Gabriele Haefs

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Story der Woche: Zechen in Norwegen

Kuriose Alkoholpolitik
7. Oktober 2023

Damit die Zecherei nicht überhandnimmt, darf Bier nur kistenweise abgegeben werden. Warum man weniger trinken sollte, wenn man eine Kiste hat und nicht nur eine Flasche, ist ein Rätsel der norwegischen Alkoholpolitik.

Alkohol ist teuer in Norwegen, das ist eine eigentlich allgemein bekannt. Um die Dimensionen klarzustellen: Norweger fahren nach Schweden zum Alkoholkauf, weil dort alles viel billiger ist, Schweden aus denselben Gründen nach Dänemark und Dänen nach Deutschland. Alkoholische Getränke werden in staatlichen Läden verkauft, die Vinmonopolet heißen, also Weinmonopol, abgekürzt „Polet“. Bier bildet eine Ausnahme, das dürfen aus Supermärkte verkaufen, allerdings nur, wenn die zuständige Gemeinde das auch will. Will sie nicht, kann ein eigenes „Biermonopol“ eingerichtet werden.

Warum das Bier nicht im bereits existierenden Vinmonopol verkauft werden darf, ist eins der ungelösten Rätsel der norwegischen Alkoholpolitik. Damit nicht zu fröhlich gezecht wird, sind dann Bier- und Weinmonopol möglichst weit voneinander entfernt untergebracht. Will zum Beispiel jemand in Tromsø (eine Stadt mit Biermonopol) für das Fest am Wochenende Bier und Wein besorgen, ist er leicht einen halben Tag unterwegs. Und einfach mal so im Vorbeigehen eine Flasche Bier mitnehmen, geht auch nicht: Damit die Zecherei nicht überhandnimmt, darf Bier nur kistenweise abgegeben werden. Warum man weniger trinken sollte, wenn man eine Kiste hat und nicht nur eine Flasche, ist ein weiteres Rätsel der norwegischen Alkoholpolitik.

Aber keine Angst, wenn Sie im Urlaub in Norwegen einen trinken wollen: in Restaurants und Kneipen wird durchaus Alkohol ausgeschenkt. Kommen Sie nur nicht auf die Idee, die bei Polet erstandene Weinflasche zum Picknick auf der Parkbank zu leeren: Verboten. Der Anblick von in der Öffentlichkeit trinkenden Menschen muss schließlich die öffentliche Moral zersetzen, so sahen es die Gesetzgeber. Zehn Meter weiter, im Straßencafé, können Sie aber für den zehnfachen Preis ganz legal den gleichen Wein trinken, ohne offenbar Sitte und Anstand zu gefährden.

Hausgebrannt

Allerdings: Jedes Jahr wird in Norwegen eine aktuelle Statistik über den Alkoholkonsum im Lande veröffentlicht, und eins ist immer gleich: Nur ein Drittel des in Norwegen konsumierten Alkohols wird in Restaurants oder bei Vinmonopolet erworben. Das zweite Drittel wird eingeschmuggelt – und das dritte Drittel ist im Land schwarzgebrannter Fusel, anheimelnd „hjemmebrent“ genannt, „hausgebrannt“. Vom Schmuggeln raten wir natürlich energisch ab, und mit dem Hjemmebrent werden Sie vermutlich Bekanntschaft machen, ehe Sie sich’s versehen (darüber später mehr).

In Norwegen gibt es überraschend viele Menschen, die den Alkoholkonsum strikt ablehnen. Die kalvinistischen und pietistischen Traditionen sind stärker, als man auf den ersten Blick vermutet, und dass Martin Luther einem herzhaften Schluck nicht abgeneigt war, wird im mehrheitlich lutherischen Norwegen lieber schamhaft verschwiegen. Und dass Jesus selbst Wasser in Wein verwandelt hat? Das sagte zu diesem Thema ein Fernsehpastor: „Ja, das wissen wir, aber wir erwähnen es nicht gern.“ Geht man am Freitag- oder Samstagabend allerdings durch die Innenstadt von Oslo oder Stavanger, ist es kaum zu glauben, dass es ganz in der Nähe auch Leute gibt, die sich an diesen beiden Abenden nicht so voll wie möglich laufen lassen wollen. Auch in Kleinstädten herrschen da strenge Sitten. Der Autor Jonny Halberg schildert die Lage in seiner Heimatstadt so:

„In Moss geht man zweimal in der Woche aus. Und immer an den gleichen zwei Tagen. An diesen Tagen trinkt man, bis man umfällt. Das ist in Ordnung so. Sollte man jedoch an einem anderen Tag ausgehen, mitten in der Woche, dann ist das nicht in Ordnung. Man kann drei Bier trinken und nach Hause gehen und gilt trotzdem als Problemfall.“

Foto: Ingo Wandmacher

Kontinentales Trinken

Zechen bis zum Umfallen darf man also freitags und samstags. Einfach mal zwischendurch zum Essen oder zur Entspannung ein Glas Wein trinken heißt „kontinentales Trinken“ und ist Besuchern erlaubt – und zumindest in Oslo und Bergen auch bei Einheimischen nicht mehr ganz ungewöhnlich. Oslo als Hauptstadt leistet sich übrigens etwas ganz Besonderes, um das Gedränge in den Kneipen der Innenstadt an den beiden Trinktagen noch zu vergrößern. Findige Osloer Bürokratengehirne haben das System des „Ausschrankringes“ ersonnen, des „Skjenkering“. Innerhalb dieses Bereiches darf im Osloer Stadtgebiet auch nach Mitternacht noch Alkohol verkauft werden. Ziel der Maßnahme: Die Leute vom Trinken abzuhalten. Wer einen weiten Weg in die Stadt hat und entsprechend früh aufbrechen müsste, um die letzte Bahn noch zu erwischen, verzichtet lieber gleich, dachten die Bürokraten. Zumal in einer Stadt, die für ihre Taxiknappheit berüchtigt ist.

Hier müsste jetzt stehen, wo die Grenzen des Ausschankringes verlaufen, damit Sie bei Ihrem Besuch in Oslo entsprechend planen können. Nur: geht nicht. Der Ausschankring ist keine feststehende Größe. Seine Ausdehnung ändert sich mit jeder Kommunalwahl, sind dort Parteien, die den Zugang zu alkoholischen Getränken einschränken wollen, schrumpft der Ausschankring. Ändert sich die Zusammensetzung des Stadtrats, wächst der Ausschankring. Undenkbar ist offenbar nur eins: die Lokale selbst entscheiden zu lassen, wie lange sie öffnen wollen. Gastwirte, deren Lokale im Grenzbereich des aktuellen Ausschrankringes liegen, zittern bei jeder Lokalwahl. Ein beliebter Treffpunkt, und für Osloer Verhältnisse gar nicht mal so teuer, war das „Bar & Restaurant“, strategisch perfekt gelegen zwischen U-Bahnstation Majorstua und dem Colosseumkino. Als ein neuer Stadtrat den Ausschankring um wenige Meter verkleinerte, blieb die Kundschaft weg. Die Gäste mögen schließlich nicht um Mitternacht plötzlich umziehen und vielleicht wegen Überfüllung gar keine Tränke mehr finden. Das „Bar & Restaurant“ musste nach wenigen Monaten schließen.

Die Sache mit dem Ausschankring wirkt eigentlich ganz niedlich, ein Grund, Norwegen zu mögen, aber so richtig klappt mit dem Mögen dann doch nicht. Die Lokale in der Osloer Innenstadt sind an den beiden Trinkabenden immer überlaufen, lange Warteschlangen sind keine Seltenheit, und im kalten Winter sorgt das für einen hohen Aggressivitätspegel. Die Osloer Polizei rät ganz offen allen, die sich in Oslo nicht sehr gut auskennen, am Freitag- und Samstagabend die Gegend um die Rosenkrantzgate (wenn man von Karl Johan aus zum Königsschloss hochblickt, auf der rechten Seite) weitläufig zu meiden. Mir kommt das allerdings gewaltig übertrieben vor. Sich am Tresen nicht vordrängen und keinen Streit mit den Stammgästen anfangen – wer sich an ganz einfache Benimmregeln hält, wie sie in Castrop-Rauxel oder Bremen-Vegesack gelten, hat auch in der Rosenkrantzgate nicht zu befürchten.

Auch das gehört übrigens zum Charme der norwegischen Alkoholpolitik: Immer wieder berichten die Zeitungen, dass gerade ein elegantes, sündhaft teures, vielleicht gar mit einem Michelinstern ausgezeichnetes Restaurant vorübergehend geschlossen worden ist. Nicht, weil das Ordnungsamt bei einer Stichprobe Spinnweben in der Küche vorgefunden hätte, nein – sondern, weil den Gästen statt edler Spirituosen aus Frankreich oder Russland schwarzgebrannter Schnaps aus Hedmark vorgesetzt worden war. Im Einkauf für den Gastwirt natürlich viel billiger. Man sollte ja denken, die Gäste merkten den Betrug, aber was wissen denn wir?