Jens Mecklenburg

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Tönnies muss Fleischfabrik schließen

Corona-Schleudern Schlachtbetriebe
18. Juni 2020

Nach einem massiven Corona-Ausbruch musste Deutschlands größter Schlachtkonzern, Tönnies, die Produktion in seinem Stammwerk im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück stoppen. Schlachthöfe sind Corana-Hotspots. 

Nach dem Ausbruch einer Corona-Infektion unter mindestens 657 Mitarbeitern der Tönnies-Fleischfabrik im ostwestfälischen Rheda-Wiedebrück schließt der Landkreis Gütersloh alle Schulen und Kitas. Das sei „ein probates Mittel, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern,“ sagte Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU). Ein genereller Lockdown von Behörden und Geschäften sei jedoch nicht geplant, da sich die Gefahr klar eingrenzen lasse.

Der Kreis stelle nun 7000 Menschen für 14 Tage unter Quarantäne, so Adenauer. Betroffen seien alle Personen, die auf dem Werksgelände gearbeitet hätten. Sie würden nun nach und nach auf eine Infektion mit dem Coronavirus getestet. Einen allgemeinen Lockdown für den Kreis werde es nicht geben, obwohl die wichtige Marke von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern in sieben Tagen deutlich überschritten sei. Der Kreis schließt aber alle Schulen und Kitas bis zum Beginn der Sommerferien am 29. Juni. So solle eine Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung vermieden werden, sagte eine Sprecherin des Kreises. Unter den Tönnies-Beschäftigten seien zahlreiche Eltern mit schulpflichtigen Kindern.


Tönnies entschuldigt sich

Der Schlachtbetrieb der Firma Tönnies steht seit Mittwoch still. Erste Ergebnisse nach einem Test von 1050 Mitarbeitern, die meist aus Osteuropa stammen, hatten ergeben, dass sich etwa zwei Drittel angesteckt hatten. Am Vortag hatte das Robert-Koch-Institut in ganz Deutschland nur 345 Neuinfektionen gezählt. Als Hauptherd der Infektion machte Tönnies die Fleischzerlegung im Großbetrieb aus. „Wir können uns nur entschuldigen,“ sagte ein Unternehmenssprecher. Der Chef des Tönnies-Krisenstabs Gereon Schulze Althoff vermutet als eine mögliche Ursache für den Ausbruch, dass das Virus nach Kurzurlauben osteuropäischer Werksarbeiter in den Betrieb getragen worden sei. „Unser Betrieb ist nicht für eine Pandemie gebaut“, sagte Schulze Althoff, „das Risiko auf null zu bringen, ist sehr schwierig.“ 


Gefährliche Arbeitsplätze

Gewerkschafter kritisieren seit Jahren die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Für Armin Wiese, regionaler Repräsentant der Gewerkschaft NahrungGenuss-Gaststätten (NGG), kommt die Entdeckung des Infektionsherdes ausgerechnet an den Zerlegetischen des Großbetriebs nicht überraschend. „Wir warnen seit Langem, dass die Arbeitsplätze gefährlich sind“, sagte Wiese. In normaler Besetzung sei es dort unmöglich, den Mindestabstand von 1,5 Metern zu wahren. Tönnies verpflichte seine Arbeiter zwar zum Tragen von Vollmasken über Kopf und Hals: „Aber die dienen dem Schutz des Produkts etwa gegen Spucke, das Virus geht durch die Poren durch“, so Wiese.

Schlachthöfe sind Hotspots für Corona-Infektionen. Hunderte Fälle gab es im Mai zum Beispiel bei Westfleisch im nordrhein-westfälischen Coesefeld, im schleswig-holsteinischen Schlachthof des Konzerns Vion in Bad Bramstedt und bei Müller Fleisch im baden-württembergischen Birkenfeld.

Tönnies-Krisenmanager Schulze Althoff erklärte bei einer Pressekonferenz, zuletzt hätten die Mitarbeiter auch Mundschutz tragen müssen. Er räumte jedoch ein, dass es bei niedrigen Temperaturen in der Halle vermehrt zur Aerosolbildung kommen könne, die eine Übertragung des Virus erleichtere. 

Tönnies kündigte an, mit besserer Belüftung sowie mit künstlichem UV-Licht das Corona-Risiko im Betrieb verringern zu wollen.

Der Betrieb in Rheda-Wiedenbrück ist auf die Schlachtung von täglich 30 000 Schweinen ausgelegt. Schweinezüchter befürchten nun, ihre Tiere nicht verkaufen zu können. Durch die Schließung fehlen nach Angaben des zuständigen Landkreises Gütersloh 20 Prozent der Fleischprodukte auf dem deutschen Markt.

Gewerkschaft kritisiert Arbeitsbedingungen

Bisher werden Gewerkschaftern zufolge in großen Schlachthöfen bis zu 80 Prozent der Mitarbeiter von Subunternehmern beschäftigt. Diese Konstruktion erleichtert es, die Verantwortung für Bezahlung unter dem Mindestlohn, mangelnden Arbeitsschutz oder Unterbringung in zu kleinen oder überbelegten Wohnungen zu verschleiern. Die meisten Beschäftigten kommen aus Rumänien.

„Das war zu erwarten, denn wir haben immer gesagt, dass die Situation in der Fabrik selber ein Riesenproblem ist, weil die Leute viel zu dicht und eng beieinander im Produktionsprozess stehen, und dass die Unterbringung der Leute nach wie vor eine der größten Gefahren ist zur Verbreitung der Seuche“, sagte Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung, Genussmittel und Gaststätten (NGG) in der Region Oldenburg/Ostfriesland, gegenüber der taz.

Die Beschäftigten seien fast immer in Mehrbettzimmern untergebracht. „Da ist das Ansteckungsrisiko einfach viel zu hoch.“

„Wir fordern, dass man die Bandgeschwindigkeit herunterfährt, die Arbeitszeiten entzerrt und die Leute über andere Schichtmodelle arbeiten lässt, damit die Mindestabstände für den Infektionsschutz eingehalten werden“, so Brümmer.

Die NGG hofft, dass die Bundesregierung wie angekündigt Werkverträge beim Schlachten und Zerlegen ab 2021 verbietet. Ein entsprechendes Eckpunktepapier hat die Große Koalition nach den ersten Coronafällen Ende Mai beschlossen. Ein Gesetzentwurf wird gerade erarbeitet.

„Dann müssen die Schlachthöfe für ihre Leute sorgen und nicht das über dubioseste Subunternehmer laufen lassen, die ihre Entstehung ja zum Teil im kriminellen Milieu haben“, so Brümmer. Die Schlachtindustrie lehnt das Werkvertragsverbot ab, weil sonst wegen der höheren Kosten Betriebe ins Ausland abwandern würden. „Es kann nicht sein, dass osteuropäische Sklaven unsere Grillfeste finanzieren“, fasst der schleswig-holsteinische SPD-Abgeordnete Bernd Heinemann die momentane Stimmungslage in der Politik zusammen.