Die Fastenzeit ist da. Biertechnisch gesehen haben Sie drei Möglichkeiten: Auf Alkohol zu verzichten, auf Stark- also Fastenbiere umzusteigen (und damit auf die Tradition zu setzen) – oder einfach unbeeindruckt weiter zu trinken, was Sie eben an Bier so mögen. Ich persönlich empfehle Ihnen die erste Variante. Weil die inzwischen erstaunlich lecker daherkommt.
Pappsatt aber nicht happy
Das war nicht immer so. Zum einen, weil ein Bier ohne Umdrehungen von der Mehrzahl der Biertrinker:innen in diesem Land per se nicht als solches wahrgenommen wurde. Es galt als unecht, als billige Kopie, zu der Schwangere, Autofahrer und andere vermeintlich bemitleidenswerte Zeitgenoss:innen greifen mussten, um durch den Abend zu kommen. Zum anderen war das Angebot an nichtalkoholischen Bieren ziemlich überschaubar, gerade auch mit Blick auf die Stilistik. So richtig Spaß machte die Sache nicht. Wer auf einer Party schon einmal versucht hat, allein mit alkoholfreiem Weizen zu überleben, weiß, was ich meine. Man ist am Ende satt. Pappsatt. Aber happy?
Autofahrerbier aus der DDR
Die erste Brauerei, die sich am Alkoholfreien, kurz AF, versuchte, war die Brauerei Engelhardt aus Stralau. 1972, rund sieben Jahre vor dem Clausthaler-Launch im Westen der Republik, brachte sie das AUBI, das Autofahrerbier, auf den Markt. In der ehemaligen DDR galt die Null-Promille-Grenze, das verlieh ihm Relevanz. Lange Zeit gab es vor allem zwei populäre Verfahren, um alkoholfreie Biere herzustellen: die gestoppte oder gedrosselte Gärung, so dass im Gärprozess nur maximal 0,5% vol Alk. entsteht, oder der Entzug des Alkohols nach der Gärung. Beide Wege funktionieren, bringen aber auch das Risiko mit sich, dass das Ergebnis eher süß oder auch wässrig daherkommt. Denn die Hefe wandelt Malzzucker in Alkohol und Kohlendioxid um. Stoppe ich sie bei dieser Arbeit, indem ich sie erhitze, bleibt unter Umständen viel Malzzucker übrig. Arbeite ich von Beginn an mit weniger Malz, geht das auf Kosten der Vollmundigkeit. Um den Alkohol zu entziehen, zum Beispiel im Destillationsverfahren, erhitzt man das Bier, das aber vertragen die Hopfenaromen nur bedingt. Wie aber kriege ich den Alkohol aus und den Geschmack ins Bier?
„Faule Hefe“ & Aromahopfen sorgen für Geschmack
Oliver Wesseloh von der Hamburger Kehrwieder Brauerei war der erste, der im Herstellungsverfahren von Bieren ohne Alkohol neue Wege ging. Er zauberte die faule Hefe aus dem Hut. Dieser spezielle Hefestamm hat bereits bei 0,4 % vol. Alk. das Gefühl, seinen Job gemacht und genug Malzzucker weggeknuspert zu haben – und stellt dann die Arbeit einfach ein. Genial. So viel zum Alkohol. Und der Geschmack? Dafür sorgt in diesem Fall der Hopfen. Genauer: der Aromahopfen. Mit dem überNormalNull (ü.NN) schuf Wesseloh das erste deutsche India Pale Ale alkoholfrei. Es schmeckt nach Mango, Ananas und Limette, hat Körper, ist nicht zu süß. Tatsächlich konnte die Brauerei mit diesem Bier sogar Bierwettbewerbe für sich entscheiden.
Eine Klasse für sich
Laut Kehrwieder ist es derzeit das meistverkaufte im eigenen Portfolio. Mit dem Coffee Stout Road Runner und dem Coconut Grove hat es inzwischen Verstärkung bekommen. Das Juicy Pale Ale flirtet mit dem NEIPA und bringt intensive Kokos- und Tropenaromen ins Glas. Aber auch andere Brauereien haben das Potential erkannt. Das IPA Liberis 2+3 von Riegele zum Beispiel erfrischt ebenfalls tropisch-fruchtig, die Mannschaft von der Hamburger Brauerei Landgang serviert mit ihrem Kapitän AF ein Pale Ale, das neben Citrus-Aromen auch brotige Noten auf den Gaumen bringt. Klingt gut? Ist tatsächlich gut. Weil diese Biere eben nicht wie eine Kopie ihrer alkoholischen Kumpanen schmecken. Sie erfüllen die Kriterien für den jeweiligen Bierstil, gehen geschmacklich aber eigene Wege. Sie haben sich emanzipiert. Wer alkoholfreie Biere wirklich für sich entdecken will, sollte akzeptieren, dass sie inzwischen eine Klasse für sich darstellen. Wer erwartet, dass ein IPA ohne Alkohol genauso mundet wie eines mit, der kann nur enttäuscht werden. Wer einfach genießt, ist im Vorteil. Im Grunde wie in der Musik: Der Song „Nothing Compares 2 U“ stammt eigentlich aus der Feder von Prince, er hat ihn mit seiner Band The Family performt. Fünf Jahre später machte ihn Sinéad O’Connor zum Hit. 1993 hat Prince ihn erneut aufgenommen. Drei großartige Songs, jeder steht für sich. Am Ende ist alles nur eine Frage des Geschmacks.
Regine Marxen ist International Beer Sommelière, freie Autorin und Podcasterin aus Hamburg. Zusammen mit Stefan Endrigkeit produziert sie seit 2017 den Craft Beer Podcast „HHopcast“, in dem sie die B(ier)-Promis der Szene vorstellen.
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