Jens Mecklenburg

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Kinder werden als Gourmets geboren

Und durch Prägung zu kulinarischen Analphabeten erzogen
5. Mai 2021
©)Ingo Wandmacher

„Kinder werden als Gourmets geboren“, ist die feste Überzeugung von Professorin Andrea Maier-Nöth von der Hochschule Albstadt-Sigmaringen. Wie sich unsere Geschmacksvorlieben entwickeln sei zu etwa 20 Prozent genetische Veranlagung, der Rest ist Prägung, so die Expertin für frühkindliche Geschmacksprägung. Und weiter: „Über die Plazenta kann der Fötus bereits einen ersten Eindruck davon bekommen, wie gesunde Vielfalt schmeckt – oder eben nicht. Weiter geht es mit der Muttermilch: Je abwechslungsreicher sich die Mutter ernährt, umso abwechslungsreicher schmeckt auch die Milch. Damit ist sie der Flaschenmilch überlegen, die geschmacklich natürlich nicht variiert.“ Die Mutter kann also durch ihre eigene Ernährung viel Einfluss nehmen. Dabei können wir viel von anderen Ländern und Kulturen lernen: Französinnen zum Beispiel essen in Schwangerschaft und Stillzeit genauso wie sonst – in Deutschland sind für viele werdende Mütter Lebensmittel wie Knoblauch, bestimmte Hülsenfrüchte, Kräuter oder scharfe Gewürze tabu, was aus Sicht Maier-Nöths vollkommen unnötig ist.


Unübertroffener Geschmackssinn

Katzen haben großartige Ohren, Hunde eine unübertreffliche Nase. Doch was ihren Geschmacksinn betrifft, können sie mit uns Menschen nicht mithalten. Das Fundament unseres Geschmacksinns steckt im Mund: Über 10.000 Geschmacksknospen bevölkern Gaumen und Zungenrücken – so viele hat kein Tier.

Daher sollte auch bei der Ernährung von Säuglingen Vielfalt Trumpf sein: Säuglinge, die eine abwechslungsreiche und vielfältige Beikost erhalten, sind auch im späteren Leben bessere und unkompliziertere Esser. Babys haben wie Erwachsene rund 10.000 Geschmacksknospen, die verkümmern, wenn sie nicht stimuliert werden. Eltern sollten also auf möglichst viel Abwechslung schon zu Beginn der Beikost achten. Deutsche Eltern gäben gerne viel Kürbis, Pastinake, Karotte oder Kartoffel – alles süßliche Lebensmittel, die die Kinder auf diese Geschmacksrichtung konditionieren. Das mache es später schwerer, sie auch für bittere oder saure Lebensmittel zu begeistern. Obendrein wird in Deutschland oft noch wie in Mittelalterzeiten einfach alles zu einem Brei oder Mus vermengt – im Gläschen sind Fleisch, Gemüse und Kartoffeln, alles durcheinander. Wie soll ein Kind da lernen, wie Rindfleisch schmeckt oder Broccoli?

Beliebt ist auch der Aberglaube, Kinder brauchten spezielle Lebensmittel. Dabei sind „Kinderteller“ in der Gastronomie oder Kindergerichte aus dem Supermarktregal meist (legale) Einstiegsdrogen für lebenslangen Fast-Food-Konsum. 


Es ist nie zu spät

Zum Glück kann man aber auch noch bei älteren Kindern „umsteuern“, „es ist nie zu spät“, so Maier-Nöth. Lebensmittel wie verschiedene Gemüse immer wieder anbieten, nicht zu schnell aufgeben. Das Allerwichtigste sei, keinen Druck auszuüben und eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. Wenn das gemeinsame Essen am Tisch als schönes Erlebnis wahrgenommen werde, bei dem auch erzählt und gelacht werde, sei schon viel gewonnen. Kinder kann man auch prima ins Einkaufen und Kochen einbeziehen. Einfach mal gemeinsam eine Pizza oder ein Brot backen oder Nudeln mitsamt Soße selbst herstellen. Natürlich sind die Eltern wichtige Vorbilder. Wenn sich die Eltern selbst genussvoll, ausgewogen und abwechslungsreich ernähren, Kinder merken, dass Essen Freude bringt, manchmal sogar ein Abenteuer sein kann, färbt das ganz automatisch ab.