Johanna Rädecke

Redakteurin

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Kieler Spitzenkoch mit Labskausambitionen

Labskaus vom Galloway mit Wachtelei, Matjes und Portulak
15. Oktober 2021

Der kulinarische Lebenslauf von Jochen Strehler ist geprägt durch seine Lehrmeister, den bekannten Sterneköchen Fritz Schilling, Lothar Eiermann und Dieter L. Kaufmann. Er war einer der ersten Spitzenköche im Norden, der die damalig französisch geprägte »Luxusküche« mit regionaler »Heimatküche« versöhnte. So fand er seine Leidenschaft für Labskaus und überzeugt selbst Skeptiker vom großartigen kulinarischen Potenzial der alten Seefahrerspeise. 

Gemeinsam mit seiner Frau Anna Anja Strehler betreibt er den Kieler Gildepark. 

Jochen und Anja Strehler © Strehlers Gildepark

Jochen Strehler über Labskaus

Lassen wir Jochen Strehler über seine persönliche Labskausgeschichte selbst zu Wort kommen: 

Es fing in meiner Jugend ganz schrecklich mit Labskaus an. Mein erstes Labskaus bekam ich in einer Bremer Hafenspelunke während eines Familienurlaubs mit acht Jahren serviert. Die merkwürdig »dreckig« hellbraun-rote Farbe gefiel mir nicht, das Spiegelei war mit brauner Kruste, der Hering wirkte auf mich auch eklig. Dazu roch der Brei doof und schmeckte stumpf. Ich konnte es nicht aufessen, was bei mir selten vorkam. Aber meine Eltern und ein Onkel meinten, das gehöre so, und ich wäre wohl noch zu jung für Labskaus. Der zweite Versuch einige Jahre später ging auch schief und konnte mich ebenfalls nicht überzeugen. Es war eine Dosenversion eines bekannten Delikatessenhändlers aus Bremen. Ich meinte zu erkennen, wo der Wirt der Hafenspelunke von damals seine Pampe herhatte.

Viele Jahrzehnte vergingen, in unserem eigenen Restaurant »Lüneburg Haus« in der Kieler Altstadt wollte mich mein neuer Mittagskoch davon überzeugen, es doch mal beim Mittagstisch damit zu probieren. Er konnte mich mit viel Mühe zu einem Versuch überreden, und ab da war ich Fan dieses Gerichts. Der junge Mann hatte unter anderem im »Fischereihafen Restaurant« in Hamburg gelernt und von dort auch das Rezept mitgebracht. Seitdem koche ich Labskaus im Grundsatz immer noch so, und ich liebe es bis heute. Man könnte von einer späten Liebe sprechen. Ich persönlich liebe die klassische Hamburger Version, in der die Hauptzutaten zusammen, allerdings ohne jeglichen Fisch, durch den Fleischwolf gedreht werden. Die Bremer würfeln wohl lieber alle gegarten Zutaten und kochen das Ganze dann zusammen auf. Ich zumindest habe noch keine überzeugende Ausführung dieser Version genießen dürfen. Ich mag Labskaus am liebsten mit einem Rollmops oder Bismarckhering, die Säure tut dem Gericht sehr gut. Zwei Spiegeleier, sanft gegart obenauf, runden das Gericht wunderbar ab, wenn das flüssige Eigelb zum rosa Brei gelangt. Die Zutaten sollten vor dem Wolfen gut abgekühlt sein, sonst entsteht eine merkwürdige Textur. Den Hering lasse ich niemals in den Wolf und nicht in das Labskaus an sich. Dann kann auch ein Fischverächter mitessen, und geschmacklich ist es meiner Meinung nach besser so. Am Ende des Erhitzens, kurz vor dem Servieren, sollte unbedingt noch etwas Rote-Bete-Saft in den »Brei« gegeben werden, um eine appetitliche Farbe zu bekommen. Und der oft geschriebene »Geheimtipp«, man könne doch ebenso Corned Beef aus der Dose statt frisch gekochter, gepökelter Rinderbrust nehmen, sollte unbeachtet bleiben, das Ergebnis ist nicht annähernd vergleichbar. Labskaus hat in jedem Fall das Potenzial, zu überleben und auch folgende Generationen anzusprechen. Aber vielleicht wird man die jungen Leute wie schon immer etwas »überreden« müssen, die Hemmschwelle einreißen. Dann aber kann es gelingen, dieses Gericht zu erhalten. Die Gesellschaft wandelt sich, die Kultur, die Esskultur. So sollte man es mit Labskaus auch halten – vorsichtig modernisieren.


Labskaus modern 

Vom Galloway-Weideochsen & Wachtel mit Glückstädter Matjes & Portulak 

Man nehme (für 4 Personen als Hauptgang mit Hühnereiern oder für 8 Personen als Vorspeise mit Wachteleiern) :

© Strehlers Gildepark


1 kg gepökelte Rinderbrust (bevorzugt vom Robust-Rind wie Galloway) 


500 g mehlig kochende Kartoffeln 500 g frische große Rote Bete 


2 große Zwiebeln, 2 Karotten, ¼ Sellerie 


jeweils 2 EL: Kapern, scharfer Senf, gutes Ketchup, geriebener Meerrettich Gewürze: Salz, Pfeffer, Zucker, Cayenne, Curry, Lorbeer, Wacholderbeeren, Piment, Nelken milder Essig, gutes kalt gepresstes Rapsöl 


8 frische (Wachtel)-Eier 


500 g frischer Portulaksalat, 1 kleine rote Zwiebel gebraucht wird ein Fleischwolf


Zubereitung 

• Die Rinderbrust in leicht gesalzenem Wasser ca. 1 Stunde leicht kochen, dabei stetig den Schaum abschöpfen. 

• Dann eine der Zwiebeln, Karotten und Sellerie ungeschnitten hinzugeben, außerdem 3 Lorbeerblätter, einige Wacholderbeeren und Pimentkörner, 2 Nelken. 

• Nach ca. 2 Stunden ist die Brust weich. Diese herausnehmen und mit einem feuchten Tuch abgedeckt abkühlen lassen. Die Brühe durch ein feines Sieb geben, nach kleiner Ruhepause das abgesetzte Fett abschöpfen und aufbewahren. 

• Kartoffeln und Rote Bete ungeschält in getrennten Töpfen in mit Salz und Kümmel gewürztem Wasser weich kochen und danach pellen. 

• Das Rote-Bete-Wasser absieben und aufheben, mit einem Spritzer Essig leicht säuern. 

• Hierhinein die gepellte Rote Bete geben. Das ergibt einen schönen roten Sud, den wir später noch brauchen werden. 

• Die Schritte bis hier hin sollten einige Stunden oder auch am Tag vor dem Essen durchgeführt werden. Die Zutaten sollten vor dem Weiterverarbeiten kalt sein. 

• Von der erkalteten Rinderbrust mit der Aufschnittmaschine oder mit einem dünnen großen Messer einige hauchdünne Scheiben abschneiden. Diese in Pfeffer, Salz, etwas Essig und Öl marinieren. 

Besonders unter den Seefahrern genoss Labskaus hohes Ansehen ©Ingo Wandmacher

• Zum späteren Anrichten etwas Rote Bete beiseitestellen.

• Den Rest der Brust (das anhaftende Fett bitte auch!) zusammen mit der Roten Bete, den Kartoffeln, den Kapern und der zweiten Zwiebel durch die mittlere Scheibe des Fleischwolfs drehen. 

• Dieses Mus nun in einem ausreichend großen Topf unter ständigem Rühren zum Kochen bringen. Dabei in gleichen Teilen nur so viel Rote-Bete-Sud und Rinderbrühe zugeben, dass die Konsistenz so locker wie möglich wird, ohne dabei zu zerfließen. 

• Mit Salz, Pfeffer, wenig gemahlenem Kümmel, Cayenne, Curry,

Ketchup und dem Meerrettich abschmecken. Auch kann das Kapernwasser hier zum Abschmecken genutzt werden. 

• Etwa eine Tasse der Rinderbrühe in einem kleinen Topf auf wenige Esslöffel reduzieren lassen, dann mit etwas Rapsöl zu einer zarten Emulsion aufschlagen. • Die rote Zwiebel sehr fein würfeln. 

• Die (Wachtel-)Eier bei zarter Hitze in etwas Öl zu Spiegeleiern braten, mit einem passenden Ring ausstechen. 

• Den Portulak von Wurzel und zu viel Stielanteil schneiden, waschen und sorgfältig abtropfen. 

• Matjesfilets in Rauten schneiden. 

• Den Portulak auf den Tellern zu einem kleinen Kranz legen. 

• Labskaus in der Mitte rund anrichten, Spiegelei obenauf legen, die marinierten Brustscheiben, Matjesrauten und Rote Bete anlegen. 

• Mit der hellen Sauce umgießen. Rote-Zwiebel-Würfel auf den Portulak streuen und fertig.


www.gildepark.de

 

Jens Mecklenburg & Gabriele Haefs

Mit Illustrationen von Till Lenecke

Mythos Labskaus. Eine kulinarische Kulturgeschichte

Band 1 der „Edition Nordische Esskultur“

KJM Verlag, 140 Seiten, Softcover, 20 Euro

 

Hier bekommt man das Buch.

Zur Buchvorstellung

 

Mythos Labskaus auf NDR Nordtour & einem Podcast:

Spurensuche Labskaus

 

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