60 Kilo Fleisch isst jede*r Deutsche im Jahr, 960 000 Tonnen Fertiggerichte werden verzehrt, 11 Millionen Tonnen Lebensmittel werden jährlich weggeschmissen: 137 Kilo pro Kopf, etwa 350 Gramm am Tag. Kritik und Fragen werden laut: Wann hören wir endlich auf, Tiere wie Maschinen zu betrachten? Wann ist Fleisch eigentlich „gutes“ Fleisch und was muss passieren, um den Menschen gutes Essen näher zu bringen?
Diese Frage stellte sich Thomas Imbusch, Inhaber des Sternerestaurants 100/200 Kitchen und Gastgeber der flexitarischen Konferenz am 22. August 2019.
Verantwortungsvoller Konsum und Regionalität haben längst die Sterneküche erreicht: Es muss nicht die französische Barbarie-Ente oder das argentinische Rind auf dem Teller landen. Thomas Imbusch ging in diesem Sommer noch einen Schritt weiter und bewies, dass auch ein rein vegetarisches Menü eines Sterns würdig ist. Ein wenig Mut gehört dazu, doch das Experiment sei geglückt: „Unser vegetarisches Menü kommt sehr gut an, wir bekommen durch und durch begeisterte Resonanz.“
Imbusch und sein Team gehen bei dieser Entscheidung mit dem Trend: Der Flexitarismus lässt, im Gegensatz zum Vegetarismus oder Veganismus, Fleischkonsum zu. Die Devise: Selten, aber bewusst. Immer mehr Menschen verzichten auf ihr morgendliches Wurstbrot und abgepackte Schwein vom Discounter und essen stattdessen regionale, hochpreisigere Produkte aus transparenter und guter Tierhaltung.
Über diesen Trend sprach Thomas Imbusch mit Zahnarzt und Gourmet Dr. Harold Eimer, Trendexpertin Antje Schünemann und Hinrich Carstensen von der Initiative „Ein Stück Land“ bei der von ihm initiierten flexitarischen Konferenz.
„Wir haben uns sehr intensiv mit dem Thema Lebensmittelqualität beschäftigt“, eröffnete Imbusch, „und dabei wurde mir schnell klar, dass ich in der Region bleiben muss, um die Qualität zu garantieren.“ Jetzt sei die Chance, etwas anders zu machen und mit dem eigenen Restaurant auch etwas zu bewirken. Anstoß für das vegetarische Menü gab übrigens Imbuschs Lebensgefährtin: „Hört jetzt auf zu schnacken und macht es einfach!“
Qualität und Trend
„Ich möchte wissen, wo das Tier gelebt hat und wer es geschlachtet hat, da sieht man die Qualität sehr schnell“, so Thomas Imbusch. „Um Qualität zu erkennen, muss man nur alle seine Sinne benutzen.
„Fleisch gehört zu unserem Leben“, so Dr. Eimer, „aber nicht in der Masse und schon gar nicht täglich, wie es heute der Fall ist.“
„Hochwertiges Fleisch liegt absolut im Trend“, ergänzt Antje Schünemann. Das Interesse und auch die Bereitschaft, sich intensiver mit Konsum, Herkunft und Herstellung zu beschäftigen, wachse enorm.
Eine Möglichkeit, sich als Verbraucher für bewussten, regionalen und transparenten Konsum zu entscheiden, bietet Hinrich Carstensen: „Auch wir wollten, wie Thomas, etwas tun und Veränderung schaffen. Wir haben uns auf die Suche nach Landwirten gemacht, die unseren Qualitätsansprüchen gerecht werden und helfen diesen Produzenten bei der Vermarktung. Wir schlachten bei einem Dorfschlachter – und zwar erst, wenn das ganze Tier verkauft ist.“
Desinformation und Sehnsüchte
„Es ist super schwer, sich als Verbraucher die richtigen Informationen zu beschaffen“, sagt Carstensen. Ein Vielzahl an Siegeln bringe eher Verwirrung als Klarheit. Regionalität und Saisonalität sei hingegen etwas, worauf jeder Verbraucher achten könne.
„Das grundsätzliche Problem ist die Trägheit“, sagt Imbusch. „Gemeinsames Kochen und Beisammensitzen ist heute nicht mehr an der Tagesordnung, in Zeiten von Individualisierung und Lieferdiensten.“ Doch der Trägheit allein sei dies nicht geschuldet, so Anja Schünemann.
„Die urbane Leistungsgesellschaft und der Zeitfaktor machen Lieferdienste und Fertigprodukte überhaupt erst notwendig“, so die Trendexpertin. „Nichtsdestotrotz gibt es eine große Sehnsucht des Kochens, doch der Alltag lässt es nicht zu.“
Entscheidung und Aktionismus
„Der Kassenzettel ist unser Stimmzettel“, so Hinrich Carstensen. Der Konsument habe die Macht, sich für einen besseren Umgang mit Fleisch einzusetzen, da jeder Kauf auch eine politische Entscheidung sei. „Damit bringt man die Industrie in den Zugzwang, etwas zu verändern“, stimmt Schünemann zu. Man müsse nicht auf Fleisch verzichten, sondern sich einfach wieder ins Bewusstsein rufen, dass es etwas Besonderes sei und nicht zum täglichen Essen dazugehören muss.
„Für mich hat das alles was mit dem Thema Wertschätzung zutun: Man mussen den Wert des Essens schätzen, sich auf seine Sinne berufen und auf seinen Körper hören: Was brauche ich eigentlich, um gesund zu leben?“