Johanna Rädecke

Redakteurin

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Die letzten ihrer Art

Lebensmittelhandwerk und Wirtshäuser sterben aus
24. September 2019

Der Bundesverband der Regionalbewegung e.V. (BRB) machte vor einigen Tagen auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor in Berlin mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion auf den dramatischen Rückgang der Lebensmittelhandwerksbetriebe aufmerksam. „Fleischer, Bäcker, Gastwirte und Landwirte, die handwerklich im regionalen Wirtschaftskreislauf arbeiten, sind die Gestalter und Garanten unserer kulinarischen Vielfalt und akut vom Aussterben bedroht“, warnte Heiner Sindel, 1. Vorsitzender des BRB. Angelehnt an die Rote Liste der Artenvielfalt, weist die Regionalbewegung auf das Sterben der Nahversorgerstrukturen hin.

Die letzten ihrer Art: (vlnr) Enno Appelhagen (Fleischermeister) Eberhard Prunzel-Ulrich (Landwirt), Christa Lutum (Bäckerobermeisterin), Wolfgang Heinzel (Gastwirt), © Simon Malik/Bundesverband der Regionalbewegung e.V.


Handwerker ins Wachsfigurenkabinett 

Medienwirksam wurde der Einzug der letzten Exemplare ihrer Art, des handwerklichen Fleischers, des handwerklichen Bäckers, des Gastwirts im ländlichen Raum sowie des kleinen Landwirts in das Wachsfigurenkabinett inszeniert – um zumindest der Nachwelt erhalten zu bleiben. 

Basierend auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes ergibt sich für vier ausgewählte Bereiche der Nahversorgung eine alarmierende Realität. Die Anzahl der Bäckerhandwerksbetriebe hat sich von 1998 bis 2018 um 49 % drastisch reduziert. Im Fleischerhandwerk sind im gleichen Zeitraum ebenfalls 49 % der Betriebe geschlossen worden. Die Anzahl von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben (bis 50 ha Fläche) ist seit Mitte der 1990er Jahre um 48 % zurückgegangen. Für Wirtshäuser (insbesondere Schankwirtschaften) ist der Rückgang mit 59 % seit 1994 am dramatischsten.

Geht die Entwicklung so weiter, setzt kein Umdenken und entsprechendes Handeln ein, dann sind diese vier Repräsentanten der Nahversorger in 15-20 Jahren ausgestorben. 

Auf der Grundlage der erhobenen Zahlen lassen sich folgende Szenarien ableiten: Bäckerhandwerksbetriebe sterben bis 2039 aus, Fleischerhandwerksbetriebe wird es 2037 nicht mehr geben, im Jahr 2036 trifft es die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe, und schon 2034 schließt die letzte Schankwirtschaft ihrer Art. 

„Kleine Lebensmittelhandwerker sind ein unerlässliches Element im regionalen Wirtschaftskreislauf“, betont Heiner Sindel. „Ohne ihre Arbeit gibt es keine glaubwürdig regionalen Produkte, keine regionalen Verkaufsstellen, keine regionalen Einkehrmöglichkeiten“, so Sindel weiter. Trotz ihrer Relevanz im Alltag von jedem Einzelnen sind die Gründe des Verschwindens allseits bekannt: fehlende Fachkräfte, fehlende Nachfolge, zeitfressende Bürokratie, steigende Preise für Pacht und Kauf von landwirtschaftlichen Flächen, fehlende Wertschätzung von Handwerksberufen, Veränderungen in der Sozialstruktur – diese „Todesursachen“ sind jedoch auch politisch bedingt und müssen aus Sicht der Regionalbewegung dringend korrigiert werden. 


Klimaschutz durch kurze Wege 

„Wenn wir uns ernsthaft diesem Strukturbruch und dem Klimawandel entgegenstellen wollen, müssen regionale Wirtschaftskreisläufe mit dezentralen Strukturen sowohl Teil einer zukünftigen Klima- als auch Lebensmittelpolitik sein“, fordert die Regionalbewegung. Kurze Wege vom Erzeuger zum Verbraucher sorgen für weniger Verkehrsströme und sparen Energie. Es muss ein rigoroses Umdenken in der Förderpolitik erfolgen, von der bisher wenige Alphatiere der Lebensmittelindustrie auf Kosten des Handwerks und der bäuerlichen Landwirtschaft profitieren, damit sich Kleinst- und kleine Betriebe in diesem Haifischbecken behaupten können und fairen Rahmenbedingungen ausgesetzt sind. Überbordende bürokratische Auflagen müssen auf ein notwendigstes Maß zurückgefahren werden. Politisch unterstützte Konzentrationsprozesse in der Wirtschaft lassen die Kleineren durchs Raster fallen. „Es gibt keine gerechte Globalisierung ohne starke Verwurzelung in den Regionen, in denen Kleinst-, kleine und mittlere Betriebe dominieren. Für die gesellschaftliche Breite und ein gutes Gefühl des „Nicht-Abgehängt-Seins“, vor allem in den ländlichen Räumen der Republik, ist eine Regionalisierung der Ernährungswirtschaft unerlässlich“, betont der Vorsitzende der Regional-bewegung. Dem Klimakabinett der Bundesregierung bietet die Regionalbewegung die aktive Mitarbeit und Beratung zur Sicherung und dem innovativen Ausbau der Nahversorgerstrukturen auf kurzen Wegen an. Gleichzeitig empfiehlt sie ein „Bundesprogramm Regionale Wertschöpfung“ aufzulegen, das nicht nur Lippenbekenntnis für die kleinen Handwerksbetriebe ist, sondern adäquat mit Finanzmitteln in Milliardenhöhe ausgestattet ist, um über eine Gießkannenförderung hinaus tatsächlich Teil zukünftiger Klimaschutzmaßnahmen zu werden.