Von Krisengipfeln & Treckerparaden

Ein Kommentar von Ernst Schuster, Vorsitzender der Nordbauern, zur aktuellen Landwirtschaftsdiskussion
10. Februar 2020

Krisengipfel im Kanzleramt, 1 Milliarde Euro „Übergangsgeld“ für neue Anforderungen an die Landwirtschaft, Handelsgipfel auf Chefebene. Nach endlosen Treckerparaden von Flensburg bis zum Bodensee wird die Landwirtschaft nun auch im medialen, gesellschaftlichen und politischen Raum wahrgenommen. Ist das nun die Trendwende hin zu einem ernstgemeinten Dialog – den man schon vor Jahren hätte führen müssen – oder nur ein kurzfristiges Placebo zur Beruhigung der Gemüter?

© Nordbauern SH

Worüber sprechen wir, worum muss es gehen?

Bauernverbände, der Handel, Natur- und Verbraucherschützer, Kirchen und Verbände, Politiker und Politikerinnen melden sich vielstimmig zu Wort. Das ist begrüßenswert, ist doch eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Frage, „welche Landwirtschaft wollen wir?“, längst überfällig. Müssen doch seit langem Jahr für Jahr tausende Bauern ihre Höfe aufgeben, weil sie nicht mehr die Existenz sichern. 

So vielstimmig und kontrovers die Meinungen sind, so kompliziert ist die Diskussion.

Eins ist allemal klar: Den goldenen Weg wird es nicht geben (können).

Worum geht es also und worüber müssen wir sprechen? Fangen wir mit einem wichtigen Akteur in der Landwirtschaft an – den Konzernen:  

Konzerne

Konzerne wie Nestlé und Bayer haben schon vor einigen Jahren klar gemacht, dass sie den Anspruch haben, die Lebensmittelversorgung vom Samenkorn bis auf den Teller des Endverbrauchers zu organisieren und damit letztendlich auch zu bestimmen. Die Diskussionen, die über die Zukunft der Landwirtschaft und Nachhaltigkeit geführt werden, suchen häufig nach einem Königsweg für Umwelt, Klima und Landwirtschaft. Akteure aus der Industrie wurden bisher in diesen Diskussionsrunden aber nicht gesichtet. Dabei werden sie, wenn sich nichts ändert, der bestimmende Akteur in Sachen „Welternährung“ sein. 



Regionalität

Seit Jahren fordern Vertreter der bäuerlichen Landwirtschaft ein Umdenken in der Agrarpolitik. Bisher haben nicht nur Agrarpolitiker in Schleswig-Holstein dieses Umdenken ignoriert. Regionalität, ist ja das Stichwort der Stunde. Nur, selbst im kleinteiligen Schleswig-Holstein lässt sie sich schon jetzt kaum mehr umsetzen. Die regionalen Strukturen wurden durch Rationalisierungsprozesse, sinkende Preise und immer mehr Bürokratie zerstört, die Bonpflicht sei hier nur als Gipfel der Zumutung für kleine Direktvermarkter genannt. Wir als kleine landwirtschaftliche Betriebe mit direkter Vermarktung sind eine winzige Insel im riesigen Ozean der Globalisierung und deren Finanzinteressen. Der ländliche Raum in europäischen Ländern verödet immer mehr durch den Verlust an bäuerlicher Landwirtschaft. Wollen wir das?



Landwirtschaft differenziert betrachten

Landwirtschaft muss man sich heute als vielseitig strukturierte Wirtschaftseinheit vorstellen, die sich sowohl globalen Herausforderungen stellen muss, eine wichtige Funktion bei der nationalen Energieversorgung spielt, gleichzeitig Lebensmittel für den Massenmarkt und den Markt mit sehr kleinräumigen regionalen Anforderungen bedienen soll. Über diese schon umfangreichen Anforderungen hinaus sollen zusätzlich Kapazitäten für Ernährungskompetenzen bereitgestellt (z. B. Schulbesuche auf Bauernhöfen) und die Funktionalität der Landwirtschaft in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht gesichert werden. Wir sollen also helfen, die Weltbevölkerung zu ernähren, fit und konkurrenzfähig für den globalisierten Weltmarkt sein, Kindern das Leben auf einem Bauernhof vermitteln, regionale Spezialitäten herstellen (möglichst noch in Bio-Qualität), für den Umwelt- und Klimaschutz zuständig sein und gegen die Verödung des ländlichen Raums kämpfen.  Ist das nicht für einen kleinen bäuerlichen Betrieb etwas zu viel auf einmal? Ja, ist es!

Die Landwirtschaft muss daher mit sehr differenzierten Maßnahmen, die den unterschiedlichen Herausforderungen gerecht werden, zukunftsfähig gemacht werden. Die großflächige Landwirtschaft, die für den Weltmarkt produziert, muss anders gedacht und behandelt werden als die kleinbäuerliche, die für den regionalen Bedarf produziert. 

© Meierei Geestfrisch

Was braucht die bäuerliche Landwirtschaft?

Um den traditionellen landwirtschaftlichen Betrieben Luft für eine qualitativ hochwertige Produktion zu verschaffen, ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, Raum für Innovationen im Betrieb zu bekommen, muss ihnen geholfen werden. 

Dies kann entweder durch Befreiung von (zu viel) bürokratischen Aufgaben oder durch einen Wettbewerbsausgleich erfolgen.

Auch sollten Betriebsübernahmen und Betriebsgründungen im Rahmen bäuerlicher Landwirtschaft mit direkter regionaler Vermarktung gefördert werden. Dadurch wird auch der ländliche Raum gestärkt.

Die Ausbildung in Landwirtschaft und Gartenbau sollte zur Entlastung engagierter kleiner und mittlerer Unternehmen gefördert werden.

Der Handel sollte die Landwirtschaft fair und als Partner behandeln. 

Politiker sind aufgefordert nicht nur auf ökonomisch bequeme Lösungen zu setzen, die mit einem Federstrich alle Probleme scheinbar auf einen Schlag lösen. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Landwirtschaft nicht im ungeschützten Wettbewerb mit globalisierten Finanzmärkten im Regen stehen lässt. 

Gemeinsam mit den Verbrauchern sollten wir an Rahmenbedingungen arbeiten, die die Produktion hochwertiger Lebensmittel zu vertretbaren Preisen ermöglichen. Die Bereitschaft ist vom Ansatz her auf allen Seiten vorhanden, wie man an der steigenden Zahl an SOLAWIs (solidarische Landwirtschaft) ablesen kann. 

Die Stärkung der Landwirtschaft und Gestaltung zukunftsfähiger gesellschaftlicher Modelle kann keine alleinige Aufgabe der traditionellen landwirtschaftlichen Strukturen sein. Eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der Landwirtschaft, die Verantwortung für ökologische Prozesse (Insektensterben), Gewässer- und Klimaschutz sowie soziale Komponenten (gegen die Verödung des ländlichen Raumes) übernehmen soll, benötigt die Unterstützung durch alle gesellschaftlichen Gruppen. 

Zu den Nordbauern: www.nordbauern.de

 

Ernst Schuster. © Nordbauern