Jens Mecklenburg

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Ist Spargel systemrelevant?

Luftbrücke für Spargel ist fragwürdig
15. April 2020
Foto: Ingo Wandmacher

Trotz aller Bedenken wegen des Coronavirus werden mit Ausnahmegenehmigung des Bundeslandwirtschaftsministeriums gerade zehntausende Ernte­helfer aus Rumänien eingeflogen. Das gefährdet die Gesundheit zahlreicher Menschen und ist nicht hinnehmbar.

Das Bundesinnenministerium hatte aus gutem Grund zunächst verboten, dass wie seit vielen Jahren üblich rund 300.000 osteuropäische Saisonarbeitskräfte einreisen, um die Ernte in Deutschland einzufahren. Schließlich ist bei dieser hohen Zahl die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sie den Virus weiterverbreiten – sowohl in Deutschland als auch nach der Rückkehr in ihren Heimatländern.


Hauptsache billiger Spargel

Nun erreichten die großen Agrarbetriebe ein Umdenken in der Politik. Bestand doch die Gefahr, dass der in Deutschland scheinbar systemrelevante Spargel nicht gestochen werden konnte. Darüber hinaus den Spargelbaronen ohne Billigarbeitern vor allem aus Rumänien viel Geld verloren gehen würde. Nun dürfen also doch plötzlich 80.000 Erntehelfern im April und Mai einreisen.

Um die Virologen zu beruhigen, versprach das Agrarministerium besondere Sicherheitsauflagen. Von denen ist aber nicht viel zu sehen, wie die ersten Flüge der Saisonarbeitskräfte zeigen.

Im kleinen Flughafengebäude im rumänischen Cluj-Napoca drängten sich an die 2.000 Erntehelfer dicht an dicht. Auch in den Flugzeugen und Transferbussen war nicht daran zu denken, anderthalb Meter Sicherheitsabstand einzuhalten. 

In den Flugzeugen saßen die Erntehelfer ebenfalls dicht an dicht. So kuschelig gemütlich ging es auch in den Reisebussen zu, die die Erntehelfer nach der Ankunft, etwa am Flughafen Düsseldorf, abholten.

Dieses hohe Infektionsrisiko lässt sich durch nichts rechtfertigen, auch nicht durch möglichst günstige Spargelpreise für den Verbraucher.

Von der Not anderer profitieren

Der Mindestlohn in Rumänien liegt bei 2,81 Euro, in Deutschland bei 9,35 Euro. Nach Abzug der Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung ist der risikoreiche Job für viele arme Rumänen daher immer noch attraktiv. Was mag ihnen nach Abzug der Kosten verbleiben? Fünf Euro oder sind es gar sechs? Für schwere körperliche Arbeit inklusive Corona-Infektions-Abenteuer? Schmeckt uns unter diesen Voraussetzungen noch der Spargel? Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und selbst Landwirt, sagte gegenüber der „taz“, nachdem er die Ankunft der ersten Saisonarbeiter in Düsseldorf beobachtet hatte: „Die Umsetzung der ersten Sonderflüge für Saisonarbeitskräfte ist skandalös und in jeder Hinsicht unverantwortlich.“ Der vorgeschriebene Gesundheitscheck bei der Ankunft in Deutschland bestehe nur aus einer Temperaturmessung sowie einem Fragebogen und biete keinerlei Sicherheit: „Es macht den Eindruck, dass für billigen Spargel alle gesundheitlichen Bedenken und ernsthaften Vorsorgemaßnahmen beiseitegeschoben werden.“ Gewerkschafter und kleinere Bauernverbände hatten bereits kritisiert, dass viele ArbeiterInnen in Mehrbettzimmern untergebracht werden sollen. „Klöckners Spargelstecher-Luftbrücke muss angesichts dieser Verhältnisse sofort ausgesetzt werden“, sagte Ostendorff weiter. „Wir müssen es schaffen, in Deutschland Arbeitskräfte zu gewinnen“. Es habe keine Zukunft, Aushilfen aus Billiglohnländern zu holen, damit sie unter legaler Umgehung von Sozialabgaben in Deutschland arbeiten. Gegen diese Betriebe müssten andere Gemüsehöfe hierzulande konkurrieren, die ihre Mitarbeiter fest und sozialversicherungspflichtig anstellen: „Diese Betriebe sind die Verlierer am Ende“. Ostendorff hat recht. Ich liebe Spargel. Aber nicht um jeden Preis!