Jens Mecklenburg

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30 Jahre Jeunes Restaurateurs Deutschland

Eine kulinarische Zeitreise
13. November 2021

Wir schreiben das Jahr1991. Die Älteren unter Ihnen werden sich vielleicht erinnern. Für die anderen sei dies schnell vorangestellt: Die deutsche Wiedervereinigung ist erst wenige Tage vorher mit einem Staatsakt begangen worden. Das Internet ist noch ein Fremdwort, Telefone besitzen sperrige Tastaturen und einen festen Ort im Haus. Das Fernsehen hat „Alfredissimo“ noch nicht erfunden, kennt selbstverständlich auch noch keine Kochshows und in den Fernseh-Nischen, in denen gekocht wird, erklären männliche Moderatoren, da habe ihre Assistentin „schon einmal etwas vorbereitet“.

© JRE

Aschenbecher auf den Tischen

In der Spitzengastronomie sind Induktionsherde so gut wie unbekannt. Es gibt noch keine Sous-Vide-Garung, keine Espuma-Schäume. Tee gibt es im Beutel und Aschenbecher auf den Tischen sind so selbstverständlich, wie die hauseigene Auswahl an namhaften Zigarren. Natürlich genießt man Zigarrenrauch in vollen Zügen, unabhängig davon, ob an anderen Tischen noch gegessen wird. Selbstverständlich sind die Tische zuvor mit einer Fülle an Tellern, Gläsern und Besteck eingedeckt. Begeben wir uns also auf eine kulinarische Zeitreise: Eckart Witzigmann trumpft in der Münchner Aubergine auf. Harald Wohlfahrt ist kurz davor, für die Traube Tonbach den dritten Stern zu erkochen und Dieter Müller plant bereits seinen Umzug ins Schlosshotel Lerbach, während er auf Reisen vorab seinen kulinarischen Erfahrungshorizont erweitert.

Prediger gegen Mehlschwitze

Gert von Paczensky erhebt die Restaurantkritik erstmals zur schönen Kunst, während Wolfram Siebeck unablässig daran arbeitet, seinen Landsleuten die Mehlschwitze auszureden. Noch hat Jürgen Dollase sein Interesse am Kochen nicht entdeckt. Dies wird sich aber bald schon ändern. Alle drei Kritiker werden auf ihre jeweils eigene Art daran arbeiten, der Spitzengastronomie die öffentliche Würdigung zukommen zu lassen, die sie in anderen Ländern schon ganz selbstverständlich genießt: die eines nationalen Kulturguts. Der Besuch eines gehobenen Restaurants soll so selbstverständlich werden, wie das Abo für den Besuch eines Theater- oder Opernhauses. Ein, wie wir heute wissen, noch unvollendeter Weg. Und dennoch hat sich eine Menge getan, nicht nur in den Gastronomiebetrieben, sondern auch im kulinarischen Bewusstsein der Nation. Allein die Logistik für Lebensmittel erlebte vor dreißig Jahren einen bis dahin nicht gekannten Aufschwung und versorgt die Gastronomie so zuverlässig mit frischen Waren aus der ganzen Welt, das mittlerweile seit einigen Jahren ein Umdenken mit einem oft klaren Bekenntnis zu regionalen Lebensmitteln eingesetzt hat. Auch die Vorstellung des Genusses hat sich in den letzten dreißig Jahren gewandelt. Es geht nicht mehr darum, anderen Rauch um die Nase zu blasen, sondern um Genuss im Einklang mit Tierwohl, Nachhaltigkeit und Qualität. Und hier zeigt sich, dass engagierte Gastronomen sinnvoll und nachhaltig zu arbeiten verstehen und ihr Wissen gerne an ihre Gäste weitergeben – auf den Tellern und durch informative Gespräche rund um Lebensmittel und ihre Produzenten.

Deutsche Küche im europäischen Kontext

1991 wird die deutsche Sektion der Jeunes Restaurateurs (JRE) gegründet. Zu dieser Zeit spricht man in europäischen Kochkreisen, die etwas auf sich halten, selbstverständlich Französisch – außer in Italien, in Spanien auch nicht unbedingt und in England … aber die Briten galten auf dem Festland sowieso nicht als eine kulinarisch relevante Nation. Doch selbst das Ansehen von Porridge hat sich gewandelt: Haferflocken finden sich in unterschiedlichen Röstaromen und Zubereitungsarten in zahlreichen Gerichten. Und von den Errungenschaften der englischen Küche, die diese schon vor der französischen Revolution erworben hatte, schweigt man in Frankreich jedoch noch heute gerne. Selbstverständlich darf man die Frage stellen, weshalb die Cremé Anglaise denn ihren Namen hat – allerdings sollte man, sofern man diese Frage an französische Kulinariker richtet – nicht unbedingt auf eine konsistente Antwort hoffen. Denn diese Namensgebung verweist auf die vorrevolutionäre Zeit, als die englische Küche, allein schon dank ihres schier weltweiten Zugriffs auf Gewürze, internationales Ansehen genoss.

© Chef Sache

Deutschland wird kulinarisch wahrgenommen

Und sehr wahrscheinlich ist dies eine der grundlegenden Lehren, die man aus der kulinarischen Geschichte ziehen kann, wenn man die letzten drei Dekaden unter kulinarischen Gesichtspunkten betrachtet: Deutschland wird von den internationalen Partnern kulinarisch wahrgenommen. Das Englische hat als Lingua Franca in Kochkreisen das Französische weitestgehend ersetzt und die Küche setzt sich über nationale Grenzen hinweg. Das hat sie immer schon getan, denn die Kunst des Kochens und der gehobenen Küche besteht traditionell darin, erstklassige Lebensmittel mit erstklassigen Gewürzen in bestmöglicher Zubereitung auf den Tisch zu bringen. Wenn man dann darüber weiß, dass Gastronomen ihr Können, ihre Erfahrung und ihre nachhaltig gepflegten Netzwerke zu Lebensmittelproduzenten einsetzen, um verantwortungsvoll mit den gegebenen Ressourcen umzugehen, stellt man fest, welche Lücke hier geschlossen wird: die zum verantwortungsvollen Genuss. Zu diesem Zweck haben die JRE einen Zusammenschluss von verantwortungsvoll arbeitenden Lebensmittelmanufakturen ins Leben gerufen. So können Verantwortung und Genuss sich gegenseitig zur Geltung bringen.

Neben dem Genuss sehen engagierte Gastronomen ihre Aufgabe darin, für gute Lebensmittel und ihre Zubereitung und somit für das Kochen selbst zu begeistern. Die Coronakrise hat uns eine lange Zeit aus unserem gewohnten Alltag geholt, wir wissen noch nicht, wann sie vorbei sein wird. Aber die Zeiten des Lockdowns haben uns eines ganz deutlich vor Augen geführt: Das Restaurant, diese nicht ganz öffentliche, aber eben auch nicht ganz private Institution, die uns zusammen und zum Genuss bringt, möchten wir nicht missen. Kulinarischer Genuss beginnt mit der Vorfreude auf das Ausgehen und auf die nachhaltig wirkende, verantwortungsvolle Gaumenfreude.

Über die Jeunes Restaurateurs

Die Gründer und Gründerinnen des JRE Deutschland © JRE

Den Jeunes Restaurateurs Deutschland (JRE) gehören national und international bekannte und angesehene Spitzenköche aus deutschen Gastronomiebetrieben an. Ziel der Vereinigung ist es, die Tradition der Ess- und Trinkkultur in Deutschland zu pflegen, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Die Mitglieder sollen ermutigt werden, die kulinarische Tradition auf hohem Niveau professionell aufrechtzuerhalten, weiterzuentwickeln, sich gegenseitig zu unterstützen. Der Wissenstransfer und die Förderung des eigenen Nachwuchses stehen bei den JRE im Vordergrund. Seit 1991 sind sie als Teil der europäischen Vereinigung mit diesem besonderen Qualitätsversprechen in Deutschland aktiv. Derzeit gehören den JRE in Deutschland 67 Mitglieder an.

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© JRE