Wie der Adventskranz in Hamburg erfunden wurde

4 Kerzen erobern die Welt
15. November 2024

Ein Beitrag von Bjoern Smertka

Es ist ein schöner Brauch, der weltweit zu Hause ist: In der Weihnachtszeit wird ein Adventskranz dekoriert. Bjoern Smertka von der Stiftung Historische Museen Hamburg erzählt eine Geschichte, die nur wenige kennen: Erfunden wurde der Kranz in Hamburg.

Wenn Ende November wieder die alljährliche Adventszeit beginnt, wird er erneut in evangelischen und katholischen Kirchen, an unzähligen öffentlichen Orten wie Weihnachtsmärkten oder Rathausplätzen und natürlich auch in fast jedem Haushalt zu sehen und zu bewundern sein – der Adventskranz. In den unterschiedlichsten Größen und Verzierungen schmückt der Adventskranz öffentliche und private Plätze wie kaum ein anderes Accessoire. Dieses Gesteck aus Tannen- und Fichtennadeln, mit seinen vier roten Kerzen, die an den Adventssonntagen nacheinander angezündet werden, ist in der heutigen Zeit ebenso fest in der Weihnachtstradition verwurzelt wie das Krippenspiel oder der Weihnachtsmann persönlich. Er gehört einfach zum Adventssonntag dazu, am besten mit einem Butterstollen und einem Glühwein. Doch die wenigsten wissen, dass dieser Brauch, der in Gedanken schon ewig zu bestehen scheint, seine Geburtsstunde erst vor knapp 200 Jahren hatte. Und das mitten im Zentrum des heutigen Hamburgs.

Es begann mit 24 Kerzen

Es war im Jahre 1839, als unter der Decke des Betsaals des Rauhen Hauses in Hamburg-Horn zum ersten Mal die Lichter des Adventskranzes angingen. Er war aus Holz gefertigt und besaß ungefähr die Größe eines Wagenrades. Anders als bei den heutigen Adventskränzen, war er mit roten und weißen Kerzen bestückt. Die roten standen für die „normalen“ Tage, während die weißen die Adventssonntage repräsentierten. Jeden Tag wurde eine weitere Kerze angezündet, bis am Heiligen Abend schlussendlich alle Lichter brannten. Dadurch variierte die Anzahl der roten Kerzen von Jahr zu Jahr zwischen 18 und 24, abhängig davon, auf welchen Tag der 1. Advent fiel. Ab dem Jahr 1860 wurde der Kranz auch mit Tannenzweigen und weißen Bändern verziert. Der allbekannte moderne Adventskranz mit vier Kerzen ist ein Zugeständnis an den Wunsch gewesen, jene Kränze in die Wohnzimmer zu bringen. Dafür musste im Zuge der Funktionalität und Verkleinerung die Anzahl der Kerzen drastisch reduziert werden, so dass man sich am Ende auf die Kerzen für die vier Adventstage begnügte. Diese Form des Kranzes hat sich bis heute erhalten.

Ein Leben für Hilfe, Pflege, Fürsorge

© Rauhes Haus

Der Erfinder dieses ursprünglichen Adventskranzes war der Begründer und Betreiber des Rauhen Hauses, Johann Hinrich Wichern. Wichern war ein aus Hamburg stammender Theologe, der sich Zeit seines Lebens der Hilfe, Pflege und Fürsorge der Kranken, Schwachen und Bedürftigen verschrieben hatte. Geboren wurde Wichern am 21. April 1808, zu Zeiten der napoleonischen Besatzung Hamburgs, als ältestes von sieben Kindern. Durch den frühen Tod seines Vaters war er schon als Jugendlicher gezwungen, seine Familie zu versorgen und arbeitete als Erziehungsgehilfe und Privatlehrer für Kinder angesehener Hamburger Familien. Diese Stellung verhalf ihm zu einem Stipendium für ein Theologiestudium, welches er 1831 in Hamburg beendete und danach eine Stelle als Lehrer in einer Sonntagsschule antrat. Hier wurde er direkt mit der Armut und der Not der in Hamburg lebenden Kinder und Jugendlichen konfrontiert. Wichern war schon während seiner Studienzeit wiederholt mit der mangelhaften Behandlung von bedürftigen Personen und Personengruppen in Kontakt gekommen, sei es in einem Waisenhaus oder in einer Haftanstalt.

Durch diese Erlebnisse stark geprägt, entschied Wichern, jenen bedürftigen Kindern und Jugendlichen einen Anker in Form eines Hauses anzubieten, in dem sie dauerhafte Hilfe und Unterstützung erfahren sollten. Die Idee des Rauhen Hauses war geboren und am 1. November konnten die ersten Kinder in die Gebäude des Rauhen Hauses einziehen. Die Einrichtung verstand sich nicht nur als kurzfristige Hilfestelle, sondern wollte dazu beitragen, den Kindern und Jugendlichen das Leben langfristig zu erleichtern. Daher wurden den Kindern schulische und handwerkliche Kenntnisse vermittelt und ihnen wurden erwachsene Mentoren, so genannte Brüder zur Seite gestellt, die als Ansprechpartner in allen Lebenslagen und -fragen fungierten. Für diese Aufgabe mussten die „Brüder“ eine sechsjährige Ausbildung absolvieren.

Das Rauhe Haus ist bis heute dem von Wichern geschaffenen Credo in seiner knapp 200 Jahre währenden Tradition treu geblieben. Knapp 300 Kinder und Jugendliche werden momentan dabei betreut, sich in ihrem Leben zurechtzufinden. Dazu werden in der anhängigen Privatschule fast 1500 Schüler unterrichtet. Auch ein Alten- und Pflegeheim sowie Behindertenhilfe gehören mittlerweile zu den alltäglichen Aufgaben, denen die Mitarbeiter nachgehen, welche selbstverständlich immer noch eigens vom Rauhen Haus ausgebildet werden. Und wenn es wieder weihnachtet, wird wie schon im 19. Jahrhundert der Wichernsche Adventskranz zum 1. Advent entzündet und jeden Tag eine weitere bis zum Heiligen Abend. Möge es auch im nächsten Jahrhundert so bleiben.