Die Nordseeküste ist reich an Sagen und Legenden. Einige sind traurig-schön, andere lassen einem das Blut in den Adern gefrieren. Wir ließen sie uns erzählen, einige sogar im Schein der Fackeln.
Hörnum auf Sylt, der Wind heult um die Häuser, es ist Märchenstunde. Die Mitarbeiter von der Schutzstation Wattenmeer führen durch den Ort, auf die Düne, die Urlauber, junge mit ihren Eltern aber auch ältere Semester, blicken über die See und hören die Geschichte vom kleinen Fiete, der mit den Walfängern fahren wollte. Erst Jahre später durfte er mit, denn Fiete war groß – und er hatte Großmutters wundersame Kaffeemühle. Diese Kaffeemühle spendierte alles, was man sich wünschte. Mit dem Geld aus der Mühle kaufte sich Fiete erst seinen Matrosenjob und dann den Respekt der Mannschaft. Die Gier des Kapitäns aber, als dieser erst hinter das Geheimnis kam, brachte den Untergang: Er wollte Salz zum Haltbarmachen der Beute. Das Schiff versank schließlich, weil er in seiner Gier die Mühle nicht stoppen konnte – und letztlich ist nun auch geklärt, warum Meerwasser salzig ist. Und Gier einfach nicht gut. Es gibt zahlreiche weitere Geschichten, die man bestimmt noch nie außerhalb der Insel gehört hat, denn die jungen Leute von der Schutzstation haben sich hingesetzt und den alten Syltern zugehört, sie erzählen lassen. Damit der Sagenschatz nicht verloren geht.
Märchen bei Fackelschein
Am Ende des Südstrandes von Wyk auf Föhr beginnt die Einsamkeit, dorthin führt die Märchen- & Fackelwanderung der Schutzstation Wattenmeer. Sagen und Märchen gibt es zu hören beim Fackelschein. Wer kennt schon die Odderbantjes? Kleine Kobolde, im Clinch mit den Menschen. Die Odderbantjes konnten – oder können sie es auch heute noch? – nur in der Nacht herauskommen. Dann, wenn die Menschen ihr Tagwerk vollbracht haben und schlafen. Wie schön aber wäre es, auch am Tage unterwegs zu sein. Also lockten die Odderbantjes den faulen Peter mit einer List, damit die Menschen tagsüber nichts mehr tun brauchten, dafür dann aber die Odderbantjes. Wie sie das gemacht haben und welche Folgen das hatte – nun; lassen Sie sich das selbst erzählen. Am Meer, in der Nacht und die Lichter der Leuchttürme blinken dazu.
Traurig, aber schön
Der Weg führt vorbei an Kiefern, durch das Wäldchen. Ein wenig schaurig ist es, einsam und verlassen. Sonst nur Sand, die Dünenlandschaft bei St. Peter-Ording ist karg hier nahe an der Nordsee, und auf der höchsten Düne steht eine Aussichtsplattform – Maleens Knoll. Man blickt über die weite Küstenlandschaft, über die Dünen, man sieht das Meer und ganz hinten den Horizont. Wo die Sonne im Meer versinkt und kein Schiff gekommen ist. Hier saß einst ein junges Mädchen namens Maleen, sie lebte in St. Peter. Und soll hier jeden Tag Ausschau gehalten haben nach ihrem Verlobten. Der fuhr zur See und versprach ihr, nur noch einmal hinauszufahren um sein Glück zu versuchen. Maleen versprach ihm, zu warten; wollten sie doch bald heiraten. Um die Zeit zu nutzen, hatte Maleen ein Spinnrad dabei und sie zündete jeden Abend eine Laterne an, damit ihr Verlobter das Licht sehen und seine Liebste in den Dünen finden konnte. Die Bewohner von Ording und St. Peter gewöhnten sich über die Jahre an das Licht auf der Düne. Plötzlich aber blieb es dunkel, sie schauten nach und fanden Maleen tot auf der Düne. Wochen später, so berichtet es die Sage, wurde am Strand ein toter Mann angespült, er trug den gleichen Ring wie Maleen. Ihr Geliebter war zurückgekehrt und kam doch zu spät. Die Leute von Ording und St. Peter legten ihn zu ihr ins Grab und die Düne heißt seitdem Maleens Knoll. Die Schutzstation Wattenmeer in St. Peter-Ording bietet exklusive Touren in kleiner Gruppe an, die auch abseits der üblichen Wege zu dieser Düne führt.
Vom Teufel
Der Rote Haubarg auf Eiderstedt ist ein Wahrzeichen der Halbinsel; ein prächtiger, schöner Hof, ein riesiges Gebäude. Haubarge werden als die größten Bauernhöfe der Welt bezeichnet, auf Eiderstedt sind sie typisch. Und dieser ist geheimnisvoll dazu, und von einer Sage umwoben. Heute ist hier auch ein schönes Gasthaus (und ein Museum). Rot allerdings ist der Haubarg heute nicht: der Vorgängerbau wurde 1647 errichtet und war mit roten Ziegeln bedeckt, brannte jedoch hundert Jahre später ab. Vor dem Bau soll hier ein ärmliches Haus gestanden haben, bewohnt von einem jungen Mann. Dieser Mann war in die Tochter eines reichen Mannes aus der Nachbarschaft verliebt. Mädchen und Mutter waren ihm gewogen, der Vater nicht. Der junge Mann, ebenso verliebt wie verzweifelt, ging in seiner Not einen Pakt mit dem Teufel ein: Er verschreib ihm seine Seele – wenn der Teufel ihm bis zum ersten Hahnenschrei ein großes Haus mit hundert Fenstern bauen würde. Der Teufel kam in der Nacht, riss die Kate ab und zog den Haubarg hoch. In seiner Angst (Achtung: Seele in Gefahr!) lief der junge Mann ins Haus seiner Angebeteten und weckte die Frauen, gestehen konnte er den Pakt mit dem Teufel nicht. Die Mutter blickte aus dem Fenster und sah das Drama sich zuspitzen; sie sah, wie auf dem Haubarg bereits, es war noch Nacht, das Dach gedeckt wurde. Der junge Mann gestand nun alles; Seele weg, wenn der Hahn kräht und der Haubarg fertig ist. So rannte die Mutter schnell in den Stall und schüttelte einen Hahn. Was der tat? Er krähte in der Nacht. Und der Teufel hatte damit die Wette verloren, weil erst 99 Fenster eingesetzt waren – und das 100. noch fehlte. Der Teufel fuhr zum Fenster hinaus und das junge Paar zog ein. Und die 100. Scheibe, so will es die Legende wissen, fehle im Roten Haubarg noch immer: Denn so oft wie sie am Tage eingesetzt werde, so oft zerbreche sie wieder.
Tanz mit dem Teufel
Ein junges Mädchen auf Eiderstedt tanzte vor langer Zeit so gern. Auch wenn der Teufel sie zum Tanzen auffordern sollte – ausschlagen täte sie es selbst ihm nicht. Und so soll es sich vor langer Zeit zugetragen haben: Im Herrenhaus Hoyerswort auf Eiderstedt ist ein Fest und plötzlich tritt ein Fremder ein. Er fordert das Mädchen auf, das doch nie einen Tanz ausschlug und selbst mit dem Teufel tanzen würde. Klar ist, wer der Fremde ist und wie das Ganze ausgeht. Sie tanzen bis das Mädchen tot ist und ihm Blut aus dem Mund fließt, die Wand des Festsaals ist nun beschmutzt und für immer ein mahnendes Mal. Für immer? Alfred Jordy ist heute Hausherr auf Eiderstedt und er weiß, hinter welchem Wandbehang ein Fleck zu sehen ist. Immer noch und scheinbar unauslöschlich. Denn die Geschichte geht weiter. Jordy: „Jede Nacht, Punkt Mitternacht, steigt das Mädchen aus dem Grab und geht in den Tanzsaal. Dort bricht die Musik los und jeden, der zufällig im Saal ist, fordert sie zum Tanz auf.“ Tue dies ein Christ, so raunen es manche Leute, sei das Mädchen erlöst. Getraut aber habe sich das bislang noch niemand. Die Nacht auf Hoyerswort ist inzwischen mondhell und die leisen Töne von Violinen wehen über den Hof. Heute ist es nur ein Konzert, aber wer traut sich hinauf in den Tanzsaal? Ein Fleck ist dort wirklich an der Wand, hinter einem Behang, Blut und unauslöschlich soll es sein, sagt die Sage. Den habe man schon oft überstrichen, aber das Zeichen tauche immer wieder auf – sagt Alfred Jordy. Sie glauben das nicht? Fahren Sie nach Hoyerswort! Es gibt dort schöne Ferienwohnungen und ein Café, ein Museum und eine Töpferei. Und es gibt den Saal, oben, wo man ein mitternächtliches Tänzchen wagen kann, auf knarrenden Dielen, im herrschaftlichen Saal, zur Geisterstunde. Dann, und erst dann, ist das arme Mädchen erlöst.
Wo soll die Kirche hin?
Eine eigene Kirche wollten sich die Leute aus der Eiderniederung zu Beginn des 13. Jahrhunderts bauen. „Nur wo die stehen sollte – darauf konnten sie sich nicht einigen.“ Der Dithmarscher Reiseleiter Johann-Peter Franzen kennt allerlei Legenden aus der Region, so auch diese: „Also beschloss man, ein Marienbildnis auf den Rücken einer Stute zu befestigen und diese laufen zu lassen. Wo man sie am kommenden Morgen beim Grasen fände, wolle man die Kirche bauen.“ Die St.-Marien-Kirche in Delve wird auch Unse Leve Fru op dem Perde genannt, denn sie fanden das Pferd in einem Gebüsch im Bruch einer großen Schleife des Flusses Eider. Und sie bauten Kirche und Dorf dort, wo heute Delve in Dithmarschen ist. Wo seit fast 800 Jahren ein Gotteshaus steht, das wohl immer schon ein eigenes war, so weit weg vom Rest der Welt und keine „Filiale“ damals bereits bestehender Kirchen. Das Gotteshaus hat nicht nur eine schöne Geschichte, es ist zudem ein Schmuckstück – eine spätromanische Feldsteinkirche, eine Bronzetaufe aus dem 13. Jahrhundert, ein uralter Abendmahlkelch, eine 600 Jahre alte, geschnitzte Kreuzigungsgruppe, drei Votivschiffe an der Decke und ein altes Gemälde als gute Kopie eines Rembrandtwerkes. Auch die Gegend lohnt einen Besuch. Die Eider windet sich in mächtigen Schleifen der Nordsee entgegen, weite Niederungen und ausgedehnte Moore kennzeichnen die Landschaft, dass sie bisweilen schaurig-schön macht. Fast mag man sich in wohliger Weltenferne in die Zeit zurück versetzt fühlen, zu der die Stute losgelassen wurde – auf dass sie einen Ort für Glaube und Geborgenheit finden mögen.