Jens Mecklenburg

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Slow Food Genussführer: Trend zu Regionalität, Nachhaltigkeit und Transparenz

Gespräch mit Wieland Schnürch vom Herausgeberteam.
9. September 2022
© Privat

Was unterschiedet den Slowfood-Genussführern von anderen?

Wieland Schnürch: Wir wollen nicht einfach nur Gerichte und deren Geschmack beschreiben, sondern sehen die Gastronomie in einem komplexeren Zusammenhang zwischen landwirtschaftlichen Erzeugern, Winzern und Brauern, Lieferketten, Netzwerken, Umweltverhältnissen, handwerklicher Kochtradition und regionaler Einbindung. Die bloße Schilderung, ob einem dieses oder jenes Sößchen auf der Zunge zergeht, erscheint uns zu flach. Es geht uns bei der Beurteilung von Lokalen nicht mehr um den reinen Gaumenkitzel, wie es in der traditionellen Restaurantkritik häufig der Fall ist. Wir versuchen vielmehr, ein ganzheitliches Bild zu zeichnen. Wir wollen die Speise auf dem Tisch in ihrem Kontext sehen, inklusive aller ihrer Beziehungen zu Produzenten, zur Umwelt, zur kulinarischen Tradition, zu Verarbeitungstechniken.

Wir geht Slowfood vor, welche Kriterien müssen Restaurants erfüllen, um von Ihnen aufgenommen zu werden?

WS:Um es mit ein paar Schlagworten zusammenzufassen: Zusätzlich zu unseren programmatischen Forderungen „Gut, sauber und fair“ verlangen wir, dass die ausgewählten Lokale gastfreundlich sind und ihre Küche regional, saisonal, authentisch und transparent. Wir wollen wissen, was im Essen genau drin ist, von wem und wie es hergestellt wurde und unter welchen Bedingungen Mensch, Natur und Umwelt dafür herhalten mussten. Künstliche Zusatzstoffe, industrielle Fertigprodukte oder Fleisch aus Massentierhaltung sind für uns ein NoGo. Erst jüngst haben wir unsere Kriterien verschärft und wünschen uns nun auch, dass Gaststätten, die in unserem Sinne kochen, zum Beispiel auf Tiere aus Qualzucht oder auf bedrohte Arten, wie den Aal, auf ihren Speisekarten verzichten.


Wie viele Testgruppen sind unterwegs?

WS: An dem neuen Buch waren 66 Testgruppen beteiligt, ziemlich gleichmäßig verteilt über ganz Deutschland.


Neben den Restaurantvorstellungen haben Sie längere Abschnitte zu Warenkunde, ABC der regionalen Spezialitäten und Regionen und ihre Gerichte drin. Warum?

WS: Kurioserweise hat es damit angefangen, dass in den von uns beschriebenen regionalen Gasthäusern allerlei Spezialitäten angeboten wurden, deren Namen oft außerhalb ihrer Region völlig unbekannt sind. Mit unserem ABC der regionalen Spezialitäten wollten wir also zu Beginn erst einmal den Süddeutschen erklären, was ein Holsteiner Mehlbüddel ist und dass man einen Kalten Hund tatsächlich essen kann. Mit der Zeit hat sich dann ein kleines Kompendium daraus entwickelt und wir sind noch einen Schritt weiter gegangen und wollten unseren Lesern die gesamte kulinarische Bandbreite der entsprechenden Gegend nahebringen. So sind die Regionen-Artikel entstanden. Schließlich haben wir das Ganze um die Beschreibung einiger typischer deutscher Grundnahrungsmittel ergänzt und bieten so eine Bestandsaufnahme der Herstellung hierzulande von Wurst, Brot Bier und anderen aus Sicht von Slow Food. Diese Kapitel sollen den Leser im wahrsten Sinne des Wortes über den Tellerrand hinaus blicken lassen und ihm einen Eindruck vermitteln, mit welchen Augen wir von Slow Food die kulinarische Landschaft betrachten.


Wie viele Restaurants haben es ins Buch geschafft?

WS: Exakt 444. Alle Bundesländer und alle großen und mittleren Städte sind vertreten, so dass jeder Leser ein oder mehrere Lokale in seiner Region findet.


Gibt es ein Nord-Süd- oder Ost-West-Gefälle?

WS: Als wir 2013 mit der ersten Ausgabe begannen, war das Nord-Süd-Gefälle und auch das Ost-West-Gefälle noch deutlich sichtbar. Am Anfang hatten wir allerdings auch noch nicht so viele Testgruppen im Norden und Osten. Inzwischen hat sich dies abgeschwächt und ich schätze, dass nach einem weiteren Jahrzehnt eine ziemliche Nivellierung eingetreten sein dürfte. Dies ist auch vielen Lokalneugründungen im Norden und Osten zu verdanken. Kürzlich habe ich zum Beispiel das „Fien tu Huus“ in Pelzerhaken besucht, das erst vor zwei Jahren eröffnet wurde – ein vorbildliches Genussführerlokal, das es in dieser Form vor zehn Jahren wahrscheinlich noch gar nicht geben konnte.


Welche Auswirkungen hatte Corona?

WS: Unser Buch ist etwas dünner geworden als die letzte Ausgabe. Dies hatte weniger damit zu tun, dass überdurchschnittlich viele Lokale gestrichen werden mussten, denn die Genussführerlokale sind im Großen und Ganzen besser durch die Corona-Krise gekommen als die herkömmliche Gastronomie. Dies hat viel mit Nachhaltigkeit, funktionierenden Netzwerken und fairer Bezahlung der Mitarbeiter zu tun, denen sich unsere Gaststätten auch schon vor Corona verpflichtet fühlten. Aber leider konnten unsere Tester wegen des beständigen Auf und Ab und wegen der fortdauernden Risiken nicht in dem gewohnten Umfang ihrer Testtätigkeit nachgehen. Bei uns wird nämlich die regelmäßige Überprüfung von Lokalen ernst genommen und diese nicht einfach von Jahr zu Jahr unüberprüft weitergeschoben.


Es ist die 5. Ausgabe des Genussführers. Was hat sich aus Slowfood-Sicht seit der 1. Ausgabe verändert? 

WS: Natürlich hat die Zahl der empfohlenen Lokale seit der ersten Ausgabe zugenommen. Wir beobachten aber auch, dass die von uns empfohlene regionale Küche, die zu Beginn überwiegend auf dem flachen Land anzutreffen war, zunehmend die Großstädte erobert – in modernisierter Form und mit vielerlei Einflüssen vor allem aus dem Mittelmeerraum und Asien. Während wir nach den ersten Genussführer-Lokalen fast ein Jahrzehnt lang akribisch gesucht hatten, bevor wir diese 2013 in ein Buch packten, gibt es heute bereits nicht wenige Neugründungen, die schon mit dem erklärten Ziel eröffnen, in den Slow Food Genussführer zu kommen und sich damit direkt an uns wenden. Die Küchenlandschaft in Deutschland hat sich verändert – hin zu mehr Nachhaltigkeit und Transparenz. Und ich schreibe es nicht zuletzt uns auf unsere Fahnen, dass wir dazu mit dem Slow Food Genussführer einen Beitrag geleistet haben.

Wieland Schnürch, Jahrgang 1953, lebt und arbeitet als Rechtsanwalt, Autor und Herausgeber in München und Panicale in Umbrien, Italien. Er ist Leiter des Herausgeberteams.


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