Keine Einigung trotz stundenlanger Gespräche: Beim Corona-Gipfel im Kanzleramt wurde das Thema Beherbergungsverbot vertagt. Das verärgert Politiker der Regierungsparteien wie auch der Opposition.
„Dass das Beherbergungsverbot in einigen Ländern bleibt, ist kein gutes Zeichen, und man findet hoffentlich noch eine Lösung in zwei Wochen“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem SPIEGEL. „Gerade in Hotspot-Städten wie Berlin und Köln werden unnötig wertvolle Testkapazitäten dafür benötigt. Mit Blick auf die langsam knapp werdenden Reagenzien braucht es beim Beherbergungsverbot zeitnah eine bundeseinheitliche Lösung“, sagte Lauterbach.
Grundsätzlich begrüße er die Beschlüsse, die am Mittwoch gefasst wurden, sie seien jedoch das „absolute Minimum dessen, was jetzt erforderlich ist, um die Lage in den Griff zu bekommen“. Hätte man diese Maßnahmen schon vor zwei Wochen beschlossen, „wäre uns vermutlich einiges erspart geblieben“, sagte der SPD-Politiker.
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, hält die Regelung für falsch. „Es wäre gut gewesen, hätte man das Beherbergungsverbot am Mittwoch auch bundesweit abgeräumt. Dann würde man sich vermutlich viele Verfahren vor Gericht ersparen“, sagte Buschmann dem SPIEGEL.
Tatsächlich hat bereits an diesem Donnerstag der Verwaltungsgerichtshof in Baden-Württemberg einem Eilantrag gegen das Beherbergungsverbot in dem Land stattgegeben.
„Es trägt nichts zur Bekämpfung von Corona bei, greift aber tief in die Freiheit der Reisenden und Beherbergungsbetriebe ein. Ein besserer Beitrag zur Seuchenabwehr wäre es, die wirklich wirksamen Maßnahmen wie die Unterbindung großer Ansammlungen ohne Hygienekonzept konsequent durchzusetzen“, sagte Buschmann.
Schaden für Tourismus & Wirtschaft
Schleswig-Holsteins SPD-Fraktionschef Ralf Stegner äußerte ebenfalls deutliche Kritik. „Das sogenannte Beherbergungsverbot ist nicht zielgenau, sondern eher wirkungslose Symbolpolitik, die überdies unnötig Testkapazitäten kostet und die gebeutelte Gastronomie hart trifft“, so Stegner. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hatte am Donnerstag bekräftigt, am Beherbergungsverbot festhalten zu wollen.
Auch bei den Beschlüssen ist Stegner skeptisch: „Die beschlossenen Maßnahmen sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber angesichts der zweiten Infektionswelle womöglich nicht ausreichend.“
Der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß sagte über das Beherbergungsverbot: „Das hätte man am besten schon am Mittwoch bundesweit kippen müssen, und es sollte so schnell wie möglich deutschlandweit abgeschafft werden.“ Es verunsichere viele Menschen, verringere die Akzeptanz der „wirklich sinnvollen Corona-Regeln und schadet wichtigen Wirtschaftsbranchen in unserem Land“, sagte Ploß.
Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) übte Kritik: „Nach dem Regelungschaos und dem Frust bei Hoteliers wie Gästen ist es völlig inakzeptabel und nicht nachvollziehbar, dass sich die Bundesländer nicht darauf einigen konnten, die Beherbergungsverbote auszusetzen“, erklärte DEHOGA-Präsident Guido Zöllick. Zöllick verwies auch auf die Kritik von Virologen und Ärztevertretern wie Rechtswissenschaftlern zur Sinnhaftigkeit und Erforderlichkeit der Regelung. Der DEHOGA appellierte an die Bundesländer, die Beherbergungsverbote bis zur nächsten Runde am 8. November auszusetzen.
„Beherbergungsverbote entsprechen nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.“ Dies wurde am Donnerstag auch vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bestätigt. Das Beherbergungsverbot ist dort mit sofortiger Wirkung ausgesetzt.
Auch niedersächsisches Gericht kippt Verbot
Nun hat auch das niedersächsische Oberverwaltungsgericht das Beherbergungsverbot des Landes für Reisende aus deutschen Corona-Hotspots in einem Eilverfahren für rechtswidrig erklärt. Der Beschluss sei unanfechtbar, teilte das Gericht am Abend mit. Geklagt hatte der Betreiber eines Ferienparks.
Die Beherbergungsbetriebe, beispielsweise Hotels und Pensionen, müssen sich „mit sofortiger Wirkung“ nicht mehr an die entsprechende Verordnung halten, wie das Gericht in Niedersachsen mitteilte. Bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren in der Sache könne es noch Monate dauern, sagte eine Sprecherin.
Das Verbot war erlassen worden, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Reisenden aus deutschen Regionen mit mehr als 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen wurden Urlaubsaufenthalte damit erschwert. Am Donnerstag standen 54 Regionen auf der Liste der betroffenen Regionen.
Zwar sah die Regelung eine Reihe von Ausnahmen vor, etwa nach Vorlage eines negativen Corona-Tests. Dennoch stellte sich das Verbot laut Oberverwaltungsgericht „nicht als notwendige infektionsschutzrechtliche Schutzmaßnahme dar“. Es sei zweifelhaft, ob das Verbot geeignet und erforderlich sei, hieß es.
Niedersachsens Landesregierung hatte sich den Beherbergungsverboten anderer Bundesländer zunächst nicht angeschlossen, nach wenigen Tagen aber doch nachgezogen. Ministerpräsident Stephan Weil begründete das damit, dass das Land anderenfalls eine besondere Anziehung für Touristen gehabt hätte, die vom Urlaub in den übrigen Ländern ausgeschlossen wurden.
Auch in anderen Bundesländern sind Klagen eingereicht.
Am Mittwoch hatten die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin getagt und über das weitere Vorgehen bei der Pandemiebekämpfung beraten. Auf eine bundeseinheitliche Regelung zum Beherbergungsverbot konnte man sich jedoch nicht verständigen. Mehrere Bundesländer, etwa die Reiseländer Mecklenburg-Vorpommern und Bayern, wollten an ihren Regelungen zum Beherbergungsverbot festhalten. Am 8. November soll nun erneut über die Frage diskutiert werden.