Ein Manifest der Nordbauern e.V.
Ausgangslage
Die Bauern sind in Aufruhr. Ausgelöst wurde der Protest durch drohende Zulassungsbeschränkungen von Pflanzenschutzmitteln und Düngern. Tatsächlich ist der Protest aber ein sich Aufbäumen gegen den rasant voranschreitenden Strukturwandel im ländlichen Raum, inklusive der massiven Aufgabe von Höfen in den letzten Jahrzenten. Stichwort „Bauernhofsterben“.
Die Anzahl von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben (bis 50 ha Fläche) ist seit Mitte der 1990er Jahre um 48 % zurückgegangen. Ähnlich alarmierende Zahlen melden Bäckerei- und Fleischerhandwerk. Der ländliche Raum verödet zunehmend. Geht die Entwicklung so weiter, setzt kein Umdenken und entsprechendes Handeln ein, dann sind die letzten kleinen Lebensmittelhandwerker inklusive der bäuerlichen Landwirtschaft in 15-20 Jahren ausgestorben. Dabei sind die bäuerlichen Landwirtschaftsbetriebe und die Lebensmittelhandwerker ein unerlässliches Element im regionalen Wirtschaftskreislauf. Ohne ihre Arbeit gibt es keine glaubwürdigen regionalen Produkte und keine regionalen Verkaufsstellen.
Die Gründe für das Aussterben der handwerklichen Lebensmittelhersteller sind bekannt: fehlende Fachkräfte, fehlende Nachfolge, zeit- und kostenfressende Bürokratie, steigende Preise für Pacht und Kauf von landwirtschaftlichen Flächen, fehlende Wertschätzung von Handwerksberufen, Veränderungen in der Sozialstruktur, zu geringe Erlöse. Diese Entwicklung war und ist auch politisch gewollt: Wachse oder weiche lautet bis heute die Devise.
Wohin geht die Reise
Wohin geht nun die Reise der Landwirtschaft nach den massiven Bauernprotesten und den Dialogen mit der Landwirtschaft und dem Handel in Ministerien und im Kanzleramt? Die Politik verspricht eine größere Wertschätzung für die Landwirtinnen und Landwirte, sie verspricht aber auch kein „weiter wie bisher“. Was heißt das konkret? Mit mehr Wertschätzung allein lässt sich die Krise in der Landwirtschaft nicht überwinden und auch der von allen Beteiligten ständig widerholte Aufruf an den verantwortungsbewussten Verbraucher, mehr auf Regionalität zu achten, bereit zu sein, einen angemessenen Preis für die „Mittel zum Leben“ zu zahlen, wird alleine nicht weiterhelfen. Weil in der Regel die Lebensmittelindustrie, der Handel und der Weltmarkt die Preise bestimmen und nicht Bauern und Verbraucher.
Was ist zu tun
Schon heute ist Landwirtschaft nicht allein durch traditionelle Bäuerinnen und Bauern geprägt. Kapitalgesellschaften und Investoren bestimmen zunehmend in der Produktion die Entwicklung. Die Globalisierung lässt grüßen. Man produziert für den Export, für den Weltmarkt. Auch treiben die Ausbreitung von Städten, Neubaugebiete in Dörfern und die Bodenspekulation von landwirtschaftlichen Flächen die Preise derartig in die Höhe, dass viele kleine und mittlere bäuerlich wirtschaftenden Betriebe auf der Strecke bleiben.
Landwirtschaft kann nicht losgelöst von anderen Wirtschaftsbereichen betrachtet werden. Die Wertschöpfungskette in der Lebensmittelproduktion umfasst neben der Landwirtschaft die Verarbeitungsindustrie, Logistiksysteme und Handelswege. Durch hohe Investitionen in landwirtschaftliche Produktionsanlagen und Agrartechnik (Motto: wachse oder weiche) sind auf Jahrzehnte wirkende Abhängigkeiten zur Finanzindustrie entstanden. Diese Einflüsse wirken genauso auf die Entwicklung der Landwirtschaft wie Nitratbelastung des Grundwassers, Phosphorbelastung unserer Seen und Flüsse sowie Rückgang der Insektenvielfalt. Viele Betriebe haben finanziell keine Luft mehr zum Atmen. Auch weil die Preise, die sie für ihre Produkte erhalten, seit Jahren zu niedrig sind.
Ein weiteres: Anforderungen durch gesellschaftliche Standards haben zu umfangreichen Pflichten bezüglich Selbstkontrolle und Dokumentation geführt. Dieser ständig zunehmende Aufwand für diverse Zertifikate wie kostenpflichtige Qualitätssicherungssysteme, EU-Zulassungsverfahren für Schlachtbetriebe plus EU Handelszulassung beim Handel mit Fleisch, Gentechnikfreiheitsnachweis in der Tierhaltung und viele andere mehr sind Kostenfaktoren, die für kleine Betriebe kaum mehr zu verkraften sind.
Auch die Flächenprämien der EU für landwirtschaftliche Flächen begünstigen vor allem die großen Betriebe.
Seit Jahren fordern Vertreter der bäuerlichen Landwirtschaft ein Umdenken in der Agrarpolitik. Regionalität ist zwar wieder groß in Mode, nur verödet der ländliche Raum weiter. Wollen wir das?
Die großflächige Landwirtschaft, die für den Weltmarkt produziert, muss anders gedacht und behandelt werden als die kleinbäuerliche, die für den regionalen Bedarf produziert. Bäuerliche Landwirtschaft ist integraler Bestandteil des sozialen Lebens auf dem Lande, wichtiger Nahversorger und ein wertvolles Kulturgut.
Die Forderungen der Nordbauern
Die bäuerliche Landwirtschaft braucht eine eigenständige Wertschätzung, Unterstützung und Fördermaßnahmen.
Wir fordern die Politik auf:
- Die für den ländlichen Raum unverzichtbaren Betriebe der bäuerlichen Landwirtschaft durch gezielte Fördermaßnahmen zu unterstützen.
- Betriebe mit Produktion und Vermarktung von Auflagen zu entlasten.
- Übernahmen und Neugründungen kleiner Betriebe zu fördern und unterstützen.
- Wichtige soziale und ökologische Aufgaben der bäuerlichen Landwirtschaft wie Sicherstellung der Nahversorgung, Hofführungen für Kindergärten und Schulen, Maßnahmen zum Gewässer- und Naturschutz gesondert zu fördern.
- Das Versprechen, Regionalität in der Lebensmittelversorgung zu fördern auch dadurch einzulösen, dass in Ausschreibungen für Schul- und Kantinenverpflegung die Verpflichtung zur Lieferung von Lebensmitteln (Urprodukte) aus Schleswig-Holstein Bedingung wird.
Wir wünschen uns:
- Einen intensiven Dialog mit Menschen, die an guten handwerklich erzeugten Lebensmitteln interessiert sind.
- Dass der Handel die Landwirtschaft fair und als Partner behandet.
- Dass die Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft und Gestaltung zukunftsfähiger gesellschaftlicher Modelle nicht die alleinige Aufgabe der Landwirtschaft ist. Eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der Landwirtschaft, die Verantwortung für ökologische Prozesse (Insektensterben), Gewässer- und Klimaschutz sowie soziale Komponenten (gegen die Verödung des ländlichen Raumes), benötigen die Unterstützung durch alle gesellschaftlichen Gruppen.
Wer sind die Nordbauern?
Frische und hochwertige Lebensmittel aus der Region sind mehr denn je im Trend. Je globalisierter die Welt, desto größer die Sehnsucht nach Heimat, auch auf dem Teller. Insbesondere direkt vermarktende Betriebe mit ihrem individuellen Sortiment genießen ein hohes Vertrauen beim Verbraucher. Den, den man kennt, vertraut man. Nur sind Politik und Handelsstrukturen auf die ganz Großen ausgelegt, die Kleinen bleiben oft auf der Strecke. Die bäuerlichen Familienbetriebe haben es besonders schwer. Zum Überleben sind gerade sie darauf angewiesen, ihre Produkte direkt an den Verbraucher zu bringen. Was lag also näher als die Gründung eines Vereins, um die Vernetzung zwischen Erzeugern, Handel und Verbrauchern zu fördern? 2013 wurde daher der Verein „Nordbauern Schleswig-Holstein e. V.“ gegründet. Er vereint rund 50 bäuerliche Familienbetriebe, Lebensmittelmanufakturen, Obstbauer und Gärtnereien aus Schleswig-Holstein. Alle Betriebe arbeiten handwerklich und sind zum größten Teil Direktvermarkter. Ziel des Vereins ist die gemeinsame Interessenvertretung von bäuerlicher Landwirtschaft, Genusshandwerk und Direktvermarktern. Gemeinsam wollen sie ihnen eine Stimme geben, um in der Öffentlichkeit, im Handel und in der Politik besser gehört zu werden. Wenn „aus der Region für die Region“ nicht nur ein Lippenbekenntnis sein soll, muss Regionalität gefördert und, wo nötig, auch geschützt werden.