Gabriele Haefs

Autorin

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Ein Fass für Thor

Norwegen kulinarisch: Kein Lutefisk ohne Bier & Aquavit
4. Mai 2021

Norwegen ist ein Bierland, das leuchtet ja ein, das Klima ist für den Weinanbau eben nicht geschaffen. Schon in Berichten aus dem Mittelalter lesen wir erstaunt, welche Unmengen Bier getrunken wurden, und auch Kinder wurden mit Bier abgefüllt. Alte Namen für Feste enden auch meistens auf –bier, was andernorts der Leichenschmaus war, war dort das Begräbnisbier, und natürlich wurden Verlobungen beim Verspruchssbier besiegelt.

© Helena Lopes/ Unsplash

Thor bekommt ein Fass

Norwegen ist reich an Felsschluchten und Talmulden, die der Gott Thor mit seinem Hammer geschlagen hat, das behaupten jedenfalls zahllose Sagen. Die Geschichte ist immer die gleiche: Auf einem Hof wird Hochzeit gefeiert, und dazu wird natürlich Bier getrunken. Dann kommt Thor, will mitfeiern und dem jungen Paar seinen göttlichen Segen erteilen. Der Bräutigam, beglückt über diesen hohen Besuch, eilt herbei, um dem Gast einen Becher Bier zu überreichen. Und das ist ein arger Fauxpas! Selbst der größte Becher ist zu klein für den göttlichen Durst, und in seiner Wut haut Thor mit seinem Hammer den Hof zu Klump und so entstehen die Schluchten. Merke: Wenn Thor zu Gast kommt, muss man ihm das ganze Fass Bier in die Hände drücken.

Bekannt und unbedingt sehenswert ist eine Geröllhalde am Ufer des Sees Totakvatnet in Vinje im westlichen Telemark. Wenn man sich mit dem Boot nähert, sieht es aus wie eine Sammlung von Häusern, es gibt sogar einen Glockenturm, woran wir sehen, dass es ein wohlhabender Hof gewesen sein muss. Der Sage nach schaute Thor auch hier bei einer Hochzeit vorbei und bekam einen besonders schäbigen kleinen Becher. Worauf er den Hof samt der danebenliegenden Kirche mit gezielten Hammerschlägen in Stein verwandelte (das hat er offenbar nur dort getan, meistens begnügte er sich damit, alles in Scherben zu hauen). Interessant ist an dieser Sage auch, dass Thor noch umging, als die Gegend schon zum Christentum bekehrt war. Vielleicht machte ihn ja der Anblick der Kirche besonders sauer! Der größte Felsbrocken trägt noch heute den Namen Kyrkjestein (Kirchenstein)

© Ingo Wandmacher

Seit Urzeiten wird Bier gebraut

In Norwegen wird also seit Urzeiten Bier gebraut. Dass „bayer“ im Norwegischen aber ein Synonym für ein helles, pilsenerähnliches Bier ist, zeigt, dass brautechnische Expertise aus dem Süden durchaus willkommen war. Allerdings – norwegische Bierfans finden deutsches und bayrisches Bier meistens eher schal. In Norwegen wird nicht in aller Ruhe gezapft, das Bierglas wird auf einen Rutsch gefüllt, es entwickelt sich kein Schaum, dafür ist das Bier quirliger, prickelt mehr. In Norwegen gab es, wie anderswo auch, viele lokale Biersorten, wie anderswo auch wurden die von großen Gesellschaften aufgekauft und die Bierlandschaft verarmte.

Das ging so bis zum Jahr 2003. Damals wurde die 1855 gegründete Tou-Brauerei in Stavanger stillgelegt, die Belegschaft wurde entlassen, die Produktion nach Oslo verlagert. Im traditionsbewussten Stavanger kam das überhaupt nicht gut an, es bildete sich eine Initiative, um Stavangers Brauerei in Stavanger zu behalten. Alle in Stavanger (samt den Gästen, nur ist mein Exemplar inzwischen so verwaschen, dass man den Aufdruck nicht mehr lesen kann) trugen T-Shirt mit dieser Forderung. Was natürlich nichts half, und deswegen wurde eine neue Brauerei aufgemacht: Lervig Aktiebryggeri, die 2005 ihrer Lokale aus Lervig in den Stadtteil Hillevåg verlagert hat.

Das bescheidene Ziel dieser Brauerei: Das beste Bier der Welt zu entwickeln, und neben den üblichen Sorten bringen sie wirklich immer neue auf den Markt. Im Sommer 2016 weist die offizielle Liste der norwegischen Brauereien vierundneunzig Namen auf, darunter sind große Unternehmen wie das bekannte und marktbeherrschende Ringnes, aber auch ganz kleine wie Steinkjer Mikrobryggeri in Steinkjer. Mikrobryggeri ist die Bezeichnung für eine Brauerei, die zu einem Lokal gehört, das Bier wird nur im Lokal ausgeschenkt – aber meistens kann man, wenn das Bier also besonders gut schmeckt, im Lokal einige Flaschen kaufen und zu Hause weitergenießen.

© Josh Duncan/ Unsplash

Zum Bier gehört Aquavit

Zum Bier beim Lutefisk gehört Aquavit, und eigentlich muss ich hier gleich passen. Es geht nämlich, sich dem Aquavitzwang zu entziehen, eine kleine Allergie wirkt Wunder, vor allem, wenn sie sich in pelzigem Ausschlag und Atemnot niederschlägt. Und das ist gut so, denn ohne Aquavit und folglich nüchtern lässt es sich besser beobachten. Es gibt bei allen Gelagen, zu denen fette Kost samt Aquavit serviert werden, irgendwelche Scherzkekse, die es wahnsinnig komisch finden, heimlich die Gläser der Gäste aufzufüllen und sich köstlich zu amüsieren. Es ist bestimmt ein Zufall, aber nach meiner Beobachtung sind es immer alte Herren, die sich diesen Spaß machen.

Die Gäste sitzen also ins Gespräch vertieft und versuchen zugleich, die Gräten aus dem Fisch zu stochern. Hinter ihnen schleicht sich der tückische Greis an und schenkt nach, wenn der Gast also nicht hinschaut. Der Gast glaubt, weil das Glas ja voll ist und er das Manöver nicht gesehen hat, noch kaum etwas getrunken zu haben, trinkt einen Schluck, und wenn sich das oft genug wiederholt hat, kippt er vom Stuhl. Der tückische Greis lacht sich ins Fäustchen. Böse Zungen behaupten, manche machten sich für jede Schnapsleiche eine Kerbe in den Krückstock, aber das ist zweifellos üble Nachrede, und nein, ich glaub es nicht. Oder jedenfalls nur ein bisschen.

Als Gewährsfrau für Aquavit scheide ich also aus, aber dass Linie Aquavit (norwegisch Akevitt) in aller Welt sozusagen als der norwegische Aquavit bekannt ist, weiß sogar ich. Seit 1807 gibt es diese Marke, die Gründerin war eine Trondheimer Unternehmerin namens Catharina Lysholm. Auf einen Schiff, das sie nach Batavia schickte (heute Djakarta) befanden sich aus einige Fässer mit Trondheimer Aquavit, die aus Versehen nicht ausgeladen, sondern wieder zurück nach Trondheim geschifft wurden. Und offenbar viel besser schmeckten, weil die lange Lagerzeit und das Rollen der Wellen zu einem Reifeprozess geführt hatten. Spötter meinen allerdings, die Tatsache, dass ganze Schiffsmannschaften fässerweise Aquavit um die halbe Welt transportieren und wieder mit nach Hause bringen, ohne sie auszutrinken, sei der beste Beweis dafür, dass es sich eigentlich um miesen Fusel handele.

Egal wie – das von Catharina Lysholm begründete Unternehmen wurde von ihrem Neffen Jørgen weitergeführt, die Firma existiert noch heute, ist allerdings kein kleiner Familienbetrieb mehr. Eine schöne Anekdote verdanken wir dem norwegischen Nationaldichter Bjørnstjerne Bjørnson, der nicht gerade wegen seiner Bescheidenheit bekannt war. Er war also irgendwo per Schiff auf Reisen und fand, vom Kapitän nicht mit dem ihm gebührenden Respekt behandelt zu werden. Und sprach: „Wissen Sie nicht, wer ich bin? Ich bin der berühmteste Norweger überhaupt!“ Worauf der Kapitän erwiderte: „Ach, das wusste ich doch nicht. Ich bitte um Vergebung, Herr Lysholm!“

Norwegische Aquavitexperten schwören übrigens darauf, dass der ebenfalls bei Lysholm hergestellte Løitens Aquavit, der nicht über den Äquator geschickt wird, von allen Sorten der edelste und wohlschmeckendste sei. Løiten ist die alte Schreibweise für den Ort Løten im Bezirk Hedmark (wo auch am eifrigsten schwarzgebrannt wird) – und die Løiten-Brennerei dort kann besichtigt werden. Kostproben der Produkte werden auch gereicht!

Zur Buchvorstellung:  Das schönste Land der Welt. 111 Gründe Norwegen zu lieben.