Johanna Rädecke

Redakteurin

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Chaotische Reisebestimmungen innerhalb Deutschlands

Dürfen Berliner in Schleswig-Holstein Urlaub machen und Bremerinnen in Niedersachsen?
8. Oktober 2020

Die Herbstferien stehen vor der Tür, in einigen Bundesländern haben sie schon begonnen – und täglich ändern sich die Voraussetzungen für das Reisen im eigenen Land. Galt München vor Kurzem noch als Risikogebiet, sind es nun auch Teile Berlins – und Frankfurt steuert bei der Zahl der Corona-Infektionen auf die nächste Warnstufe zu, Bremer hat sie gerade überschritten. Am Mittwoch haben fast alle Bundesländer ein Beherbergungsverbot für Urlauber aus Corona-Risikogebieten beschlossen.

Unsicherheit zur Urlaubszeit

In einer Zeit, die sonst von Reiselust und Fernweh geprägt ist, herrscht nun Unsicherheit – sogar im eigenen Land, angesichts eines komplizierten Regelungsgeflechts zwischen den 16 Bundesländern. „Reisebeschränkungen im Inland sind das falsche Signal und nicht hilfreich“, sagte zum Beispiel Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow dem SPIEGEL. Politiker von CDU und SPD monierten, das Nebeneinander verschiedener Vorschriften schaffe einen verwirrenden Flickenteppich, und forderten eine bundesweit einheitliche Regelung. Niedersachsens Gesundheitsministerin riet sogar davon ab, in den Herbstferien zu verreisen. „Ich empfehle allen Bürgerinnen und Bürgern, die Herbstferien möglichst zu Hause zu verbringen“, sagte Carola Reimann der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ).

Was gilt nun wo bei Reisen im Inland? Und müssen Reisende aus deutschen Risikogebieten in Quarantäne? 


Welche Gebiete gelten als Risikogebiet?

Das Robert Koch-Institut weist in seinem jüngsten Lagebericht (Stand 7. Oktober) die Städte Hamm und Remscheid in Nordrhein-Westfalen sowie den Landkreis Vechta in Niedersachsen als deutsche Risikogebiete aus. Zudem stehen auch die Berliner Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Neukölln und Tempelhof-Schöneberg auf der RKI-Liste.

Die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen – die sogenannte 7-Tage-Inzidenz – lag laut RKI am Mittwoch in den Bundesländern Berlin und Bremen sehr deutlich, in Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Hessen deutlich über dem bundesweiten Durchschnittswert. Am Donnerstag meldete auch Bremen einen Wert von über 50 – müsste damit auch in die Liste der Risikogebiete aufgenommen werden.

Bei der Frage, ob ein Gebiet in einem Bundesland als Risikogebiet gilt, spielt die RKI-Bewertung eine wichtige Rolle – die Antwort ist aber nicht einheitlich und ändert sich naturgemäß täglich. Zum Teil wird auch Berlin inzwischen als Ganzes und nicht mehr getrennt nach Stadtteilen betrachtet, und zum Teil weisen die Länder gar keine innerdeutschen Risikogebiete (mehr) aus. 


Was denn nun?

Die Länder beschlossen am Mittwoch mehrheitlich, dass solche Reisenden nur dann beherbergt werden dürfen, wenn sie einen höchstens 48 Stunden alten negativen Corona-Test haben. Das wurde am Mittwoch nach einer Schaltkonferenz der Staatskanzleichefs der Länder mit Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) mitgeteilt. Greifen soll dies für Reisende aus Gebieten mit mehr als 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohnern binnen sieben Tagen.

Fünf Länder gaben zu dem Beschluss aber abweichende Erklärungen ab. Berlin und Thüringen machten deutlich, dass sie ein Beherbungsverbot nicht mittragen wollen. Bremen wollte noch prüfen. Mecklenburg-Vorpommern will bei strengeren Qurantäneregeln bleiben. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow erklärte, er habe den Eindruck, dass die Bundesländer in dieser Frage unterschiedliche Positionen haben und noch nicht dicht beieinander lägen.

Bund und Länder bekräftigten im Kern aber eine Linie, die Ende Juni vor den Sommerferien grundsätzlich beschlossen worden war. Nun sollte es angesichts teils unterschiedlicher Regeln um einen einheitlicheren Rahmen für den Herbst gehen. Generell fordern Bund und Länder angesichts bundesweit steigender Infektionszahlen „eindringlich alle Bürgerinnen und Bürger auf, nicht erforderliche Reisen“ in solche Risikogebiete und aus diesen Gebieten heraus zu vermeiden.

In dem Beschluss heißt es mit Blick auf die Tests: „Die Eindämmung des Infektionsgeschehens und die Testungen im Gesundheitswesen sowie Testungen zur Aufrechterhaltung des Bildungswesens und der inneren Sicherheit haben Priorität.“ Insofern könnten solche „Freitestungen für Reisezwecke“ nur gemacht werden, wenn die regionalen Kapazitäten dies zusätzlich zulassen. Generell gibt es auch keine Regelung dazu, dass die Krankenkassen Tests bei Inlandsreisen zahlen. Dies gilt derzeit nur für Pflichttests für Reiserückkehrer aus Risikogebieten im Ausland. Wer keine Symptome hat, muss einen Test in der Regel aus eigener Tasche bezahlen – es sei denn ein Arzt entscheidet es anders.

Im gemeinsamen Beschlusspapier – bei dem die genannten fünf Länder andere Erklärungen abgegeben hatten – steht unter anderem:

Es wird festgestellt, dass dem Anstieg der Zahlen „konsequent begegnet werden muss“, vor allem um Wirtschaft, Schulen und Kitas am Laufen zu halten.

Bekräftigt werden vorangegangene Beschlüsse von Bund und Ländern vom Mai, Juni und Juli und die entsprechende „Hotspot-Strategie“, die besagt, dass Beschränkungen erlassen werden, wenn in einem Kreis die Anzahl der Corona-Neuinfektionen den Grenzwert von 50 pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen übersteigt.

Die Bürger werden aufgefordert, nicht erforderliche Reisen in besonders betroffene Gebiete und aus diesen heraus zu vermeiden.

Die Mehrzahl der Länder erklärt sich dazu bereit, zu regeln, dass Touristen aus entsprechenden Gebieten nur dann in einem Hotel untergebracht werden dürfen, wenn sie einen negativen Test vorlegen können, der maximal zwei Tage alt ist. Solche „Freitestungen“ für Reisen sollen nur möglich sein, wenn genug Testmöglichkeiten vorhanden sind. Tests zur Aufrechterhaltung etwa des Bildungswesens haben Vorrang.


Abweichende Verordnungen

Bremen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Thüringen legten Protokollerklärungen zu dem Beschluss vor.

Wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Donnerstag im Landtag in Hannover sagte, will das Land nun doch ein Beherbergungsverbot für Urlauber aus Corona-Risikogebieten einführen. Eine entsprechende Landesverordnung werde auf den Weg gebracht. Man habe sich darüber innerhalb der Landesregierung abgestimmt. 

Das Land Bremen, das selbst am Mittwoch die 50er-Marke überschritt, erklärte, ob man den Beschluss letztlich mittrage, werde erst im Senat beraten.

Thüringen wies darauf hin, „dass die Einschätzung der Gesundheitsbehörden der betroffenen Gebiete Grundlage und Maßstab für die Maßnahmen der Reisezielgebiete sein muss“. Das Gesundheitsministerium in Erfurt erläuterte, de facto gebe es keine Einreiseverbot. Ministerpräsident Bodo Ramelow sagte, für Infizierte oder Verdachtsfälle werde Quarantäne angeordnet. Sie dürften Regionen mit Infektions-Hotspots nicht verlassen. Warum jedoch alle Menschen aus einer solchen Region nicht beherbergt werden sollten, sei ihm unverständlich, sagte er.


Berlin will eine Stadt bleiben

Berlin forderte, bei der Bewertung des Infektionsgeschehens „als Gesamtstadt und Einheitsgemeinde“ behandelt zu werden. In Bayern sollen die Beherbergungsregeln allerdings auch für Bezirke innerhalb Berlins gelten, wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte. Dies soll auch dann gelten, wenn das Land Berlin insgesamt unter der kritischen 50-er Marke bleibt. Konkret müssen die Bezirke aber noch vom bayerischen Gesundheitsministerium benannt werden. Mecklenburg-Vorpommern machte deutlich, dass die genannten Maßnahmen als Mindestanforderungen angesehen würden und man an einer Quarantänepflicht für Besucher aus Risikogebieten festhalte.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erklärte, innerdeutsche Testpflichten und Beherbergungsverbote seien wenig sinnvoll. „Wir werden bald so viele betroffene Regionen haben dass die Regel kaum umsetzbar, geschweige denn kontrollierbar ist.“ Zudem müssten Angebote in Deutschland erhalten bleiben, gerade um zu verhindern, dass Deutsche in ausländische Hochrisikoregionen reisen.

Risiko Großstadt

Generell rücken Großstädte ins Visier für zusätzliche Maßnahmen, wie auch die Bundesregierung betonte. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher sagte im ZDF: „Die Pandemie wird in den Metropolen entschieden.“ Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) sagte im RBB: „Die Zeit der Geselligkeit ist vorbei. Die Lage in Berlin ist ernst.“ Ab diesem Samstag müssen Bars, Restaurants und die meisten Geschäfte in Berlin von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr schließen. Im Freien dürfen sich nachts nur noch fünf Personen oder Menschen aus zwei Haushalten treffen – drinnen bei privaten Feiern maximal zehn Leute.

Bundesweit hat die Zahl der Neuinfektionen wieder einen Höchstwert seit der zweiten Aprilhälfte erreicht. Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter 2828 neue Fälle, wie das Robert Koch-Institut (RKI) am Mittwochmorgen bekanntgab. Das sind über 150 mehr als am Freitagmorgen, als mit 2673 Neuinfektionen innerhalb eines Tages der damalige Höchstwert seit der zweiten Aprilhälfte gemeldet worden war.

Laut den Zahlen des Robert-Koch-Instituts haben mehrere Landkreise aktuell die kritische 50er-Neuinfektions-Marke gerissen. Demnach wären also Einwohner aus folgenden Orten von dem Hotel-Verbot betroffen:

  • Kreisfreie Stadt Hamm (NRW)
  • Remscheid (NRW)
  • Landkreis Vechta (Niedersachsen)
  • Esslingen (Baden-Württemberg)
  • Bremen
  • Außerdem Bewohner dieser Berliner Bezirke: Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Neukölln, Tempelhof-Schöneberg.

Berlin forderte, bei der Bewertung des Infektionsgeschehens „als Gesamtstadt und Einheitsgemeinde“ behandelt zu werden.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hält ein Beherbergungsverbot für Reisende aus Corona-Risikogebieten auch in der Hauptstadt für denkbar – doch nicht schon jetzt. „Es ist sehr schwer nachzuvollziehen und zu kontrollieren, das muss man auch sagen. Es gibt ja auch Menschen, die privat irgendwo unterkommen. Wie geht man mit der Situation um?, fragte Müller am Mittwoch in der RBB-Abendschau. „Insofern sagen wir, nachdem wir gerade gestern Abend neue Maßnahmen beschlossen haben für Berlin, die teilweise über Maßnahmen auf der Bundesebene hinausgehen, wir wollen das jetzt beobachten und dann gegebenenfalls darauf reagieren, auch mit so einem Beherbergungsverbot. Aber noch haben wir uns darauf nicht verständigt.“

Mecklenburg-Vorpommern behält seine Regeln für die Einreise von Touristen bei. Mit den am Mittwoch zwischen den Bundesländern vereinbarten Beherbergungsvorgaben für Urlauber aus inländischen Gebieten mit hohen Corona-Infektionszahlen seien die im Nordosten geltenden Bestimmungen im Prinzip bestätigt worden, sagte ein Sprecher der Regierung in Schwerin. 

Ein Streitpunkt war der Umgang mit Touristen aus Berlin, wo in einzelnen Stadtbezirken die kritische Schwelle von mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten wurde. Anders als Schleswig-Holstein, das Bewohnern dieser Stadtteile zunächst die Einreise verboten hatte, betrachtet Mecklenburg-Vorpommern Berlin bei der Risikobewertung als Ganzes.

Der Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Thüringen Dirk Ellinger sagte MDR aktuell, derzeit gebe es große Unsicherheiten bei Hotels und Reisenden. Es brauche klare Regeln von der Politik. Beherbergungsverbote seien keine Lösung; es gebe Hygienekonzepte, die umgesetzt würden.

Der Hauptgeschäftsführer des Dehoga Sachsen Axel Klein kritisierte eine mangelhafte Kommunikation. Touristen erhielten zum Beispiel keine Informationen, welche Postleitzahlen-Gebiete vom Verbot betroffen seien. Außerdem sei es am Wochenende fast unmöglich einen Schnelltest auf das Virus zu machen, so Klein gegenüber MDR aktuell.

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