Jens Mecklenburg

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Statt Grünkohlfahrten kommt das Kohl-Taxi

Karneval des Nordens leidet unter Pandemie
20. Januar 2021

Die beliebten norddeutschen Grünkohlfahrten fallen in diesem Winter aus. Auch gesellige Grünkohlessen im Restaurant gehen nicht, und erstmals seit rund 30 Jahren wird keine neue Grünkohlmajestät gekrönt. Aber noch ist kohlmäßig – zumindest in Niedersachsen – nicht alles verloren.

„Kohlfahrt“-Gruppe, die zu ihrer „Kohl-und-Pinkel-Tour“ vom Bremer Marktplatz aus startet. Zur traditionellen „Ausstattung“ der „Kohlfahrt“-Gruppe gehören u. a. umgehängte Schnapsgläschen, eine „Grünkohl-Palme“ und ein Bollerwagen zum Transport von Getränken und „Wegzehrung“ wie belegte Brötchen und Mettwürstchen. ©Jocian, Lizenz: CC BY-SA-3.0

Kohlfahrten at Home

Dann eben „Kohlfahrt at Home“, dachte sich Marco Tienz, der als Veranstalter schon seit März 2020 im Lockdown sitzt. Seit vier Wochen rollt sein „Grünkohl-Taxi“ rund um Delmenhorst bis Bremen. Die Idee: „Ihr geht spazieren, und wenn ihr um 17 Uhr durch seid, komme ich zu Euch und bringe das warme Grünkohl-Essen“, sagte der 47-Jährige. Und es klappt. Das Wintergemüse wird im Norden und Nordwesten hochgeschätzt. Niedersachsen ist schließlich Grünkohl-Anbaugebiet Nr 1.

Das „Grünkohl-Taxi“ liefert das Gericht mit Grünkohl, Kartoffeln, Pinkel, Schinkenwurst, Kasselernacken und Senf heiß nach Delmenhorst, Stuhr, Ganderkesee, Brinkum und wenn mindestens vier Essen zu je 15 Euro zusammenkommen, dann auch nach Bremen. „Ein Versuch aus dem Lockdown rauszukommen“, so Tienz, der mit der Fleischerei Hemmerling zusammenarbeitet. Und da ihn Freunde aus Stuttgart und Köln neckten, dass er doch schließlich rund um die Uhr (24/7) Bestellungen annehme und sie auch Grünkohl wollten, gibt es nun ein neues Angebot: Norddeutsche Grünkohl-Gerichte per Postversand, und zwar bundesweit.

„Das geht“, sagt Tienz. Die Fleischerei verpacke für den Versand das vorgekochte Gericht vakuumdicht. Auch die Temperaturen stimmen in den kalten Grünkohl-Wintermonaten Dezember, Januar, Februar. „Zwei Gerichte passen in ein Paket.“ Ein eingeschränkter Außerhausverkauf ist in der Gastronomie grundsätzlich möglich. Es gebe auch kreative Angebote wie eben Lieferservice, sagt der Sprecher der niedersächsischen Landwirtschaftskammer, Wolfgang Ehrecke. Ob der befürchtete Absatzrückgang beim Grünkohl durch solche Angebote und einer erhöhten Nachfrage in Privathaushalten kompensiert wird, ist allerdings fraglich.

©Robert Bode/ LWK SH


Niedersachsen ist Grünkohlland

Für Niedersachsen keine unwichtige Frage: 2019 bauten laut Statistischem Bundesamt 209 niedersächsische Betriebe auf insgesamt 429 Hektar Grünkohl an. Die Erntemenge lag bei 7571 Tonnen. Damit war Niedersachsen im bundesweiten Vergleich Spitzenreiter, dicht gefolgt von Nordrhein-Westfalen (7288 Tonnen). Bundesweit haben 1180 Betriebe auf rund 1010 Hektar 16 652 Tonnen Grünkohl geerntet. Und der Kohl ist gesund: Neben dem hohen Anteil an Vitamin C enthält er viele Mineralstoffe. „Insbesondere sein Calcium- und Eisengehalt sind beachtenswert“, so die Landwirtschaftskammer.

Gesunde Ernährung steht aber nicht unbedingt im Mittelpunkt der Kohltouren. Im Kern geht’s darum, mit Freunden, Bekannten, Kollegen durch Stadt oder Botanik zu ziehen und sich vom mitgeführten Bollerwagen mit meist alkoholischen Getränken verschiedenster Art zu bedienen und zum Abschluss Grünkohl zu essen. Die Kohlgänger sind oft mit Schnapsglas um den Hals anzutreffen und vergnügen sich bei Spielen wie Teebeutelweitwurf, Liedergurgeln oder Boßeln. Die Kohltoursaison – gerne als „Karneval des Nordens“ bezeichnet – fällt 2021 aus. 

Auch für den Grünkohl-Adel ist es kein allzu gutes Jahr. Die Wahl eines neuen Oldenburger Grünkohl-Königs beziehungsweise einer neuen Kohl-Königin fällt coronabedingt aus. Seit 1956 gab das nur zweimal: 1962 (Hochwasserkatastrophe) und 1991 (Golfkrieg). Bei der Krönung, dem traditionellen „Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten“ in der Landesvertretung Niedersachsens in Berlin, wird normalerweise reichlich aufgetischt: Für die rund 270 geladenen Gäste gab es das letzte Mal 200 Kilogramm Grünkohl und rund 240 Kilo Pinkel, Kasseler, Speck und Kochmettwurst. Da wären viele Grünkohl-Taxis für nötig.

Doch trotz Absagen und Lockdwowns gibt die „Kohltourhauptstadt Oldenburg“ nicht alles verloren. Sie setzt aufs Digitale. Zum 150. Jubiläum der Kohlfahrten legte sie die Instagram Challenge „Nich‘ lang schnacken, Foto auspacken! Wir feiern #150jahrekohlfahrt“ auf. Gesucht werden die coolsten Kohlfahrt-Fotos aus vergangenen Jahrzehnten. Vom 15. bis 31. Januar sollen über den Instagram-Kanal „@echt.oldenburg“ Bilder von früheren Kohlfahrten unter dem Schlagwort #150jahrekohlfahrt gepostet werden. So leicht gibt der Norddeutsche seinen geliebten Grünkohl nicht auf. 

©Peters Grünkohl