Ulrike Preuß

Zertifizierte Ernährungsberaterin

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Glutenfreie Ernährung

Nicht immer eine gute Idee
16. November 2020

Nicht alles, was aus den USA über den großen Teich zu uns schwappt, ist so toll, wie es auf den ersten Blick scheint. Nein, ich spiele jetzt nicht auf die politischen Entwicklungen der letzten Zeit an, es geht mir mehr um Ernährungstrends und populäre Diätvorschläge. Im speziellen Fall um die glutenfreie Diät, die sich seit ca. 10 Jahren immer mehr in der Bevölkerung durchsetzt unter dem Image einer per-se gesünderen Ernährungsweise. 

Was wird da eigentlich weggelassen?

Gluten (Kleber/Klebereiweiß) ist ein Sammelbegriff für Getreideeiweiße (Proteine), enthalten in Weizen (Dinkel/Grünkern), Roggen, Gerste, Hafer, Einkorn, Triticale, Kamut, und Durum und in allen aus diesen Getreidesorten hergestellten Produkten/Fertigprodukten. Gluten ist ein pflanzliches Eiweiß mit positiven Backeigenschaften. Gluten bewirkt eine gute Krumen- und Krustenbildung, es erhöht die Elastizität und Wasserbindung im Teig und trägt so zur längeren Frischhaltung von Gebäck bei. Zur Anreicherung mit Eiweiß kann Gluten Teigen auch extra zugesetzt werden, z.B. für Menschen, die sich streng vegan (völliger Verzicht auf tierisches Eiweiß) ernähren oder für Menschen, die sich eher kohlenhydratreduziert ernähren.

Wer sollte Gluten aus welchen Gründen meiden?

Bei Menschen mit entsprechender genetischen Veranlagung löst Gluten eine Unverträglichkeit (keine Allergie!) aus. Diese führt zu Entzündungen der Dünndarmschleimhaut und zu einer Abflachung der Dünndarmzotten mit schweren gesundheitlichen Folgen: Es werden weniger Nährstoffe und Energie aufgenommen. Diese Menschen müssen lebenslang vollständig auf Gluten verzichten. Bei Kindern wird diese Erkrankung als Zöliakie, beim Erwachsenen als Sprue bezeichnet. Häufige Symptome dieser Erkrankung sind: Wachstumsstörungen, Gewichtsabnahme, vorgewölbter Bauch, Blässe, Anämie, Erbrechen, Durchfall, Blähungen, Appetitlosigkeit, als Folge oft auch eine Laktose- oder Fruktoseunverträglichkeit. Durch die konsequente Meidung von Gluten können die Symptome verschwinden, die eigentliche Krankheit bleibt jedoch lebenslang bestehen.

„Frei von“-Gluten macht hier also Sinn, eine Ernährungsumstellung ist zurzeit die einzig mögliche Therapie. Für alle anderen, nicht an Zöliakie erkrankten Menschen ist eine glutenfreie Ernährung nicht nur unnütz, sondern zieht möglicherweise auch negative Konsequenzen nach sich. So sind glutenfreie Produkte meist ballaststoffärmer und somit auch ärmer an Mineralstoffen als entsprechende Vollkornprodukte. Oft steckt (um geschmackliche Defizite auszugleichen) mehr Fett oder Geschmacksverstärkung in den Produkten, diejenigen, die sich von einer glutenfreien Diät Hilfe bei der Gewichtsabnahme versprechen, greifen hier also grade ins verkehrte Fach. Und nicht zuletzt kosten die glutenfreien Produkte mehr als die „normalen“, so dass wenigstens die Geldbörse Diät macht. Und, nach einer vielleicht „ach, interessant, wie machst Du das denn“-Anfangsphase erlahmt auch schnell das Interesse im Bekanntenkreis und mündet vielleicht in einem „was kannst Du denn eigentlich noch essen? Wir können Dich gar nicht mehr einladen“-Extremfall – sozial einschränkend ohne medizinischen Nutzen.

„Es geht mir mit glutenfreien Produkten aber besser.“ Wenn es so sein sollte, dass Sie eine Umstellung auf glutenfreies Brot mit einer Verbesserung Ihrer Verdauungsbeschwerden belohnt bekommen, dann haben Sie es vorher vielleicht ein wenig übertrieben. Gluten hat, wie oben beschrieben, backverbessernde Eigenschaften, so dass in die heute üblichen „Schnellbackwaren“ wie Laugenstangen oder Aufbackbrötchen höhere Mengen des Klebereiweißes eingearbeitet werden als noch von 20 Jahren. Zusätzlich können durch kürzere Backzeiten nicht mehr so viele unerwünschte Stoffe, die beim Backprozess entstehen, wieder abbauen. So kann es sein, dass wir unsere heutige (schnell verfügbare und günstige) Auswahl an Brot und Brötchen nicht mehr so gut vertragen. Hier hilft aber nicht glutenfrei, sondern eine Rückkehr zu traditionellen Backverfahren mit angemessenen Geh- und Gärzeiten für Teige, in denen sich eher schwer verträgliche Stoffe (zusammengefasst unter FODMAP zu finden – ein anderes Thema, welches hier demnächst behandelt wird) während einer mehrtägigen Teigführung wieder abbauen – diese Brote und Brötchen (vom Biobäcker oder Traditionsbäcker – oder auch einfach aus dem heimischen Backofen nach alten Rezepturen) werden besser vertragen – und schmecken auch besser!

Glutenfrei macht also nur bei der entsprechenden Darmerkrankung Sinn – und es sollte der Rat von Fachkräften eingeholt werden, welche „Ersatzstoffe“ für eine ausgewogene Ernährung dann benötigt werden.

Alle anderen lassen es sich bitte gern schmecken – mit mehr Zeit bei der Herstellung und beim Verzehr!