeutsche das liebe Federvieh weiterhin in die Röhre. Der schöne Vogel führt immer noch die norddeutsche „Weihnachtsbraten-Statistik“ an. Die Tradition hält auch in Zeiten von Künstlicher Intelligenz und Klimakrise. Dagegen ist auch wenig einzuwenden, denn ein Gänsebraten schadet dem Klima kaum und kann eine kulinarische Offenbarung sein. Voraussetzung ist eine Freilandgans, die ohne künstliche Masthilfe auf rund fünf Kilo Gewicht gekommen ist. Das reicht für eine Kleinfamilie mit einigen Freunden oder für eine Großfamilie. In fast jeder Region des Nordens gibt es einen oder mehrere bekannte Qualitätszüchter. Gern zahlen wir für ihre prachtvollen Gänse auch einige Euro mehr. Geiz passt nun einfach nicht zum christlichen Weihnachtsfest.
Weihnachtsbaumgeschäft
Am 11. November, dem Martinstag, beginnt bekanntlich die Gänsesaison. „Gänse sind ein Weihnachtsbaumgeschäft“, sagen die Gänsezüchter, denn nur vom 11. November bis Weihnachten finden die beliebten Festtagsbraten Abnehmer.
Einer überlieferten Geschichte nach verrieten am 11. November im Jahre 371 schnatternde Gänse den Heiligen Martin, der sich in ihrem Stall versteckt hatte, um dem Bischofsamt zu entgehen. Der Ex-Soldat des römischen Kaisers sollte Bischof von Tours werden. Dafür hätten sie büßen müssen. Eine unglaubliche Geschichte. Die wahrscheinlichere Erklärung für die traditionelle „Martinsgans“ ist, dass am Martinstag, der das Ende des Erntejahres markiert, die Bauern ihren „Zehnten“ an die Lehnsherren entrichten mussten, und zwar meistens als Naturalabgabe, wozu seit dem 13. Jahrhundert (bevorzugt) Gänse zählten.
Die Deutschen lieben die Weihnachtsgans. Tatsächlich gehört die Gans zu den wenigen kulinarischen Errungenschaften der Germanen, die nicht auf den Einfluss anderer Völker zurückzuführen sind.
Jedenfalls haben die Römer überliefert, dass die Germanen (und Gallier) eine besondere Vorliebe für die gemästete Gans entwickelten. Ins Reich der Legende gehört dagegen die Behauptung der Römer, dass die Germanen vor allem Gänse verzehrten, weil sie durch ihr Geschnatter den Angriff auf das römische Kapitol im Jahre 390 v. Chr. verrieten.
Fettleber
Die Römer waren es übrigens auch, die die Liebe zur heute umstrittenen Gänsestopfleber entdeckten. Durch Fütterung von Öl und Feigen wird die Leber der Gans zur Fettleber, die in der römischen Oberschicht als Delikatesse galt. Deshalb bekam das „einfache“ Volk seine Gans ohne Leber.
Jenseits der Alpen war die Gans bis ins Mittelalter ein beliebter Vogel. Wer Gänse sein Eigen nennen konnte, hatte immer ausreichend Fleisch und Schmalz im Haus, konnte sich weich in Daunen betten und die Kiele als Schreibgerät teuer verkaufen. Außerdem ersetzte das Schnattervieh einen Wachhund.
Abgesehen von der (Fett-)Leber hatten die besser gestellten Römer kein Interesse an der Gans. Das gilt nachfolgend auch für die Franzosen, die auf die Zubereitung der Fettleber – foie gras – bis heute viel kreative Energie verwendeten.
Leckereien verstecken
Anders die Nachkommen der Germanen: Sie liebten nach wie vor den ganzen Vogel. Da die Gans so schön groß war – sie wurde gerne erst mit 8-10 kg geschlachtet – kam man auf die Idee sie zu füllen.
So wurden in der Gans bei Festessen allerlei Leckereien versteckt. Hier kamen dann Wachteln, Rebhühner und Fasane, aber auch Schweins- und Kalbsfüße zum Einsatz. Heute füllen wir die Gans eher mit Maronen, Zwiebeln, Äpfeln, Backpflaumen, Kräutern und Gewürzen. Die Jungmastgänse von heute bieten mit ihren vier bis fünf Kilo Schlachtgewicht einem Fasan auch keinen Platz mehr. Kulinarisch haben wir jedenfalls nichts verpasst, da die junge Gans von heute der alten vorzuziehen ist. Nun heißt es mutig ans Werk!