Regine Marxen

Journalistin & Bierexpertin

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Die Bierreporterin: Holt das Bier auf die Speisekarte

Weniger Trauben, mehr Hopfen als Essbegleiter
27. Mai 2022

Ich sitze in einem Restaurant in Hamburg Ottensen. Gehobenes Mittelfeld, weiße Tischdecke, um mich herum entspannter Industrial Design-Schick. Zwei Menükarten liegen vor mir. Eine Speisekarte, eine Weinkarte. Ich seufze. 

So oder so ähnlich erlebe ich es oft. Das Bier schafft es sehr wohl in die Karte; es ist hinten bei den Getränken aufgelistet. Ein Pils, ein Weizen, manchmal ein Helles, dazu eine alkoholfreie Alternative. Mit Glück sogar regional produziert, dennoch: Die Auswahl bleibt überschaubar. Blicke ich zum Wein – ich könnte weinen. Wenn dem vergorenen Traubensaft nicht gleich eine ganze Karte gewidmet wird, so füllt er doch meist mindestens eine Seite im Menü. Was für eine Auswahl, ich bin neidisch. Wäre ich doch Weintrinkerin geworden. Aber nein, mein Herz gehört dem Bier. Aus gutem Grund: Mit den über 2.000 Aromen, die im Bier stecken können, ist es weitaus vielfältiger aufgestellt als Wein. Das wiederum heißt: Bier kann ein toller Spielgefährte sein für eigentlich jede Speise dieser Welt. Steile These? Hier kommen einige Beispiele:

Scharfe Speisen mögen bittere Biere

Zu Fisch oder Risotto passt die Berliner Weisse, funktioniert auch als Aperitif, weil sie mit ihrer feinen Säure die Geschmacksknospen so schön frei prickelt. Pikant-bittere Salate? Versuchen Sie mal ein schönes Pils, ist der Salat eher fruchtig, greifen sie zum hopfengestopften Pils. Die arbeiten gerne mal mit Citrus-Aromen. Scharfe asiatische Speisen mögen bittere Biere: Ein IPA, im stärksten Falle ein charaktervolles West Coast IPA; das sorgt für Ausgleich am Gaumen. Wild verlangt ein eher malzorientiertes Bier, ein Bockbier könnte gehen, die Pizza versteht sich gut mit Weizenbier, die Pasta auf Käsesauce mit einem Witbier. Überhaupt, Bier und Käse, was für eine Liebesgeschichte: Altbier mit Schafskäse, ein Stout zum aromatischen Blauschimmelkäse, ein Weißbier zum Ziegenkäse – unzählige Variationen sind möglich. Aber auch Süßes und Bier können harmonieren. Zum schokoladigen Dessert macht sich ein dunkler Doppelbock gut, gerne auch fassgelagert, wenn Sie es richtig krachen lassen wollen.

Beer-Food-Pairing ist ein Feld, das richtig Spaß machen kann. Probieren Sie es zuhause mal aus, ganz undogmatisch! Denn, und hier kommen wir auf den Anlass dieses kleinen Textes zurück, in der Gastronomie wird Ihnen dieses Vergnügen leider viel zu selten geboten. Es gibt durchaus Restaurants, die versuchen, auch der Bierkarte ein wenig Liebe zu schenken. Das Marta in Hamburg zum Beispiel, das Nobelhart & Schmutzig in Berlin oder die Tap Rooms von Brauereien wie das Genusswerk in Flensburg oder Ratsherrn in der Schanze. Es sind kleine Leuchttürme in einer Welt, die dem Wein gehören zu scheint. Was tun? Ich persönlich nerve manchmal. Dann frage ich den Service, warum in der Karte so viel Traube und so wenig Hopfen zu finden ist. Wenn ich hingegen Orte mit ausgefeilter Bierauswahl entdecke, feiere ich das. Vielleicht machen Sie demnächst mit. Vielleicht erreichen wir zusammen das Unmögliche: Holen wir das Bier auf die Karte!

Regine Marxen ist International Beer Sommelière, freie Autorin und Podcasterin aus Hamburg. Zusammen mit Stefan Endrigkeit produziert sie seit 2017 den Craft Beer Podcast „HHopcast“, in dem sie die B(ier)-Promis der Szene vorstellen. 

www.hhopcast.de

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© Ingo Wandmacher