Gabriele Haefs

Autorin

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Schrei, Skrei, Hauptsache Kabeljau

Zum Ende der Saison – ein Lob dem norwegischen Schreifisch
21. März 2022

Der norwegische Schreifisch ist hierzulande eher bekannt unter seinem norwegischen Namen Skrei. Das kann sich aber ändern, wie eine wahre Geschichte belegt. Schauplatz: ein Wochenmarkt in Hamburg. Fischstand. Angeboten wird norwegisches Skreifilet. Ein Käufer tritt heran und bittet mit einem leichten ausländischen Akzent um 800 Gramm Schreifisch. „Schreifisch?“, fragt der Fischverkäufer verwundert, aber schon sieht man ihm an, wie der Groschen fällt. „Ja, Skrei“, sagt der Kunde. „Auf Deutsch heißt das Schreifisch. Ich bin Norweger, ich kenne mich damit aus.“ Von den Umstehenden wird sicher niemand mehr etwas anderes sagen als Schreifisch, und wenn man seither an diesem Stand Schreifisch verlangt, wird man sofort verstanden.

Das ist eine schöne Geschichte, und ein Fisch namens Schreifisch muss uns einfach ans Herz wachsen, nur leider stimmt die Erklärung nicht. Skrei hat nichts mit schreien zu tun, sondern stammt von dem altnordischen Wort für „Wandern“ ab, skreið, verwandt mit unserem „schreiten“. Sehr langweilig, so ein schreitender Fisch. Interessanter ist eine andere Ableitung dieses altnordischen Wortes, Asgårdsrei ist ebenfalls damit verwandt. So heißt im Norwegischen die Wilde Jagd, die in den Nächten zwischen Weihnachten und Dreikönig durch die Lande tobt, und unser Schreifisch kann in diesem Gefolge sicher seinem wilden Temperament freien Lauf lassen.

Skrei © Deutsche See

Großer laichfähiger Kabeljau 

Die offizielle norwegische Erklärung, was ein Skrei eigentlich ist, lautet: Großer laichfähiger Kabeljau, der in Schwärmen vom offenen Meer hereinkommt und sich im Winter und Frühjahr vor der Küste sammelt. Früher hieß der Gute auf Deutsch einfach Winterkabeljau. Kabeljau, weil er eben einer ist, Winter, weil er von Januar bis April gefischt wird. Er stammt aus der Barentssee, wo er seine Jugend verbringt. Mindestens fünf Jahre alt muss unser Schreifisch nämlich werden, ehe er sich auf die Wanderschaft machen kann. Sein Ziel sind dann die Lofoten, wo das Wasser durch den Golfstrom ein wenig wärmer ist. Und hier wird er dann gefangen. Von der eher ortsgebundenen Kabeljauverwandtschaft unterscheidet er durch eine länglichere Gestalt, einen spitzen Kopf und festes und fettarmes Fleisch.


Schreifischhaut Schuhe

Fest ist auch seine Haut, skreierfahrene norwegische Bekannte raten deshalb, beim Schreifischkauf immer 100 Gramm mehr zu nehmen, als man es sonst tun würde. Die Haut wiegt mit, entfernt man sie nach dem Kochen, hat man sonst weniger Fisch in der Schüssel als geplant. Die Haut wiegt nicht nur, sie ist auch ungeheuer fest, man kann sie wirklich nicht mitessen. Es gibt immer wieder Geschichten, dass in Norwegen während des Krieges, als alles, was nicht niet- und nagelfest war, von den deutschen Besatzern beschlagnahmt wurde, aus Schreifischhaut Schuhe gemacht wurden. Skeptische Historiker behaupten zwar, das sei übertrieben, die harte, zähe Haut sei nur in die schadhaften Schuhe gelegt worden, als eine Art Ersatzsohle. Das leuchtet ein, macht die Haut aber auch nicht genießbarer. 

Ein zukünftiges Problem ist, dass die Wanderlust des Schreifisches begrenzt ist. Er treibt sich nicht bis zu den Lofoten herum, weil es dort besonders schön ist, sondern, weil er es gern ein bisschen wärmer hat. Durch die Meereserwärmung ist nun abzusehen, dass er seine Wanderungen einschränken und sich weiter im Osten aufhalten wird. Dann ist er kein norwegischer Winterkabeljau mehr, sondern russischer, Die norwegischen Fischer, die unsere Wochenmärkte mit ihrem Fang versorgen, dürfen da nicht fischen, was werden die russischen Kollegen tun?

Lieber also Schreifisch essen, solange er noch von den Lofoten kommt, und jetzt ist, wie gesagt, gerade noch Saison.

Ein Blick in die klassischen norwegischen Kochbücher ernüchtert. Nicht einmal Hanna Winsnes, (1789 – 1872), die Grande Dame der norwegischen Kochbuchkunst, die die Standardformel „man tager“ = „man nehme“ in die norwegische Küche einführte, hat viel dazu zu sagen. Eigentlich steht bei ihr und in anderen norwegischen Kochbüchern überall nur: Skrei=Winterkabeljau. Zuzubereiten wie jeder andere Kabeljau auch.


Man nehme

Natürlich gibt es so viele Zubereitungsarten, wie es Kabeljauarten gibt: gekocht, gebraten, überbacken. Norwegische Köche empfehlen aber immer zuerst die „klassische“ Art, also ganz ohne Schnickschnack, und die geht so:

Man nehme pro Person ca. 300 Gramm Skreifilet und schneide selbiges in 5 cm dicke Scheiben. Einen großen Topf voll Wasser aufkochen lassen, pro Liter 1/3 dl Meersalz hinzugeben. Den Topf von der Platte nehmen, wenn das Wasser gekocht hat. Die Fischstücke hineinlegen, fünf Minuten ziehen lassen. Vor dem Servieren die Haut entfernen!

Dazu gibt es gekochte Kartoffeln, am besten mehlige, damit man Schreifisch und Butter darin schön vermatschen kann. Denn zerlassene Butter gehört unbedingt dazu. An besonderen Festtagen gibt es eine edlere Version, in die Petersilie und ein kleingehacktes, hartgekochtes Ei untergemischt werden. Mit Salz und Pfeffer abschmecken, oder besser noch: Salz und Pfeffer auf den Tisch stellen und die Essengäste selbst würzen lassen.

Und wer es ganz originell haben will, serviert noch gekochte Möhren dazu. Gelb, weiß, orange, eine schöne Farbkombination für den perfekten Schreifischgenuss.


Skrei-Rezept

Die Lofoten, das Fanggebiet für Skrei © Deutsche See

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