Jens Mecklenburg

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Könige am Herd: selbstbewusste Küchenchefs

Von Pferdeköpfen & Manifesten
12. Oktober 2019

Die CHEF-SACHE Ende September in Düsseldorf war mal wieder eine große Show. Viele, die Rang und Namen haben, auch international, waren vor Ort. Man trifft sich, um Anregungen und Tipps für den eigenen Betrieb zu erhalten, Produkte zu vergleichen und ausprobieren, informiert sich über Trends und tauscht sich mit Kolleginnen und Kollegen aus. 3.000 Besucher aus der gehobenen Gastronomie, 50 Chefköche (zahlreiche mit Michelin-Stern/en ausgezeichnet) und 131 Aussteller aus aller Welt füllten die Veranstaltungshallen mit kulinarischem Leben.

©ChefSache

Innere Werte

Globale oder regionale Küche, avantgardistisch oder traditionell: Die aktuelle Küchenszene orientiert sich in alle Richtungen, am liebsten mit Zutaten aus der eigenen Region.

Einen frisch geschlachteten Pferdekopf hatte man in zehn Jahren des Koch-Festivals Chefsache noch nicht auf der Bühne gesehen. Es war Max Stiegl vom Gut Purbach im Burgenland, der den Pferdekopf beim elften Fachtreffen der internationalen Avantgarde-Kochkunst in Düsseldorf präsentierte, um seine Innereien-Küche vorzuführen.

Als „Meister der inneren Werte“ kocht der Österreicher Pferdehirn-Terrine, gewürzt mit geraspelten Kirschkernen und grünen Holunderbeeren. Nachhaltig, einfach, regional und traditionell sollen seine Gerichte sein. Möglichst alle Teile der Tiere werden verwertet. Aus dem Fleisch im ausgekochten Pferdekopf entsteht später eine Sülze. Zu Streifen vom rohen Pferdeherz legt Stiegl Scheibchen von vergorenen Enteneiern und Stücke von gebratenem Biberschwanz – im Burgenland dürfen die dort allzu zahlreichen Nagetiere getötet werden.

Max Stiegl. © ChafSache

Schweineschnauze als „Steckdosen“ auf der Karte

Der eine oder andere Sensible unter den mehreren Hundert Zuschauern fühlte sich sichtbar unwohl, als der Koch dann noch in Bier, Rotwein und Honig gedünstete Schweineschnauzen anrichtete. Mit den zwei Nasenlöchern stehen sie als „Steckdosen“ auf der Karte. Ganz ähnlich derb regional bereitet Max Stiegl Schweineschwänzerl in Biersauce zu. „Wer in mein Restaurant kommt, ist darauf vorbereitet“, scherzte er, „und wer nicht, der sagt dann, er sei Vegetarier.“

Zu den regionalen Lebensmitteln gehört für den Sternekoch Sascha Stemberg vom Haus Stemberg in Velbert im Bergischen Land auch das Fleisch von Wagyu-Rindern. Ein Tierarzt aus dem nahen Wülfrath züchtet die aus Japan stammenden Tiere. Stemberg reibt einige der reichlich mit Fett marmorierten Fleischstücke mit Salz ein und flämmt sie später mit dem Bunsenbrenner. Feine Scheiben werden in einem Sud serviert, der mit Shiitake-Pilzen, Soja und Räucheraal-Abschnitten gekocht wird.

Viele Spitzenrestaurants wollen heute ihren eigenen, unverwechselbaren Stil entwickeln. Schlagartig hat sich Norbert Niederkofler vom St. Hubertus aus dem Gadertal in Südtirol von fremden Zutaten wie Gänseleber und importiertem Fisch verabschiedet. Für sein Konzept „Cook the Mountain“ (Koch den Berg) verbannte er sogar Olivenöl und Zitrusfrüchte.

©ChefSache


Kein Abfall 

Er benutzt stattdessen Traubenkernöl und die Säure von Weinbeeren. Statt Ketchup gibt es fermentiertes Zwetschgenmus. „No Waste“, kein Abfall heißt das Motto des Kochs, der mit seinem Konzept das Weltniveau von drei Michelin-Sterne erreicht hat. Viele Zutaten muss er für die langen Wintermonate einmachen und auch tiefkühlen.

Tristan Brandt vom Opus V aus Mannheim ist weniger regional orientiert. Er hat zwei Michelin-Sterne und überrascht seine Gäste, indem er vertraute Zutaten mit asiatischen Gewürzen verfremdet: Ein Burger mit gegrilltem Aal wird mit Wasabi gewürzt, eine in Kohlenstoff vereiste Kokos-Kugel umschließt vietnamesische Tom Ka Gai-Suppe. Zu kleinen Tintenfischköpfen gibt es Kaviar, Tapioka-Risotto, Kartoffeltaler und Sepiafond. Statt Wein wird dazu ein passender Cocktail aus Kartoffelwodka, Wermut und Gingerbier mit Thymian, Zitrone und einer gebrannten Kartoffelscheibe gereicht.

Danach folgt ein warmer Käsegang: Mimolettecreme im mexikanischen Taco mit Chilipaste, Koriandercreme, gepufftem Chinoa und Amaranth und einer scharfen Jalapeno-Sauce. Das Getränk dazu ist aus süß extrahiertem Paprikasaft, Meszcal und Tequila mit Limette. Am Tisch wird auf dem Glas dann noch ein aromatischer Lavendelzweig abgebrannt.


Steife Atmosphäre ist out

Ebenso stark wie auf aromatische und dekorativ arrangierte Gerichte setzen die Köche heute auf freundlichen und lockeren Umgang mit den Gästen. Fine-Dining, das Essen in förmlicher Atmosphäre, ist out. Auch bei der Kreation neuer Gerichte und bei der Arbeit am Herd wandelt sich der Ton: weniger autoritäre Chefs, mehr wertschätzende Teamarbeit. Auffällig, wie hochdekorierte Sterneköche wie Jonnie und Thérèse Boer aus Zwolle in Holland MitarbeiterInnen vom Koch bis zum Weinkellner lobend herausstellen.

Geradezu liebevoll feiert auch Tanja Grandits vom Stucki in Basel die Verdienste ihres Teams. Das von einem Mitarbeiter kreierte Kalbstartar wird mit Meerettichmolke, Kräutertempura und frittierten Brennesselsamen angerichtet. Grandits trägt die mit Blumen und Gräsern dekorierten Appetithappen am Anfang des Essens selbst auf, um die Gäste kennenzulernen. Und damit es sofort gut riecht, reibt sie sich die Hände zuweilen mit Orangenöl ein.

Marco Müller vom Zwei-Sterne-Restaurant Rutz in Berlin arbeitet wie andere Spitzen-Köche eng mit kleinen Produzenten aus dem Umland zusammen und will seine ganz eigene kulinarische Welt entwickeln. So bekommt er frische Forellen, die mit selbst gemachtem Lardo-Speck belegt und mit eingelegten Kiefernnadeln gespickt werden. Tauben packt Müller in Kiefernholz und hängt sie zum Garen über einem Grill auf. In die Sauce kommt Misopaste, dazu Kleckse einer Creme aus frischem Schweineblut.

Der Koch will den Produkten immer neue Aromen entlocken. Beim Dessert aus Waldkräutern und Sakeeis wird Buchweizen und „Birkentee“ benutzt, das im Frühjahr abgezapfte Wasser aus Birkenstämmen. Müller mag sich nicht dem Publikumsgeschmack anpassen. Nur sein eigener Geschmack sei ausschlaggebend. Man könne sich ja vorher informieren, ob einem das Küchenkonzept zusage, sagt er selbstbewusst.  

©ChefSache


Das gastronomische Manifest

Die Jeunes Restaurateurs (JRE) nutzten die CHEF-SACHE in Düsseldorf um die Gründung ihrer „Chefsinitiative für die Zukunft der Gastronomie“ vorzustellen. 

Das Manifest hatten sie auf einem Workshop mit Experten und Branchenkennern Mitte September in Berlin diskutiert und ausformuliert.

Als zentrale Forderungen werden darin eine bessere staatliche Unterstützung für die Gastronomie, beispielsweise durch die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent, sowie der Abbau von bürokratischen Hürden gefordert. Außerdem sprechen sich die Unterzeichner für eine strengere Verpflichtung von Erzeugern und Lebensmittelproduzenten zu umweltverträglicher Produktion, eine bundesweite konzertierte Aktion für gesunde Ernährung an Kitas und Schulen sowie eine gemeinsame Kampagne für die Esskultur in Deutschland aus. 

JRE Vize-Präsident Alexander Dressel bringt die Forderungen auf den Punkt: „Wir als Gastronomen haben die Schnauze voll von schlechtem Essen, minderwertigen Produkten und dem ewigen Gejammer über zu hohe Preise. Deshalb kämpfen wir für eine neue Esskultur in Deutschland, für Qualität, Nachhaltigkeit, Regionalität und Vielfalt. Und ganz besonders im Fokus steht das Engagement für eine bessere Wertschätzung der deutschen Gastronomie.“ Die von den Jeunes Restaurateurs ins Leben gerufene Chefsinitiative solle ein Angebot für alle Köche und Gastronomen in Deutschland sein, sich gemeinsam für diese Ziele einzusetzen. JRE Präsident Alexander Huber sieht gerade darin eine große Herausforderung: „Alle reden immer nur davon, das mal etwas geschehen muss. Mit unserem Manifest haben wir die Basis für ein breites Bündnis geschaffen. Wir laden alle Verfechter der guten Gastronomie in Deutschland ein, sich uns anzuschließen“.

Aus der Initiative solle in Zukunft eine wirkungsmächtige Lobby für die Gastronomie in Deutschland entstehen. Das Manifest findet sich auf www.chefsinitiative.de. Dort besteht auch die Möglichkeit, die Forderungen mit zu unterzeichnen.

 

Über JRE

Die Jeunes Restaurateurs (JRE) sind eine Vereinigung junger Spitzenköche, die sich mit Talent und Passion der innovativen deutschen Küche verpflichtet haben. Von Sylt bis Oberstdorf, von Dresden bis Köln kombinieren die JRE hochwertiges kulinarisches Können mit der Leidenschaft europäischer Kochkunst und dem Respekt vor lokalen Traditionen und Produkten. Derzeit gehören dem Verband 79 Mitglieder an.