Hinter dem Tor liegt eine wundersame Welt und der Wind weht den Duft der See herbei. Doch nicht nur den; es riecht ein wenig modrig und anregend frisch zugleich, es riecht auch süßlich und würzig, duftig. Jetzt, wenn die Tage lang werden und die Sonne über den Salzwiesen der Nordsee steht, dann brummt und summt das pralle Leben in dieser sonderbaren Zwischenwelt. Dann duftet es nach manch seltsamem Kraut. Die Salzwiesen an der Nordseeküste von den Niederlanden bis Dänemark, damit auch die an der Küste von Schleswig-Holstein, gehören zu den größten der gemäßigten Klima-Zone weltweit, sie sind ein einzigartiger, besonderer Lebensraum.
Wer auf dem Deich steht und Richtung Nordsee blickt, erkennt, dass oft noch lang nicht Schluss ist mit dem Land. Irgendwo draußen liegt das Watt, gewiss, aber das Feste löst sich mancherorts erst allmählich auf; eine Zwischenwelt eben. Langsam ist der Übergang ins Meer; saftig und satt – das sind die Salzwiesen. Ein bisweilen kilometerbreiter Streifen, durchzogen von Gräben und Prielen, in denen die Flut ein- und ausläuft. Überflutet vom Salzwasser der Nordsee, wenn sie bei Sturmflut bis zur Kante steht. Dann steht das dicke, dichte Grün unter Wasser, muss es ertragen können, um nicht am Salz zu Grunde zu gehen, deshalb heißen sie Salzwiesen. Deshalb gedeiht dort einzigartiges Kraut.
Salzwiesen mit allen Sinnen erleben
Wer Salzwiesen erleben möchte, mit allen Sinnen ist es möglich, der möge sich am besten einer orts- und sachkundigen Führung anschließen. Es gibt auch Stellen an der Westküste, an denen man auf genehmigten Wegen, und nur dort, selbst durch die Salzwiesen gehen darf: zum Beispiel im Naturerlebnisraum St. Peter-Ording, auf dem Salzwiesenlehrpfad auf der Hamburger Hallig und auf dem Stockenstieg am Leuchtturm Westerhever. Weite Teile der Salzwiesen sind, auch aus Gründen des Naturschutzes, gesperrt. Es geht in eine amphibische Welt, nicht mehr Land und noch nicht Meer. Man sieht im Hochsommer den sogenannten „Halligflieder“ violett blühen, spürt ein Loslassen vom Festen und Verbindlichen in dieser Zwischenwelt und zunehmend die See, hört den Wind, die Insekten, die Vögel, schmeckt, wenn man weiß, was man probieren kann – und riecht. Vor allem riecht man.
Aus vereinzelten Pfützen werden Wasserflächen, immer stärker bestimmt das Wasser nicht nur das Bild, sondern diese Lebenswelt, den gesamten Lebensraum Salzwiese. Liegen die oberen, sich am Deich befindlichen, Bereiche der Salzwiese zumeist im Trockenen, werden also nur selten überflutet, stehen die unteren Salzwiesen zumeist regelmäßig unter Wasser. In den Gezeitengräben steht still und dunkel Wasser, was auf dem Pfad und zwischen dem Kraut liegt, gemeinhin als „Matsch“ bezeichnet wird, ist das Sediment, das die Flut regelmäßig einträgt, ist die Lebensgrundlage der Salzwiese – dadurch und damit wächst sie, davon lebt sie.
Aber eigentlich ist das doch eine Todeszone – Salzwasser, Überflutung, extreme Sonneneinstrahlung. Was oft untergeht und dann in voller, filigraner Blüte steht und bisweilen sogar gut riecht, ist nicht nur überraschend, es ist absurd. An den Blättern mancher Pflanze, wie zum Beispiel Strandflieder oder Schlickgras, lassen sich hauchfeine Salzkristalle erkennen, erfühlen und erschmecken. Das ist nicht getrocknetes Seewasser, es ist von der Pflanze aktiv ausgeschiedenes. Nur weil sie spezielle Mechanismen, Druck oder Drüsen, entwickelt haben, können sie hier existieren – sie verdünnen das Salz, lagern es ein oder scheiden es aus. Die einen sehen aus wie gepudert, die anderen als ob sie gleich platzen würden. Wie der Queller zum Beispiel, der wächst ganz vorn, am Watt. Anderswo auch bekannt unter der Bezeichnung Salicornes:
„Gemüse“ der Salzwiesen
Kleine grüne Stängel sind es und das vermutlich bekannteste „Gemüse“ der Salzwiese (und längst im Fachhandel für die Küche erhältlich). Man kann und darf – Ausnahmen und Regelungen beachten! – das draußen auch probieren: Der Queller ist knackig, er schmeckt salzig und nach Meer, so wie Gischt an einem Sturmtag riecht und mit angenehmer grüner Note, aber eben nicht fischig, leicht säuerlich, leicht pfeffrig-scharf, ein ziemlich leckeres Zeug. In der Salzwiese wächst auch Nützliches für die Küche. Kein Wunder, dass die Küstenbewohner früher in die Salzwiese, in „Neptuns Vorgarten“, gingen und sich holten, was sie brauchten, was vielleicht sogar schmeckte, was gut tat. Auch der Strandwegerich gehört dazu, das war früher ein übliches Gemüse, schmeckt wie Spinat und natürlich leicht salzig.
Ein anderes Kraut: Seltsam nach Chlor, mit einem Hauch Knoblauch, ein bisschen modrig – gut riechen tut der Stranddreizack in rohem Zustand nicht. Er sieht aus wie dicker und sehr großer Schnittlauch, ist aber nicht hohl und hat ein helleres Grün, in Ostfriesland wurde er gekocht – dann bessert sich der Geschmack, nicht abgekochte Pflanzenteile sind giftig! – und im Frühjahr als Röhrkohl gegessen. Wenn man einen Halm abbricht oder an den Blättern riecht, dann erkennt man den Chlor-Geruch deutlich. Aber einst wurde geschnitten und gesammelt, wurde gegessen, was da war, dann war auch gekochter Stranddreizack das Gemüse der Wahl und Möglichkeit, gerade nach einem langen, dunklen Winter, wenn die Vorräte zur Neige gingen.
Steht man auf dem Deich und blickt von schräg oben auf die Salzwiesen, sieht man Stellen, die silbrig-weiß leuchten. Diese Pflanze fällt, dort, wo sie gehäuft vorkommt, schon optisch auf, obwohl man sie am ehesten an ihrem Geruch erkennt, und meist bevor man sie sieht – sie riecht süßlich, würzig. Erst recht dann, wenn man sie im Frühjahr und frühen Sommer, dann steht sie in vollem Saft, mit den Beinen streift – dann bilden sich regelrechte Duftwolken: das ist Strandwermut. Schmeckt Queller sicher am besten, dann ist es Wermut, der wohl am besten riecht. Bitter riechen übrigens tut Strandwermut nicht, aber schmecken – der sprichwörtliche Wermutstropfen. Noch heute werden Kräuterschnäpse aus dem Kraut hergestellt.
Diesen aromatischen Duft bei einem Spaziergang zu genießen, ist gewiss eines der schönsten Salzwiesen-Erlebnisse. Nachdem die Schafbeweidung zurückging, ist der Strandwermut (auch: Strandbeifuß) wieder vielerorts zu sehen, so steht es auf einem sehr informativen Pflanzenportrait bei der Schutzstation Wattenmeer, auf deren homepage.
Wenn Salzwiesen überflutet werden, bringt die See jedes Mal winzige Schwebteilchen mit, die sich bei ruhigem Wasser absetzen – wenn dieser Schlick hochgenug aufgelandet ist, können sich Pflanzen wie der Queller ansiedeln. Diese Pflanzen beruhigen das Wasser weiter, Schlick kann sich nun besser absetzen. Immer mehr Pflanzen können sich jetzt ansiedeln und „Wiesen“ bilden. Durchzogen sind sie von Gräben und Prielen, diese Übergangszone steht im Kontakt mit der Nordsee, und ist nun ein sicherer Ort für zum Beispiel das Heranwachsen von Jungfischen und für Vögel ein guter Platz zum Brüten. Deshalb sind Salzwiesen so wichtig und wertvoll, auch, weil sie ein natürlicher Küstenschutz sind. Vor den Deichen in Schleswig-Holstein und auf den Halligen gibt es mehr als 13.000 Hektar Salzwiesen, bis zur Unterschutzstellung im Rahmen von Nationalpark und UNSECO-Welterbe wurden sie in der Regel mit Schafen beweidet – inzwischen ist das bei fast der Hälfte der Salzwiesenflächen nicht mehr der Fall.
Tipps:
Mehr zu den Salzwiesen findet sich auf den Websiten der Nationalparkverwaltung, siehe https://www.nationalpark-wattenmeer.de/wissensbeitrag/salzwiesen/
Führungen mit der Schutzstation Wattenmeer, z.B. „Salzwiesenführung- In Neptuns Vorgarten“ kann man hier buchen www.schutzstation-wattenmeer.de/veranstaltungen
Karl Heinz Kolle bietet Gästen seinen selbst gebrauten Strandwermuth in seinem Restaurant Kolles Alter Muschelsaal in Büsum an.
Empfehlenswert ist auch ein Besuch im Nationalpark-Zentrum Multimar Wattforum, das auch Wissenswertes rund um Salzwiesen bereithält.
Besuch auf der Hamburger Hallig im Herzen des Nationalparks und Weltnaturerbes Wattenmeer mit Salzwiesenlehrpfad, im Sommer geöffneter Wattwerkstatt und einem Nationalpark-Partner, der Gaststätte Hallig Krog. Ein Fahrradverleih ist am Deich, und im Amsinck-Haus finden Gäste ebenfalls Informationen zum Nationalpark
Informationen rund um die Naturerlebnisse an der Nordsee finden sich auf www.nordseetourismus.de
Gut zu wissen:
„Im Nationalpark gilt für das Sammeln von Pflanzen die sogenannte „Handstraußregel“. Geregelt ist das in der Allgemeinverfügung über die Zulassung von Ausnahmen nach dem Nationalparkgesetz. Nach dieser ist die Entnahme von Pflanzen oder Pflanzenbestandteilen, soweit es sich nicht um besonders geschützte Arten handelt, auf den zum Betreten freigegebenen Flächen im Nationalpark zum persönlichen Gebrauch erlaubt. Nicht erlaubt ist dagegen die Entnahme von Pflanzen aus Bereichen, die zum Betreten gesperrt sind, zu gewerblichen Zwecken und von Arten die besonders geschützt sind (hierzu gehören z.B. der Strandflieder und das Löffelkraut).“
Weitere Informationen unter www.nationalpark-wattenmeer.de/wissensbeitrag/erlaubt-verboten und bei der Nationalparkverwaltung.
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