Jens Mecklenburg

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Magische Kräfte im Essen

Ist Superfood vielleicht Superquatsch?
30. Januar 2023

Chiasamen, Quinoa und andere „Superfoods“ vollbringen Wunder für unsere Gesundheit. Ihnen werden geradezu magische Kräfte nachgesagt. Was dran ist und warum heimische Produkte nicht weniger gesund sind.

Als Superfood wurden in den letzten Jahren allerlei exotische Beeren, Samen und Getreidesorten bekannt. Man sollte wissen, dass Superfood ein Begriff aus dem Marketing ist. Und es funktioniert: Immer mehr Menschen kaufen diese Produkte, vor allem die unter 40-Jährigen. 2013 wurden gerade 20 Kilogramm Chiasamen in Deutschland verkauft, heute sind es tausende Tonnen. Schon die Maya und Azteken sollen Chiasamen gegessen haben – so eine Geschichte prädestiniert Chia natürlich dazu, als Superfood vermarktet zu werden. Die braungrau gefleckten Samen, die im Wasser stark quellen, enthalten rund 20 Prozent Proteine und 30 Prozent Fett. Dabei liefern sie viele der als gesund geltenden Omega-3-Fettsäuren. Zudem sind sie ballaststoffreich, so sehr, dass die europäische Lebensmittelbehörde EFSA einen Health Claim für den hohen Gehalt an Ballaststoffen zugelassen hat – der Anbieter darf also damit werben. Dass Chiasamen dank dieser Nährstoffe schlank machen, den Blutzucker regulieren und gegen Gelenkschmerzen und Sodbrennen wirken, wie es ihnen nachgesagt wird, ist jedoch nicht gesichert. Verschiedene Studien haben jedenfalls keinen Einfluss etwa auf das Gewicht von übergewichtigen Probanden gefunden. Zu den anderen potenziellen Heilwirkungen gibt es nur wenige Ernährungsstudien, mit wenigen Teilnehmern und hohen Dosen – das gilt für alle Superfood-Produkte. Wer auf die Chia-Inhaltsstoffe wert legt, kann genauso Leinsamen, Hasel- oder Walnüsse essen.

Chiasamen – neues Superfood?


Gesunde Körner und Anti-Aging-Beeren

Quinoa, die Getreide-ähnlichen Körner aus den Anden, sind mit bis zu 15 Prozent Proteingehalt eiweißreicher als viele Getreidesorten, dabei liefern sie alle lebensnotwendigen Aminosäuren, zudem ungesättigte Fettsäuren. Quinoa ist glutenfrei und enthält mehr Vitamin E, Kalzium und Magnesium als Getreide. Auch Eisen und Zink enthält es. Die Welternährungsorganisation FAO empfiehlt daher das Korn der Anden in Regionen, in denen Hunger herrscht.

In Deutschland ist jedoch der Nährstoffbedarf durch normale Ernährung gut gedeckt. Die Körner sind zwar gesund, aber für eine gesunde Ernährung in unseren Breiten nicht nötig. Was man unbedingt wissen sollte: Quinoa enthält für Säuglinge und Kleinkinder schädliche Bitterstoffe und sollte von den Kleinsten gemieden werden.

Die getrockneten Früchte des Bocksdorn-Strauches – Gojibeeren – werden als Anti-Aging-Sensation angepriesen und finden seit Langem Anwendung in der traditionellen chinesischen Medizin. Sie liefern viele Ballaststoffe, Kalzium, Eisen, Vitamin C und Carotinoide. Die EFSA hat jedoch keine Health Claims für Gojibeeren genehmigt. Vielmehr gibt es sogar Warnungen: Man sollte sie nicht essen, wenn man Blutverdünner einnimmt. Auch erlitten einige Menschen nach dem Verzehr schwere allergische Reaktionen.

Die nordamerikanische Aronia gilt als Superbeere, da sie viele Pflanzenfarbstoffe enthält, sogenannte Anthozyane. Sie soll gut für das Herz sein, Thrombosen vorbeugen und den Blutdruck senken. Die Früchte der brasilianischen Açai-Palme sollen bei Erschöpfung helfen, schlank machen sowie Herzproblemen, Arthrose und Krebs entgegenwirken. Auch für diese Frucht wird der Anthozyan-Gehalt betont, da die Farbstoffe antioxidativ wirken. Als antioxidativ bezeichnet man Substanzen, die im Körper krankmachende freie Radikale neutralisieren sollen. Dieses Potenzial kann mithilfe des sogenannten ORAC-Tests untersucht werden. Allerdings sind die Vorgänge im Reagenzglas nicht mit denen unseres Stoffwechsel vergleichbar. Unser Körper verfügt über eigene Mechanismen, freie Radikale zu bändigen. Durch Lebensmittel wird dies nicht maßgeblich beeinflusst. Statt auf Aronia oder Açai kann man auch auf Brombeeren, Heidelbeeren, Holunder und Kirschen setzen.

Quinoa, eine Getreideart mit 15 Prozent Proteingehalt

Heimisches Superfood

Nichts gegen Quinoa und Chiasamen. Sie können uns neue und interessante Geschmackserlebnisse vermitteln. Wer an deren Heilkraft glaubt, profitiert womöglich vom Placeboeffekt. Auch gut. Ansonsten sind es ganz normale Lebensmittel. Wer Wert auf gesunde Lebensmittel legt, sollte auf Superfoods aus heimischen Anbau setzen. Was Quinoa und Aronia bewirken, können Grünkohl, Rote Bete, Petersilie und Sanddorn schon lange. Und sie müssen nicht über den halben Erdball transportiert werden, entstammen bäuerlichem Anbau und haben ein großes Genusspotenzial. Nehmen wir nur die Rote Bete. Wir Europäer kennen die Wurzelknolle der Beta vulgaris, die der Farbstoff Anthozyan so rot färbt, schon lange – die Wildform ist seit 4.000 Jahren bekannt. Mit den Römern kam das Gemüse erstmals auch nach Mitteleuropa. Besonders in Klostergärten wurde die Rübe kultiviert – und das keineswegs nur, weil sie eine anregende, appetitsteigernde Wirkung hat und ihr Saft so schön färbt. Nein, die slawische Küche beweist mit ihrem Borschtsch, dass sie auch gut schmeckt. Süd- und osteuropäischen Einflüssen und deutschen Gourmetköchen ist es zu verdanken, dass heutzutage die Rübe wieder zu großen kulinarischen Ehren kommt. Ist die Rote Rübe doch eine fruchtig-frische Köstlichkeit. Außerdem ist sie gesund. Sie stärkt die Nerven, hilft bei der Blutbildung und -verbesserung und sorgt für eine gute Verdauung. Durch ihren antioxidativ wirksamen Farbstoff beugt sie Gefäßablagerungen vor, mildert Entzündungen und schützt die Zellen. Der Volksmund sagt, dass der Genuss der Rübe dem Schwachen Kraft und dem Schüchternen Sicherheit verleiht. Wenn dass mal kein Superfood ist.

Rote-BeteSmoothie. ©C. Pabsch