Jens Mecklenburg

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Andere Länder, andere Hamsterkäufe

Was wir in Corona-Zeiten über uns und andere lernen können
21. März 2020

In der Krise, sprach Angela Merkel zum Volk, seien „unser Herz und unsere Vernunft“ auf die Probe gestellt. Und „unsere Solidarität“.

Was bedeutet es aber in Zeiten von Corona, solidarisch zu sein? Der Philosoph Jürgen Habermas hat es einmal so ausgedrückt: Der „nimmt im Vertrauen darauf, dass sich der andere in ähnlichen Situationen ebenso verhalten wird, im langfristigen Eigeninteresse Nachteile in Kauf“. 

Es ist gar nicht so einfach, mit einer Pandemie umzugehen. Es ist der größte emotionale Stresstest nach 1945. Die Krise kann das Beste oder das Schlechteste in uns hervorkehren. Helfen wir uns gegenseitig und stellen Lebensmittel vor die Türen derer, die sie brauchen oder stehlen wir einander das Klopapier?  

Der Mensch ein Hamster

Im Kampf gegen die weitere Ausbreitung des Coronavirus lautet das Credo für die Menschen überall: Zuhause bleiben. Klar, dass man sich dann vielleicht mit etwas mehr Lebensmitteln und sonstigen Dingen des täglichen Bedarfs ausstatten muss als sonst. In Deutschland sind seit Wochen vor allem die Regale für Nudeln und Toilettenpapier immer wieder leer, kommt es zu regelrechten Hamsterkäufen. Aber Hamstern ist kein rein deutsches Phänomen. Hamsterkäufe gibt es auch in Skandinavien und Holland, in Italien und Frankreich, in den USA, Japan und Australien. Sie sind für Menschen ein Weg, Kontrolle und Sicherheit herzustellen. Entweder weil sie den Eindruck haben, der Staat tue zu wenig, um sie vor Gefahren zu schützen oder im Gegenteil, weil umfassende (und sinnvolle) Maßnahmen der Regierung sie plötzlich in Sorge versetzen. Wie man es auch macht: es wird gehamstert.


Andere Länder, andere Sitten

Zwar ist auch in Skandinavien, den USA, Großbritannien und Israel Toilettenpapier in den Supermärkten Mangelware. Im Iran ist es dagegen kein Problem: Die Iraner waschen sich mit Wasser und trocknen dann mit normalen Taschentüchern ab. Auch viele Italiener finden das Klopapier-Horten seltsam, schließlich haben Bäder in Italien ein Bidet, also ein niedriges Waschbecken, an dem man sich nach dem Toilettengang reinigen kann. 

Während es die Deutschen eher zum Klopapier zieht, horten die US-Amerikaner Waffen. Ein viel geteiltes Foto im Kurznachrichtendienst Twitter zeigt etwa wie in Los Angeles im Bundesstat Kalifornien bei einem Waffengeschäft die Kunden-Schlange um einen ganzen Häuser-Block reicht. Die Angst vieler Amerikaner vor den Folgen des Coronavirus, scheint sie zu den Waffen greifen zu lassen. Zum Glück sind die Waffengesetze in Deutschland wesentlich strenger. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn die Beteiligten bei den zahlreich dokumentierten körperlichen Auseinandersetzungen in deutschen Supermärkten um die letzten Klopapierrollen, bewaffnet gewesen wären.  
In der Türkei ist derzeit Kolonya ein rares Gut. Kolonya ist die türkische Form des Kölnisch Wasser. Es wird traditionell Besuchern gereicht, aber auch auf Reisen kann man sich damit die Hände erfrischen. Mit einem Ethylalkohol-Gehalt von etwa 80 Prozent wirkt es auch desinfizierend.

Wein und Kiffen gegen Corona

In Spanien wird neben Klopapier und Pasta in den Läden auch Wein knapp. In Italien stehen die Menschen ebenfalls häufiger vor leeren Weinregalen. Denn da sie nur noch Zuhause essen dürfen, kaufen sie auch mehr ein und Wein gehört zur Esskultur einfach dazu. Wie in Frankreich, wo sich ebenfalls die Weinregale rapide geleert haben. Aber auch Präservative sollen ganz oben auf der französischen Hamster-Liste stehen.

In Skandinavien riefen Behörden dazu auf, von Hamsterkäufen von Medikamenten wie Paracetamol und Insulin abzusehen. In den USA ist zudem stilles Wasser gefragt. In den Läden im Großraum Washington sollen zudem die Fleischregale auffallend leer gewesen sein. In Bulgarien verschwanden unter anderem Zitrusfrüchte aus den Märkten.

Die Holländer hamstern wie ihre deutschen Nachbarn Klopapier und Nudeln. 

Doch viele sorgten sich noch um ganz andere Vorräte. Kurz vor der Schließung der Coffeeshops, in dem legal „leichte“ Drogen verkauft werden, standen die Menschen davor in Schlangen, um sich noch ausreichend mit Marihuana einzudecken. Motto: Kiffen gegen Corona. 


Von der Börse lernen

Abstürzende Aktienkurse, leere Regale im Supermarkt: In der Krise neigt der Mensch bekanntlich zu extremem Verhalten. Dahinter stecken die gleichen Muster, zumindest sind die Parallelen auffällig: Nach den jüngsten Kursstürzen dürften die Aktiendepots vieler Investoren inzwischen so leer sein wie die Toilettenpapierregale in den meisten Läden. Ein kleiner Unterschied besteht allerdings: die Anleger an der Börse waren schneller.

Die Kursstürze, die die Aktienmärkte rund um den Globus erschüttern, setzten bereits um den 20. Februar herum ein. Zu diesem Zeitpunkt herrschte an der Toilettenpapier- und Nudelfront noch Ruhe. Leere Regale gab es im Einzelhandel in Bremen, Hamburg und Kiel erst Ende Februar. Ansonsten gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen dem Verhalten der Aktienanleger und den Klopapierhamstern. Beide reagieren auf extreme Weise auf eine Situation, die sie als bedrohlich empfinden. Die einen verschaffen sich ein Gefühl von Sicherheit, indem sie schlagartig viele Aktien verkaufen und sich aus dem Markt zurückziehen. Und die anderen fühlen sich offenbar erst dann ein wenig sicherer, wenn sie Unmengen von Klopapier im Haus horten.

Ökonomen beklagen immer, dass die Deutschen kein Volk der Aktie seien.  Dabei kann man in diesen Corona-Wochen viel lernen: Wer Klopapier hamstert, taugt eigentlich auch zum Börsianer. Und wer nun wissen will, wann es wieder unbegrenzt Toilettenpapier im Supermarkt gibt, braucht nur auf den Aktienmarkt zu schauen. Sobald die Kurse wieder steigen, wird es auch wieder ausreichend Klopapier geben.