Jens Mecklenburg

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Katastrophe für Fisch & Fischerei

Hering und Dorsch dürfen in der westlichen Ostsee ab 2022 nur noch als Beifang gefischt werden.
12. Oktober 2021

Der direkte Fang von Dorsch in der westlichen Ostsee soll im kommenden Jahr ausgesetzt werden. Es wird lediglich eine kleine Quote geben, weil die Art in der Plattfisch-Fischerei als Beifang vorkommt. Das haben die EU-Fischereiminister:innen heute in Brüssel beschlossen. Die Entscheidung folgt den wissenschaftlichen Empfehlungen des Rates für Meeresforschung. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen hat der westliche Dorschbestand sogar den Kipppunkt überschritten, ab dem er sich nicht mehr erholen kann.

© Ingo Wandmacher

Brotfisch nur noch als Beifang erlaubt

Im kommenden Jahr dürfen Fischer in weiten Teilen der Ostsee keinen Hering und Dorsch fangen. Die EU-Fischereiminister einigten sich bei der Festlegung der Fangquoten drauf, dass Hering und Dorsch nur noch als Beifang ins Netz gehen dürfen. Die EU-Kommission hatte wegen des weiterhin schlechten Zustands der Bestände ein Fangverbot für Hering und Dorsch in der westlichen Ostsee vorgeschlagen.

Ausgenommen von dem Beschluss der Fischereiminister sind Schiffe unter zwölf Metern Länge, die mit Stellnetzen arbeiten. Den Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums zufolge sollen aktive Fanggeräte wie gezogene Schleppnetze jedoch verboten werden. Die Quote für den Dorsch sinkt in der westlichen Ostsee der Einigung der EU-Minister zufolge um 88 Prozent. In der Rigaer Bucht dürfen hingegen 21 Prozent mehr Heringe gefischt werden. Freizeitangler dürfen am Tag jeweils einen Lachs und einen Dorsch angeln.

Deutschland hat den Beschlüssen nicht zugestimmt. Das Bundeslandwirtschaftsministerium teilte mit, die EU-Kommission habe „unterschiedliche Maßstäbe“ an die Fanggebiete Ostsee und die nördlicher gelegenen Gebiete Kattegat und Skagerrak anlegt. „Es kann nicht sein, dass unsere Fischerei in der Ostsee massive Einschnitte hinzunehmen hat. Aber auf der anderen Seite wird währenddessen in nördlicheren Gewässern, sei es in Kattegat oder Skagerrak, weiterhin gefischt“, sagte Ministerin Julia Klöckner.

„Das ist für die deutsche Fischerei eine Katastrophe“

Bei Scholle und Sprotte, die auch von deutschen Fischern intensiv befischt werden, einigten sich die Fischereiminister auf leichte Steigerungen der Quote. Die erlaubte Fangmenge für Schollen beträgt 25 Prozent mehr, für Sprotten 13 Prozent mehr. Nach Einschätzungen des Fischereiverbands drohen der Branche durch die EU-Beschlüsse schwere Folgen. „Unter dem Strich ist das für die deutsche Fischerei, das muss man ganz klar sagen, eine Katastrophe“, sagte Verbandssprecher Claus Ubl am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Dorsch und Hering seien die „Brotfische“. „Und wenn die dermaßen gekürzt werden, dass man sie nicht mehr gezielt befischen darf, dann kann sich jeder ausrechnen, dass da kaum noch ein Fischer von überleben kann“, sagte Ubl.

© Ingo Wandmacher

Es sei abzuwarten, welche Hilfsmaßnahmen kommen. „Aber ich rechne damit, dass es in den nächsten Jahren einen Strukturwandel in der deutschen Ostseefischerei geben wird“, sagte Ubl. Wichtige Strukturen dürften wegbrechen, weil sie nicht mehr zu halten seien. „Denn wenn ich keinen Fisch fange, kann ich auch Strukturen wie Kühlhäuser, Eismaschinen und anderes nicht mehr halten – und wenn die einmal weg sind, sind sie weg.“ Wohin sich die Ostseefischerei entwickeln werde, könne noch niemand sagen. Dass die Quoten für Scholle und Sprotte angehoben wurden, werde einigen Fischern helfen, zu überleben.

Sehenden Auges in den Abgrund

Die Umweltschutzorganisation BUND hingegen begrüßte die EU-Einigung. „Ein ‚Weiter so‘ darf es im Ostsee-Fischfang nicht geben, denn sonst hängen bald nicht mehr nur Fische am Haken, sondern gesamte Arten und Ökosysteme.“ Im vergangenen Jahr war die Fangquote für westlichen Dorsch noch leicht angehoben worden. Östlicher Dorsch durfte weiter nicht gezielt befischt werden. Die Quote für westlichen Hering sollte um 50 Prozent sinken.

Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack kritisierte: „Diese Vollbremsung kommt viel zu spät und die Ostseefischerei stürzt sehenden Auges in den Abgrund, weil der Rat jahrelang die Warnungen von Wissenschaft und NGOs ignoriert hat. Die Überfischung der vergangenen Jahrzehnte hat den Bestand kollabieren lassen und raubt der Fischerei ihre Perspektive. Besonders bitter ist die Entwicklung für die kleine, handwerkliche Küstenfischerei. Sie hat wenig zu der Entwicklung beigetragen, kriegt aber nun die volle Härte ab. Die Folgen der Klimakrise verschärfen das Problem. Der Fischereistopp hätte auch für die Angelfischerei gelten müssen, außerdem brauchen wir konsequente Schutzgebiete – nur so kann das Sterben der Ostsee noch aufgehalten werden.“

© Ingo Wandmacher