Am letzten Freitag im September präsentierten sich die Nordbauern Schleswig-Holstein e.V., ein Zusammenschluss von 40 Landwirten und Genusshandwerkern, im Gildepark der Großen Grünen Schützengilde von 1412. Rund 100 Gäste verbrachten einen fröhlichen Abend bei einem erstklassigen Buffet vom Kieler Spitzenkoch Jochen Strehler und Gesprächen, moderiert vom Herausgeber dieses Magazins Jens Mecklenburg, über die Zukunft unserer Lebensmittel und Landwirtschaft. Sinn und Zweck des Abends war es, auf die Probleme in der bäuerlichen Landwirtschaft aufmerksam zu machen, das Gespräch mit Verbrauchern, Handel und Politik zu suchen und Bündnisse für eine gesicherte Zukunft auszuloten. Die Mittel, die dabei zum Einsatz kamen, waren allerdings gemein: Genuss, Genuss, Genuss. Wer kann da schon wiederstehen?
Irgendwo im Nirgendwo
Am besagten Freitagabend bahnen sich regelrechte Autoschlangen den Weg durch eine verwilderte Kleingartenanlage, einer Gegend, in der man sich vorkommen kann wie irgendwo im Nirgendwo. Nicht viele wissen, wo sie ankommen werden. Einzig die von den Nordbauern am Wegesrand in regelmäßigen Abständen aufgestellten Fahnen weisen den Weg.
Dann erscheint in einem Park ein stattliches, hell erleuchtetes Haus – die „Große Grüne Schützengilde von 1412“. Der Gast ist am Ziel. Das Gebäude wirkt wie ein altes Forsthaus oder ein historischer Gasthof. Empfangen wird man von gut gelaunten Gastgebern, fröhlichen Gästen und einem Aperitif. Ein Saal mit runden Tischen, weißen Tischdecken, ansprechend eingedeckt, tut sich zur linken Seite auf. Vor der gesamten Fensterfront sind lange Tische aufgebaut, an denen die Vorbereitungen für das Buffet auf Hochtouren laufen.
In einem zweiten Saal rechter Hand präsentieren die Nordbauern (20 sind vor Ort, die anderen haben ihre Produkte geschickt) derweil eine Auswahl ihrer Erzeugnisse. Man kann probieren, viele Gäste suchen das Gespräch mit ihnen. Von regionalen alten Apfelsorten und Obstsäften über Ostseesalz, Eiern von glücklichen Hühnern, handgefertigtem Ziegenkäse, Korn, Brände und Gin einer kleinen Destillerie, bis hin zu Wurst und Schinken vom Galloway und Lamm und andere Spezialitäten reicht das Angebot. Die Nordbauern wollen mit den Verbrauchern ins Gespräch kommen, hier gelingt es.
Nur gemeinsam sind wir stark
Nachdem Ernst Schuster, Vorsitzender der Nordbauern und Jens Mecklenburg, Moderator des Abends, die Gäste begrüßen, begibt man sich angeregt unterhaltend zu Tisch. Von den Nordbauern wurden auch 10 interessierte junge Menschen (SchülerInnen und Agrarstudenten bis 26 Jahre) eingeladen. Schließlich geht es bei den Fragen „was wollen wir essen?“ und „wie soll es produziert werden?“ auch um die Zukunft der Jugend.
Die Nordbauern Schleswig-Holstein e.V. wurde 2013 gegründet. Als Apfel- und Obstbauer in Raisdorf erlebt Ernst Schuster täglich, wie schwer es für einen kleinen Betrieb ist, diesen aufrecht zu halten. Nicht ohne Grund mussten in den letzten 15 Jahren über 40 Prozent der kleinen Landwirtschaftsbetriebe aufgeben. Und genau diesem „Sterben“ der kleinen Betriebe möchte Schuster mit seinen Nordbauern entgegenwirken.
Schuster sagt, „Die Nordbauern möchten, dass die Rahmenbedingungen für die kleinen Erzeuger so gestaltet werden, dass die Betriebe bestehen können. Dieser Abend ist eine Verbraucherinformationsveranstaltung auf hohem Niveau, der den Beteiligten versucht Politik zu vermitteln“.
Es ist schon komisch: Obwohl alle nach regionalen Lebensmitteln rufen, haben es kleinere landwirtschaftliche Betriebe schwer. Subventionspolitik und Handelsstrukturen begünstigen die Großen, die Kleinen bleiben oft auf der Strecke. Bäuerliche Familienbetriebe drohen zu rein folkloristischen Einrichtungen zu verkommen. Man macht gerne Werbung mit ihnen, sind ja auch gut fürs Image eines Tourismuslandes, aber in der Realität erhalten sie wenig Unterstützung, bestimmt der globalisierte Weltmarkt das Geschehen.
Dagegen arbeiten die Nordbauern an. Ihr Verein stärkt die Verbindungen zwischen den einzelnen Betrieben, vermittelt Kontakte und vertieft diese, setzt sich in ihrer Gesamtheit für mehr Wertschätzung und staatliche Hilfen bei der Regierung ein. Sie fordern ein Umdenken in der Politik und erhoffen sich selbiges von den Konsumenten. Ihr Motto: „Nur gemeinsam sind wir stark“!
Nach Ernst Schuster werden es immer mehr Menschen, die sich bewusst für regionale, der Saison entsprechende Produkte entscheiden. Es zumindest gerne täten. Doch letztendlich kaufen die meisten aus Zeitgründen oder preislichen Vorteilen beim Discounter und im Supermarkt ein. Einmal hinfahren und alles bekommen. Nur leider meist keine regionalen Produkte.
Suppe löffeln
An den Tischen wird eine Suppe aufgetragen – eine klassische, sehr würzige Gemüsesuppe. Nebenbei erklärt Jochen Strehler, der zusammen mit seiner Frau Anja den Gildepark betreibt, seine Gerichte und Speisen auf dem Buffet. Es galt, allen Produzenten und Produzentinnen sowie ihren Produkten gerecht zu werden, sie genussvoll in Szene zu setzen. Durchaus eine Denksportaufgabe auf hohem Niveau. Strehler, der als einer der Pioniere der gehobenen regionalen Küche gilt, zumindest des Einsatzes von regionalen Produkten in der Gourmetküche, erzählt: „Anfang der neunziger Jahre haben sich hier auf dem platten Land viele Menschen gar nicht mehr um die regionale Küche gekümmert. So habe ich selbst angefangen für die gehobene Gastronomie regionale Produkte und nordische Kochtradition ins Heute zu übersetzten, zu verfeinern und neue Genussmomente zu schaffen“. Jens Mecklenburg stellt schmunzelnd fest: „Die Nordbauern und Jochen Strehler korrespondieren ganz hervorragend zusammen“.
Während des Suppe Löffelns wurde der Aufbau des Buffets vollendet.
Wohl jeder im Saal fragt sich in diesem Moment, wie man es schaffen soll, all die verschiedenen Speisen zu probieren. Es bilden sich mehrmals lange Schlangen vor dem Buffet, denn niemand möchte sich irgendetwas davon entgehen lassen. Gemüsequiche, Seelachsforelle an Salat, Brathühnchen, Braten vom Angeler Sattelschwein, Boeuf Bourguignonne vom Galloway mit Birnen und Roter Bete, feine, subtile Gemüsesülze und mehrere Brotsorten mit frischen Kräutern, Ölen oder Butter, Lamm mit Kräuter-Honig-Kruste, Barsch und Lachsforelle; es würde den Rahmen sprengen all die leckeren Spezialitäten aufzuzählen. So sitzt man gemütlich plaudernd und genießt das fantastische Essen.
Wie soll Landwirtschaft der Zukunft aussehen?
Nachdem die Gäste gut gesättigt und offensichtlich zufrieden mit dem Dargebotenen sind, beginnt noch eine Diskussionsrunde. Sie dreht sich um die Zukunft der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein. Ein spannendes Unterfangen: Heißt es nicht, voller Bauch denkt nicht gern? Ein Vorurteil, wie sich rausstellen wird.
Moderator Jens Mecklenburg bringt die Runde gleich auf Betriebstemperatur: „Das Schicksal des Landes hängt von der Qualität des Essens ab“, ist seine feste Überzeugung.
Ob Dr. Doris Kuhnt, Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium, es genauso sieht, bleibt offen. Ihrer Meinung nach hinterfragen Verbraucher inzwischen viel mehr als früher. Sie sagt, dass sich zwischen Verbänden und Verbrauchern Gräben aufgetan hätten, die es zu überbrücken gelte. Es werde eine neue Landwirtschaftsreform geben, bei der die Gelder aus Brüssel anders verteilt würden, sodass bei den Landwirten mehr Geld bliebe. Weiterhin sagt sie, dass es Programme gäbe, die Landwirte unterstützen würden. Welche sie meinte und ob sie den kleinen Betrieben weiterhelfen würden, blieb an dem Abend ungeklärt.
Ulrike Röhr, Präsidentin des Landfrauen-Verbandes Schleswig-Holstein, sieht die Landfrauen als Nahrungsmittelerzeugerinnen. Sie sagt, dass alles verwertet werden kann und keine Lebensmittel weggeworfen werden müssen. „Für regionale Produkte muss ein anständiger Preis gezahlt werden, der unsere Landwirte, ihre Arbeit und ihre Produkte würdigt“. Auch vertritt sie die Meinung, dass schon Grundschulkinder Klassenausflüge auf Bauernhöfe unternehmen sollten, um ihnen zu zeigen, wie Lebensmittel entstehen.
Für Norma Jensen, erstes Verbrauchermitglied der Nordbauern, – die Nordbauern suchen weitere – ist Achtsamkeit mit Tieren, Pflanzen, Produkten und sich selbst ein wichtiges Anliegen. Ohne Achtsamkeit und Wertschätzung gäbe es keine nachhaltige Landwirtschaft, zeigt sie sich überzeugt.
Nordbauer Christoph Schulte-Steinberg sagt: „Um meinen Viehbetrieb erhalten zu können, muss ich für meine Milch einen anständigen Preis bekommen. Zurzeit sind die Milchpreise so niedrig, dass eine nachhaltige Landwirtschaft damit nicht möglich ist. Man muss über einen längeren Zeitraum mit einer bestimmten Summe kalkulieren können, sonst geht´s nicht“. Er gibt seine Milchkühe ab, die ständigen Preisschwankungen haben ihn zermürbt, er wird seinen Betrieb umstellen.
Einer Nordbäuerin meldet sich zu Wort. Sie ist vierfache Mutter und betreibt eine Schafzucht in Dithmarschen. Sie wünscht sich für Kinder ab der ersten Klasse das Unterrichtsfach „Landwirtschaft“. So, dass die Kleinen von Anfang an Lernen, dass es zum Beispiel die Kühe sind, die die Milch geben oder das Fische nicht in Stäbchenform paniert im Meer schwimmen. Es folgt eine muntere Diskussion mit dem Publikum. Es geht um Verbraucheraufklärung, um eigenes Konsumverhalten, um Aufklärung an Schulen und um die Frage, wie der Verbraucher an die regionalen Produkte herankommt. An den Tischen wird trotz vorgerückter Stunde noch lebhaft diskutiert bis das zwischenzeitlich aufgebaute Dessertbuffet frei gegeben wird.
Süßer Abschluss
Vom Käseteller über Obstweinbirnen mit Nelken, Dörrapfel-Confit mit Zimtsoße, Apfel-Schwarzbrot-Kuchen, bis hin zum raffinierten „TiramiSu“ vom Zimtapfel und hausgemachter Dickmilch, Lassi von Joghurt und Honig sowie feines Bauernhofeis und Eis aus Ziegenmilch, dass so gar nicht nach „Ziege“ schmeckt, wird allerlei aufgetischt. Zum Ende heben noch die interessanten Brände von Ralf Stelzer (Isarnhoe Destillerie) die Stimmung, die nicht besser sein könnte. Dass selbst ein Korn – bei Zimmertemperatur genossen – Freude bereiten kann, war, zumindest mir, neu.
Es wird Zeit, so die einhellige Meinung der Gäste, dass wir uns wieder bewusst machen, was regionale, gesunde Ernährung und nachhaltige Landwirtschaft bedeuten. Dass wir den Produzenten und ihren Produkten wieder die Wertschätzung zukommen lassen, die sie verdienen, damit auch die kleinen (und feinen Betriebe) überleben können. Wo sollte auch sonst die Esskultur herkommen?
Die Nordbauern sind auf den ersten Blick „ein bunter Haufen“ landwirtschaftlicher Individualisten. Dass sie aber auch stimmgewaltig und melodisch im Chor singen können, bewiesen sie mit der Veranstaltung. Auch war sinnlich erfahrbar, was Genusshandwerk eigentlich bedeutet. So macht man sich Freunde. So bringt sogar Politik Spaß.